Dritter Auftritt


[670] Das Fräulein. Franziska.


FRANZISKA erbittert. Kann ich noch reden? O schön! o schön!

DAS FRÄULEIN. Spotte nur; ich verdiene es. Nach einem kleinen Nachdenken, und gelassener. Spotte nicht, Franziska; ich verdiene es nicht.

FRANZISKA. Vortrefflich! da haben Sie etwas Allerliebstes getan; einen Spitzbuben wieder auf die Beine geholfen.

DAS FRÄULEIN. Es war einem Unglücklichen zugedacht.

FRANZISKA. Und was das Beste dabei ist: der Kerl hält Sie für seines gleichen. – O ich muß ihm nach, und ihm das Geld wieder abnehmen. Will fort.[670]

DAS FRÄULEIN. Franziska, laß den Kaffee nicht vollends kalt werden; schenk ein.

FRANZISKA. Er muß es Ihnen wiedergeben; Sie haben sich anders besonnen; Sie wollen mit ihm nicht in Gesellschaft spielen. Zehn Pistolen! Sie hörten ja, Fräulein, daß es ein Bettler war! Das Fräulein schenkt indes selbst ein. Wer wird einem Bettler so viel geben? Und ihm noch dazu die Erniedrigung, es erbettelt zu haben, zu ersparen suchen? Den Mildtätigen, der den Bettler aus Großmut verkennen will, verkennt der Bettler wieder. Nun mögen Sie es haben, Fräulein, wenn er Ihre Gabe, ich weiß nicht wofür, ansieht. – Und reicht der Franziska eine Tasse. Wollen Sie mir das Blut noch mehr in Wallung bringen? Ich mag nicht trinken. Das Fräulein setzt sie wieder weg. – »Parbleu, Ihro Gnad, man kenn sik hier nit auf den Verdienst« In dem Tone des Franzosen. Freilich nicht, wenn man die Spitzbuben so ungehangen herumlaufen läßt.

DAS FRÄULEIN kalt und nachdenkend, indem sie trinkt. Mädchen, du verstehst dich so trefflich auf die guten Menschen: aber, wenn willst du die schlechten ertragen lernen? – Und sie sind doch auch Menschen. – Und öfters bei weitem so schlechte Menschen nicht, als sie scheinen. – Man muß ihre gute Seite nur aufsuchen. – Ich bilde mir ein, dieser Franzose ist nichts, als eitel. Aus bloßer Eitelkeit macht er sich zum falschen Spieler; er will mir nicht verbunden scheinen; er will sich den Dank ersparen. Vielleicht, daß er nun hingeht, seine kleine Schulden bezahlt, von dem Reste, so weit er reicht, still und sparsam lebt, und an das Spiel nicht denkt. Wenn das ist, liebe Franziska, so laß ihn Rekruten holen, wenn er will. – Gibt ihr die Tasse. Da, setz weg! – Aber, sage mir, sollte Tellheim nicht schon da sein?

FRANZISKA. Nein, gnädiges Fräulein; ich kann beides nicht; weder an einem schlechten Menschen die gute, noch an einem guten Menschen die böse Seite aufsuchen.

DAS FRÄULEIN. Er kömmt doch ganz gewiß? –

FRANZISKA. Er sollte wegbleiben! – Sie bemerken an ihm, an[671] ihm, dem besten Manne, ein wenig Stolz, und darum wollen Sie ihn so grausam necken?

DAS FRÄULEIN. Kömmst du da wieder hin? – Schweig, das will ich nun einmal so. Wo du mir diese Lust verdirbst; wo du nicht alles sagst und tust, wie wir es abgeredet haben! – Ich will dich schon allein mit ihm lassen; und dann – – Jetzt kömmt er wohl.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 670-672.
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