Dreizehnter Auftritt


[702] Der Graf von Bruchsall, von verschiedenen Bedienten und dem Wirte begleitet. Die Vorigen.


DER GRAF im Hereintreten. Sie ist doch glücklich angelangt? –

DAS FRÄULEIN die ihm entgegen springt. Ah, mein Vater! –

DER GRAF. Da bin ich, liebe Minna! Sie umarmend. Aber was, Mädchen? Indem er den Tellheim gewahr wird. Vier und zwanzig Stunden erst hier, und schon Bekanntschaft, und schon Gesellschaft?

DAS FRÄULEIN. Raten Sie, wer es ist? –

DER GRAF. Doch nicht dein Tellheim?

DAS FRÄULEIN. Wer sonst, als er? – Kommen Sie, Tellheim! Ihn dem Grafen zuführend.

DER GRAF. Mein Herr, wir haben uns nie gesehen; aber bei dem ersten Anblicke glaubte ich, Sie zu erkennen. Ich wünschte, daß Sie es sein möchten. – Umarmen Sie mich. – Sie haben meine völlige Hochachtung. Ich bitte um Ihre Freundschaft. – Meine Nichte, meine Tochter liebet Sie –

DAS FRÄULEIN. Das wissen Sie, mein Vater! – Und ist sie blind, meine Liebe?

DER GRAF. Nein, Minna; deine Liebe ist nicht blind; aber dein Liebhaber – ist stumm.

VON TELLHEIM sich ihm in die Arme werfend. Lassen Sie mich zu mir selbst kommen, mein Vater! –

DER GRAF. So recht, mein Sohn! Ich höre es; wenn dein Mund nicht plaudern kann, so kann dein Herz doch reden. – Ich bin sonst den Offizieren von dieser Farbe, Auf Tellheims Uniform weisend. eben nicht gut. Doch Sie sind ein ehrlicher Mann, Tellheim; und ein ehrlicher Mann mag stecken, in welchem Kleide er will, man muß ihn lieben.[702]

DAS FRÄULEIN. O, wenn Sie alles wüßten! –

DER GRAF. Was hinderts, daß ich nicht alles erfahre? – Wo sind meine Zimmer, Herr Wirt?

DER WIRT. Wollen Ihro Exzellenz nur die Gnade haben, hier herein zu treten.

DER GRAF. Komm Minna! Kommen Sie, Herr Major! Geht mit dem Wirte und den Bedienten ab.

DAS FRÄULEIN. Kommen Sie, Tellheim!

VON TELLHEIM. Ich folge Ihnen den Augenblick, mein Fräulein. Nur noch ein Wort mit diesem Manne. Gegen Wernern sich wendend.

DAS FRÄULEIN. Und ja ein recht gutes; mich dünkt, Sie haben es nötig. – Franziska, nicht wahr? Dem Grafen nach.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 702-703.
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