Fünfter Auftritt


[688] Das Fräulein. Franziska. von Tellheim.


DAS FRÄULEIN im Heraustreten, als ob sie den Major nicht gewahr würde. Der Wagen ist doch vor der Türe, Franziska? – Meinen Fächer! –

VON TELLHEIM auf sie zu. Wohin, mein Fräulein?

DAS FRÄULEIN mit einer affektierten Kälte. Aus, Herr Major. – Ich errate, warum Sie sich nochmals her bemühet haben: mir auch meinen Ring wieder zurück zu geben. – Wohl, Herr Major; haben Sie nur die Güte, ihn der Franziska einzuhändigen. – Franziska, nimm dem Herrn Major den Ring ab! – Ich habe keine Zeit zu verlieren. Will fort.

VON TELLHEIM der ihr vortritt. Mein Fräulein! – Ah, was habe ich erfahren, mein Fräulein! Ich war so vieler Liebe nicht wert.

DAS FRÄULEIN. So, Franziska? Du hast dem Herrn Major –

FRANZISKA. Alles entdeckt.

VON TELLHEIM. Zürnen Sie nicht auf mich, mein Fräulein. Ich bin kein Verräter. Sie haben um mich, in den Augen der Welt, viel verloren, aber nicht in meinen. In meinen Augen haben Sie unendlich durch diesen Verlust gewonnen. Er war Ihnen noch zu neu; Sie fürchteten, er möchte einen allzunachteiligen Eindruck auf mich machen; Sie wollten mir ihn vors erste verbergen. Ich beschwere mich nicht über dieses Mißtrauen. Es entsprang aus dem Verlangen, mich zu erhalten. Dieses Verlangen ist mein Stolz! Sie fanden mich selbst unglücklich; und Sie wollten Unglück nicht mit Unglück häufen. Sie konnten nicht vermuten, wie sehr mich Ihr Unglück über das meinige hinaus setzen würde.

DAS FRÄULEIN. Alles recht gut, Herr Major! Aber es ist nun einmal geschehen. Ich habe Sie Ihrer Verbindlichkeit erlassen; Sie haben durch Zurücknehmung des Ringes –

VON TELLHEIM. In nichts gewilliget! – Vielmehr halte ich mich jetzt für gebundener, als jemals. – Sie sind die Meinige,[688] Minna, auf ewig die Meinige. Zieht den Ring heraus. Hier, empfangen Sie es zum zweitenmale, das Unterpfand meiner Treue –

DAS FRÄULEIN. Ich diesen Ring wiedernehmen? diesen Ring?

VON TELLHEIM. Ja, liebste Minna, ja!

DAS FRÄULEIN. Was muten Sie mir zu? diesen Ring?

VON TELLHEIM. Diesen Ring nahmen Sie das erstemal aus meiner Hand, als unser beider Umstände einander gleich, und glücklich waren. Sie sind nicht mehr glücklich, aber wiederum einander gleich. Gleichheit ist immer das festeste Band der Liebe. – Erlauben Sie, liebste Minna! – Ergreift ihre Hand, um ihr den Ring anzustecken.

DAS FRÄULEIN. Wie? mit Gewalt, Herr Major? – Nein, da ist keine Gewalt in der Welt, die mich zwingen soll, diesen Ring wieder anzunehmen! – – Meinen Sie etwa, daß es mir an einem Ringe fehlt? – O, Sie sehen ja wohl, Auf ihren Ring zeigend. daß ich hier noch einen habe, der Ihrem nicht das geringste nachgibt? –

FRANZISKA. Wenn er es noch nicht merkt! –

VON TELLHEIM indem er die Hand des Fräuleins fahren läßt. Was ist das? – Ich sehe das Fräulein von Barnhelm, aber ich höre es nicht. – Sie zieren sich, mein Fräulein. – Vergeben Sie, daß ich Ihnen dieses Wort nachbrauche.

DAS FRÄULEIN in ihrem wahren Tone. Hat Sie dieses Wort beleidiget, Herr Major?

VON TELLHEIM. Es hat mir weh getan.

DAS FRÄULEIN gerührt. Das sollte es nicht, Tellheim. – Verzeihen Sie mir, Tellheim.

VON TELLHEIM. Ha, dieser vertrauliche Ton sagt mir, daß Sie wieder zu sich kommen, mein Fräulein; daß Sie mich noch lieben, Minna. –

FRANZISKA herausplatzend. Bald wäre der Spaß auch zu weit gegangen. –

DAS FRÄULEIN gebieterisch. Ohne dich in unser Spiel zu mengen, Franziska, wenn ich bitten darf! –

FRANZISKA bei Seite und betroffen. Noch nicht genug?

DAS FRÄULEIN. Ja, mein Herr; es wäre weibliche Eitelkeit, mich kalt und höhnisch zu stellen. Weg damit! Sie verdienen[689] es, mich eben so wahrhaft zu finden, als Sie selbst sind. – Ich liebe Sie noch, Tellheim, ich liebe Sie noch; aber dem ohngeachtet –

VON TELLHEIM. Nicht weiter, liebste Minna, nicht weiter! Ergreift ihre Hand nochmals, ihr den Ring anzustecken.

DAS FRÄULEIN die ihre Hand zurück zieht. Dem ohngeachtet, – um so vielmehr werde ich dieses nimmermehr geschehen lassen; nimmermehr! – Wo denken Sie hin, Herr Major? – Ich meinte, Sie hätten an Ihrem eigenen Unglücke genug. – Sie müssen hier bleiben; Sie müssen sich die allervollständigste Genugtuung – ertrotzen. Ich weiß in der Geschwindigkeit kein ander Wort. – Ertrotzen, – und sollte Sie auch das äußerste Elend, vor den Augen Ihrer Verleumder, darüber verzehren!

VON TELLHEIM. So dacht ich, so sprach ich, als ich nicht wußte, was ich dachte und sprach. Ärgernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe selbst, in dem vollesten Glanze des Glücks, konnte sich darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid, die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel zerstreuet, und alle Zugänge meiner Seele den Eindrücken der Zärtlichkeit wiederum öffnet. Der Trieb der Selbsterhaltung erwacht, da ich etwas Kostbarers zu erhalten habe, als mich, und es durch mich zu erhalten habe. Lassen Sie sich, mein Fräulein, das Wort Mitleid nicht beleidigen. Von der unschuldigen Ursache unsers Unglücks, können wir es ohne Erniedrigung hören. Ich bin diese Ursache; durch mich, Minna, verlieren Sie Freunde und Anverwandte, Vermögen und Vaterland. Durch mich, in mir müssen Sie alles dieses wiederfinden, oder ich habe das Verderben der Liebenswürdigsten Ihres Geschlechts auf meiner Seele. Lassen Sie mich keine Zukunft denken, wo ich mich selbst hassen müßte. – Nein, nichts soll mich hier länger halten. Von diesem Augenblicke an, will ich dem Unrechte, das mir hier widerfährt, nichts als Verachtung entgegen setzen. Ist dieses Land die Welt? Geht hier allein die Sonne auf? Wo darf ich nicht hinkommen? Welche Dienste wird man mir verweigern? Und müßte ich sie[690] unter dem entferntesten Himmel suchen: folgen Sie mir nur getrost, liebste Minna; es soll uns an nichts fehlen. – Ich habe einen Freund, der mich gern unterstützet. –


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 688-691.
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