Anti-Goeze
Zehnter

[297] Ärgernis hin, Ärgernis her! Not bricht Eisen, und hat kein Ärgernis. Ich soll der schwachen Gewissen schonen, so fern es ohne Gefahr meiner Seelen geschehen mag. Wo nicht, so soll ich meiner Seelen raten, es ärgere sich daran die ganze oder halbe Welt.

Luther


Hiernächst ist es mir allerdings völlig unbekannt, was für gelehrte und unbescholtene Männer, ohne Zweifel auf Vorspiegelung der Herren Mascho und E. in Hamburg für Verfasser der Fragmente ausgegeben werden. Aber es freuet mich, daß man dort doch mehrere kennet, die so etwas könnten geschrieben haben. Es macht keinem Schande; wer er auch sei: und was der Herr Hauptpastor von unverantwortlicher Besudelung ihrer Asche sagt, will weder nach der eigentlichen, noch nach der verblümten Bedeutung, mir in den Kopf. Asche nimmt es gar nicht übel, mit Kot vermengt zu werden; und der Geist, der diese Asche belebte, steht vor den Augen des, dem es keine Mühe macht, das Eigene von dem Angelogenen zu unterscheiden. Die tappende Neugier der Sterblichen ist für beide ein Spiel, das des Zusehens nicht wert ist; und welcher Vernünftige diese Neugierde am ersten zu befriedigen sucht, erzürnet die spielenden Kinder am meisten.

Wenn der Herr Hauptpastor unter diese neugierigen spielenden Kinder nicht selbst gerechnet werden will: so sage er doch nur, in welcher ernsthaften Absicht sonst, er gern den Namen meines Ungenannten wissen möchte. Kann er seine Asche noch einmal zu Asche brennen lassen? Sollen seine Gebeine in der Erde, welche sie willig aufnahm, nicht länger ruhen? Sollen sie in Staub zermalmet, auf das Wasser geworfen, in den Wind zerstreuet werden? Die Erde, in beiden Fällen, lieber Herr Hauptpastor, nimmt sie ja doch wieder auf. Oder wollen Sie nur das[297] Vergnügen haben, daß Sie in ganz Deutschland herum schreiben können, ob und wo irgend noch ein Anverwandter oder Nachkomm zu finden, den Sie es können empfinden lassen, daß er in seiner Linie, oder in seinen Nebenlinien, aufsteigend oder absteigend, einen solchen Bösewicht gehabt habe? – Wem ist es zu verargen, wenn er so heillos von Ihnen urteilet? Denn ganz ohne Grund kann der Mensch ja doch nicht handeln. –

Ich wollte noch eben, in Ansehung des bekannt zu machenden Namens eines so höllischen Abenteurers, wofür Goeze, und die Wenigen seines Gelichters, den Ungenannten halten, einen ganz andern Vorschlag tun; indem mir der 45te Beitrag zum Reichspostreiter gebracht wird.

O bravo! Der nämliche E. welcher in dem 30sten Beitrage uns versicherte, daß der Ungenannte »leider! nur gar zu bekannt sei«, findet nun für gut, wie er sich ausdrückt, »der sehr weit ausgebreiteten Lüge, als ob ein gewisser ehmaliger berühmter Lehrer am Hamburgischen Gymnasio Verfasser der Fragmente sei, öffentlich zu widersprechen.« Er fügt hinzu: »daß er dieses um so viel zuversichtlicher tun könne, da der Herr Lizentiat Wittenberg Briefe von dem Sohne dieses berühmten Mannes in Händen habe, worin derselbe jenes Vorgehen für eine Lüge und Verleumdung erkläret, und deren Einsicht der Herr Besitzer einem jeden, dem daran gelegen ist, gern erlauben werde.«

Kann sein: kann nicht sein! – Aber vor allen Dingen eine Frage an den Reichspostreiter, oder an diesen mehrbelobten E. im Reichspostreiter: wird an beiden Orten des Reichspostreiters der nämliche Mann verstanden, oder nicht? – Wenn nicht der nämliche: ist es nicht wahre Vexiererei des Publikums, sich hier des nicht rechten so feierlich anzunehmen, und von dem rechten, von dem es dort leider! nur gar zu bekannt war, daß er und kein andrer der wahre Verfasser der Fragmente sei, so gänzlich zu schweigen? – Wenn aber der nämliche: was sollen wir von einem Manne denken, dem es gleich leicht wird, eine Lüge zu besiegeln, und sich der nämlichen Lüge wegen, fast zu gleicher Zeit, vor der ganzen Welt auf das Maul zu schlagen? Der Reichspostreiter kann sich allenfalls mit seinem Relata refero schützen: aber auch Er? Der Reichspostreiter muß jeden Tag sein Blatt voll haben: was kümmert es den, womit es voll wird? Ihn hingegen zwang[298] nichts, über Hals über Kopf drucken zu lassen, daß ein elendes Gerede eine ganz bekannte Sache sei: er war an Ort und Stelle, diesem Gerede sogleich auf den Grund zu kommen; er durfte nur eben den Weg einschlagen, auf welchem die Unzuverlässigkeit desselben sich nun soll erwiesen haben. Warum ist er der erste und einzige, der die Lüge in die Welt schrieb? Warum ist er der erste und einzige, der dieser Lüge, die vielleicht niemand geglaubt hat, itzt widerspricht? Sollte ihn bloß der Kitzel getrieben haben, itzt mit guter Manier einen noch bedeutendern Fingerzeig tun zu können? –

An den Briefen, auf welche er sich beruft, zweifle ich im geringsten nicht. Auch zweifle ich nicht an der Bereitwilligkeit des Herrn Lizentiat Wittenberg, diese Briefe einem jeden, der es verlangt, zu zeigen. Ich bin sogar versichert, daß er sie mehrern zeigen wird, als sie zu sehen verlangen werden. Auf diese Weise wird allerdings jede Verleumdung auf die allerunschuldigste Weise verbreitet; und das erste Böse, was ich von dem Herrn Lizentiat von nun an höre, will ich auf die nämliche Weise zu widerlegen bedacht sein.

Doch was kann auch wohl der Herr Lizentiat dafür, wenn eine eben so dumme als boshafte Klatsche18 (Klätscher wäre hier viel[299] zu gut) die Unverschämtheit hat, sich auf ihn zu berufen, und ihn in läppische unnütze Händel zu verwickeln? Denn daß der Herr Lizentiat selbst, nicht vollkommen mit mir einsehen sollte, wie läppisch und unnütz diese ganze Namenjagd sei, wird mich hoffentlich niemand bereden wollen, der ihn kennt. Und gesetzt auch, daß er darin nicht mit mir einig wäre, daß der entdeckte Name sogar zur Prüfung der Sache schädlich werden könne: so wird er doch nicht in Abrede sein, daß er wenigstens der Ruhe und dem Leumunde aller derer nachteilig zu sein nicht fehlen werde, welche sich in dem entdeckten Verfasser einen Anverwandten oder Freund zu erkennen, nicht entbrechen wollten. – Die Neugier eines ehrlichen Mannes steht da gern stille, wo Wahrheitsliebe sie nicht weiter treibt, und Liebe des Nächsten sie still zu stehen bittet.

Freilich desto besser, wenn die Briefe, welche Herr Licentiat Wittenberg in Händen hat, einen Mann aus dem Spiele setzen, welchen mancher schwache Gesell sich als seinen Gewährsmann wohl wünschen möchte. In der Tat wüßte ich auch selbst, keinen neuern Gelehrten in ganz Deutschland, für welchen ein Vorurteil in dergleichen Dingen zu haben, verzeihlicher wäre, als eben ihn. Aber eben daher möchte ich auch auf diesen Mann keinen Fingerzeig[300] geben, und wenn er mir selbst, in eigner verklärter Person, die Papiere aus jenem Leben gebracht hätte, mit dem ausdrücklichen Verlangen, sie unter seinem Namen herauszugeben; und wenn er mir seitdem auch immer über die zweite Nacht wieder erschiene, und das nämliche Gesuch, ich weiß nicht unter welchen Drohungen oder Versprechungen, wiederholte. Ich würde zu ihm sagen: »Lieber Geist, herausgeben will ich deine Handschrift recht gern; ob ich gleich wohl merke, daß die Sache nicht ohne Gefahr ist, und man mir vorwerfen wird, daß ich die schwachen Gewissen nur damit ärgern wollen. Denn was dieses Ärgernis betrifft, darüber denke ich wie Luther. Genug, ich kann ohne Gefahr meiner Seele, deine Schrift nicht unter den Scheffel stellen. Sie hat Zweifel in mir erregt, die ich mir muß heben lassen. Und wer kann sie mir anders heben, als das Publikum? Mich an den und jenen berühmten Gottesgelehrten durch Privatbriefe deshalb zu wenden, das kostet Geld und Zeit; und ich habe deren keines viel zu versplittern. Also, wie gesagt, herausgeben will ich deine Schrift gern: aber warum soll ich sie nicht anders herausgeben, als mit deinem Namen? Bist du in jenem Leben eitler geworden, als du in diesem warest? Oder gehört dein Name auch mit zu den Beweisen? Wenn du auf diesem kindischen[301] ärgerlichen Ehrgeize bestehest: so weiß ich wohl, woher du kömmst. Die Glorie, die du da um deinen Kopf hast, ist Betrug; denn du bist klein genug, noch eine andre neben ihr zu verlangen.«

Diese Phantasie erinnert mich wieder an den Vorschlag, den ich oben zu tun im Begriffe war. – Hat mein Ungenannter nicht aus Überzeugung geschrieben; nicht aus innerm Drang, was er für wahr hielt, auch seinen Nächsten mitzuteilen: so kann er keinen andern Bewegungsgrund gehabt haben, als unselige Ruhmsucht, gloriae cupiditatem sacrilegam; und ich finde in der ganzen Geschichte ihn mit niemanden zu vergleichen, als mit dem Unsinnigen, der den Tempel der Diana zu Ephesus verbrennen wollte, ut opere pulcherrimo consumpto, nomen ejus per totum terrarum orbem disjiceretur. Als nun der Fantast diesen seinen Schwindel auf der Folter bekannte: was taten die Epheser? Sie beschlossen, um ihn von der empfindlichsten Seite zu strafen, daß niemand seinen Namen nennen solle; und wir würden es noch nicht wissen, wie der stolze Narr geheißen, hätte sich Theopomp in seinen Geschichtbüchern dieser klugen Verfügung unterwerfen wollen. Ich folge den weisen Ephesern; nenne, Trotz dem Theopomp, nach dem Beispiel des Valerius, den ungeheuren Geck auch noch nicht; und trage an: wie, wenn wir ein gleiches unter uns ausmachten, und den Frevler nie nennten, (gesetzt, daß wir seinen Namen wüßten, oder erführen) der aus Ehrfurcht den Felsen sprengen wollen, auf welchen Christus seine Kirche gegründet? – Ich stelle mir vor, ich sammle die Stimmen, fange an von den Patribus conscriptis des Luthertums, einem Ernesti, einem Semler, einem Teller, einem Jerusalem, einem Spalding etc. und komme herab bis auf den kleinsten Dorfpriester, der in den freiwilligen Nachrichten seiner Notdurft pfleget: und alle, alle stimmen für Ja.

Nur einer, einer nur, der Hauptpastor Goeze, stimmet für Nein. Nein! donnert er; und nochmals Nein! Nicht genug, daß der Ungenannte dort ewig zu Schanden geworden: er muß auch noch hier zeitlich zu Schanden werden. Amen! fügt er hinzu; Amen![302]

18

Ich kann mir kaum die Mühe nehmen, die Dummheit und Bosheit dieser Klatsche zugleich aus dem zu erweisen, was sie von mir sagt. Auch möchte ich sie nicht gern abschrecken, sich noch ferner hin an mir lächerlich zu machen; in der süßen Meinung, daß sie mich lächerlich gemacht habe. Doch ein Paar Worte, unter den Text geworfen, können doch auch nicht schaden. – Gleich Anfangs also geifert Mutter Else, oder wie sie sonst heißen mag: »da die schlechte Beschaffenheit meiner Sache mir nicht erlaube, bei der Sache selbst zu bleiben, so ergreife ich Nebendinge, und lasse die Hauptsache unbeantwortet.« – Mütterchen, und wenn Ihr noch zwanzigmal das Wort Sache in einem Atem heraussprudelt: so wißt Ihr doch von der Sache gerade so viel, wie nichts. Aber seid doch so gut und nennt mir ein einziges von jenen Nebendingen; und Ihr sollt alle Eure Zähne, oder, wenn Ihr lieber wollt, einen Mann wieder haben! Denn begreift doch nur, Else, daß ich ja nicht der angreifende Teil, sondern der angegriffene bin, und also überall mit hin muß, wohin mich Euer Seelensorger, der Herr Hauptpastor Goeze, schleppt. Freilich schleppt er mich an manchen Ort, wo wir beide nichts zu suchen haben: aber ist das meine Schuld? Muß ich ihm nicht allerwärts, wo er mich vor den Augen Israels dem Herrn opfern will, in das heilige Messer fallen? Ich schneide mich freilich oft genug in diesem heiligen Messer, aber ich wehre mir es endlich doch von der Kehle. – Zweitens, gutes Mütterchen, hat Euch dieser liebe Herr Seelensorger weis gemacht, daß er sich an den bösen Nicolai bloß als an den Verleger der allgemeinen Bibliothek zu halten pflege. Seht, das hat er Euch wohl weis machen können; aber wem er es sonst weis machen wird, der ist der zweite. Denkt nur, wenn ich wegen der freiwilligen Beiträge mich an Euch halten wollte, weil vielleicht unter den Lumpen, woraus das Papier dazu gemacht worden, sich einige von Euern alten Hemden befunden: was würdet Ihr sagen? Und doch ist wahrlich eines dem andern nicht sehr aus dem Wege. Denn eben so wenig Ihr wißt, was man mit Euren alten Hemden macht: eben so wenig weiß der Verleger, als bloßer Verleger, was der Gelehrte, den er bezahlt, auf sein weißes Papier drucken läßt; und er ist das eben so wenig verbunden zu wissen, als Ihr jenes. Habt Ihr denn auch nie gehört, Else, daß Euer Herr Seelensorger noch bei viel mehrern Verlegern so übel zu Gaste gewesen ist, als bei Nicolai? Warum hat er sich denn nie auch an jene Verleger gehalten? Warum denn nur an den Verleger Nicolai? Nein, Else, glaubt mir; er hat es nicht mit Nicolai dem Verleger zu tun, sondern mit Nicolai dem Mitarbeiter an der A. B. welcher sich bis itzt, so viel ich weiß, noch allein genannt hat. Und so, so will ich mich auch an den Herrn Hauptpastor Goeze wegen der freiwilligen Beiträge halten: er mag schreien wie er will. Mit gefangen, mit gehangen. Er nennt sich in dieser Bande; und das ist mir genug. Das ist mir so lange genug, bis er wenigstens öffentlich sein Mißfallen zu erkennen gibt, daß seine Herren Kollegen ein Buch rühmen, und in Beziehung wider mich rühmen, das von Silbe zu Silbe die nämlichen Sätze enthält, um deren willen er mich so gern zum Teufel beten möchte. – Und nun drittens, Else, was wißt denn Ihr von der Orthographie? Ich habe nie eine Vettel orthographisch schreiben sehen. Das klatscht Ihr wieder nur so nach; und merkt nicht, daß auch Ihr dadurch Anlaß gebt, daß ich mich auf Nebendinge einlassen muß. Sagt selbst, was hat es mit der Auferstehungsgeschichte, oder mit sonst einem Punkte in den Fragmenten und meiner Widerlegung derselben, zu schaffen, daß ich schreibe vorkömmt und bekömmt, da es doch eigentlich heißen müsse, vorkommt und bekommt? Es kränkt Euch, daß ein so großer Sprachkundiger, wie ich – (niemals sein wollen) – in solchen Kleinigkeiten fehlt? Ei, gutes Mütterchen! weil Ihr ein gar so zartes Herz habt, muß ich Euch ja wohl zurechte weisen. Nehmt also Eure Brille zur Hand, und schlagt den Adelung nach. Was leset Ihr hier? »Ich komme, du kommst, er kommt; im gemeinen Leben, und der vertraulichen Sprechart, du kömmst, er kömmt.« Also sagt man doch beides? Und warum soll ich denn nicht auch beides schreiben können? Wenn man in der vertraulichen Sprechart spricht, du kömmst, er kömmt: warum soll ich es denn in der vertraulichen Schreibart nicht auch schreiben können? Weil Ihr und Eure Gevattern nur das andre sprecht und schreibt? Ich ersuche Euch höflich, Else, allen Euern Gevattern, bei der ersten Zusammenkunft von mir zu sagen, daß ich unter den Schriftstellern Deutschlands längst mündig geworden zu sein glaube, und sie mich mit solchen Schulpossen ferner ungehudelt lassen sollen. Wie ich schreibe, will ich nun einmal schreiben! will ich nun einmal! Verlange ich denn, daß ein andrer auch so schreiben soll?

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 297-303.
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