Gotthold Ephraim Lessing

Durch Spinoza ist Leibniz

nur auf die Spur

der vorherbestimmten Harmonie gekommen

(An Moses Mendelssohn)


Ich fange bei dem ersten Gespräche an. Darin bin ich noch Ihrer Meinung, daß es Spinoza ist, welcher Leibnizen auf die vorherbestimmte Harmonie gebracht hat. Denn Spinoza war der erste, welchen sein System auf die Möglichkeit leitete, daß alle Veränderungen des Körpers bloß und allein aus desselben eigenen mechanischen Kräften erfolgen könnten. Durch diese Möglichkeit kam Leibniz auf die Spur seiner Hypothese. Aber bloß auf die Spur; die fernere Ausspinnung war ein Werk seiner eigenen Sagazität.

Denn daß Spinoza die vorherbestimmte Harmonie selbst, gesetzt auch nur so, wie sie in dem göttlichen Verstande antecedenter ad decretum existiert, könne geglaubt, oder sie doch wenigstens von weitem im Schimmer könne erblickt haben: daran heißt mich alles zweifeln, was ich nur kürzlich von seinem Systeme gefaßt zu haben vermeine.

Sagen Sie mir, wenn Spinoza ausdrücklich behauptet, daß Leib und Seele ein und eben dasselbe einzelne Ding sind, welches man sich nur bald unter der Eigenschaft des Denkens, bald unter der Eigenschaft der Ausdehnung vorstelle, (Sittenlehre, T. II. §. 126) was für eine Harmonie hat ihm dabei einfallen können? Die größte, wird man sagen, welche nur sein kann; nämlich die, welche das Ding mit sich selbst hat. Aber, heißt das nicht mit Worten spielen? Die Harmonie, welche das Ding mit sich selbst hat! Leibniz will durch seine Harmonie das Rätsel der Vereinigung zweier so verschiedener Wesen, als Leib und Seele sind, auflösen. Spinoza hingegen sieht hier nichts Verschiedenes, sieht also keine Vereinigung, sieht kein Rätsel, das aufzulösen wäre.

Die Seele, sagt Spinoza an einem andern Orte (T. II. §. 163), ist mit dem Leibe auf eben die Art vereiniget, als der Begriff der Seele von sich selbst mit der Seele vereiniget ist. Nun gehöret der Begriff, den die Seele von sich selbst hat, mit zu dem Wesen der[517] Seele, und keines läßt sich ohne das andere gedenken. Also auch der Leib läßt sich nicht ohne die Seele gedenken, und nur dadurch, daß sich keines ohne das andere gedenken läßt, dadurch, daß beide eben dasselbe einzelne Ding sind, sind sie nach Spinozas Meinung mit einander vereiniget.

Es ist wahr, Spinoza lehrt: »die Ordnung und die Verknüpfung der Begriffe sei mit der Ordnung und Verknüpfung der Dinge einerlei.« Und was er in diesen Worten bloß von dem einzigen selbstständigen Wesen behauptet, bejahet er anderwärts und noch ausdrücklicher insbesondere von der Seele (T. V. §. 581): »So wie die Gedanken und Begriffe der Dinge in der Seele geordnet und unter einander verknüpft sind: eben so sind auch aufs genaueste die Beschaffenheiten des Leibes oder die Bilder der Dinge, in dem Leibe geordnet und unter einander verknüpft.« Es ist wahr, so drückt sich Spinoza aus, und vollkommen so kann sich auch Leibniz ausdrücken. Aber wenn beide sodann einerlei Worte brauchen, werden sie auch einerlei Begriffe damit verbinden? Unmöglich! Spinoza denkt dabei weiter nichts, als daß alles, was aus der Natur Gottes, und der zu Folge, aus der Natur eines einzelnen Dinges, formaliter folge, in selbiger auch objective, nach eben der Ordnung und Verbindung, erfolgen müsse. Nach ihm stimmet die Folge und Verbindung der Begriffe in der Seele, bloß deswegen mit der Folge und Verbindung der Veränderungen des Körpers überein, weil der Körper der Gegenstand der Seele ist; weil die Seele nichts als der sich denkende Körper, und der Körper nichts als die sich ausdehnende Seele ist. Aber Leibniz – Wollen Sie mir ein Gleichnis erlauben? Zwei Wilde, welche das erstemal ihr Bildnis in einem Spiegel erblicken. Die Verwunderung ist vorbei, und nunmehr fangen sie an, über diese Erscheinung zu philosophieren. Das Bild in dem Spiegel, sagen beide, macht eben dieselben Bewegungen, welche ein Körper macht, und macht sie in der nämlichen Ordnung. Folglich, schließen beide, muß die Folge der Bewegungen des Bildes, und die Folge der Bewegungen des Körpers sich aus einem und eben demselben Grunde erklären lassen.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 8, München 1970 ff., S. 517-518.
Entstanden 1763, Erstdruck in: Karl Lessing: G. E. Lessings Leben, Berlin (Voss) 1795.
Lizenz: