Erstes Kapitel

Es ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und es giebt kaum irgend einen feierlichen Akt, der nicht sein komisches Zwischenspiel in sich erzeugte.

So war denn auch der frohen Erhebung jener ersten Stunde, in welcher ich über meine Zukunft entschied, gleich an demselben Tage eine sehr komische Niedergeschlagenheit und ein lächerlicher Vorgang gefolgt.

Mein Vater schickte mir, wahrscheinlich um mir ein Vergnügen zu machen, durch seinen Lehrling den Betrag meines ersten Honorars in harten Thalerstücken herauf, aber statt mich daran zu erfreuen, war es mir äußerst widerwärtig, das Geld zu nehmen. Auferzogen in einer Umgebung, in der alle Frauen es gewohnt waren, von ihren Männern oder Vätern versorgt und unterhalten zu werden, und sich vornehmer zu dünken, je reichlicher dieses geschah, kam ich, die doch seit Jahren gar kein höheres Verlangen als das nach Selbstständigkeit gehabt hatte, mir plötzlich wie herabgesetzt, wie aus meiner angestammten Kaste ausgestoßen vor, als ich mit diesen acht Thalern die Gewißheit vor mir hatte, daß ich von diesem Tage an beginnen werde, für Geld zu arbeiten, um mir mein[3] Brod einmal selber zu erwerben. Ich war ziemlich nahe daran, der Abwechslung wegen, in Thränen der Rührung darüber auszubrechen, daß ich nun endlich meinen Willen hatte. Das währte jedoch nicht lange, und die Ueberlegung, was ich mit diesem Gelde kaufen solle, nahm dann zunächst meinen Sinn in Anspruch.

Daß es nicht für mich zu verwenden sei, stand fest. Mein ältester Bruder hatte uns dafür das Beispiel gegeben, als er mit dem ersten Gelde, welches er als Auskultator oder Referendar verdient, den Eltern ein Paar silberne Serviettenbänder angeschafft, auf welchen das Datum und die Worte: »Die ersten Sporteln« eingegraben waren. Meinem Vater Etwas zu kaufen, war beinahe unmöglich, denn er hatte außer den Kleidern, die er trug, und außer einfacher Kost, durchaus keine persönliche Bedürfnisse. Er rauchte nicht, ein Schlafrock und ähnliche Bequemlichkeiten waren ihm damals, in seinem dreiundfünfzigsten Jahre, noch völlig fremd, da er von früh bis spät gleichmäßig angezogen blieb, was denn das Gute mit sich brachte, daß auch uns Allen jene üble Gewohnheit der Mittelstände, »sich in Negligé zu werfen«, ebenfalls fremd geblieben ist. Schmuck zu tragen, wäre ihm lächerlich erschienen, und bis wir sämmtlichen Kinder ihm einige Jahre vor seinem Tode einmal eine goldene Uhr und Kette zum Geburtstage schenkten, war seine alte silberne Uhr, da er den Trauring verloren hatte, das Einzige, was er über das Unentbehrliche hinaus besaß.

Ich hatte also nur die Möglichkeit, wie der Bruder es gethan, ein Stück in die Wirthschaft anzuschaffen; und[4] da unserer hübschen und reichlichen Silbereinrichtung zufällig ein Paar Messer zu Butter und Käse fehlten, von deren Kauf die Mutter oft als von einer gewissen Nothwendigkeit gesprochen hatte, so beschloß ich, ihr diese zum Geschenk zu machen.

Die Mutter wohnte noch in der Sommerwohnung, die sie schon über ein Jahr inne hatte. Der Tag, es war der vierte Juli, war außerordentlich heiß, trotzdem lief ich gleich am Vormittage, weil die Lust zu schenken mir keine Ruhe ließ, zu den verschiedenen Goldschmieden umher, und erlangte es denn auch, daß Herr Krickhahn, bei dem ich das mir Zusagende gefunden, mir die Chiffre meiner Mutter und das Datum des Tages bis um vier Uhr Nachmittags zu graviren versprach. Die Worte: »vom ersten Verdienste« darauf setzen zu lassen, mußte ich mir versagen, da kein Fremder dies wissen sollte, aber ich konnte die vierte Stunde kaum erwarten, und als mein Vater zum Kaffee kam, hatte ich ihm das gekaufte Silber mit großer Freude auf den Tisch gelegt.

Er nahm es mit der heitern Wärme auf, mit welcher ich es dargeboten hatte. Er scherzte darüber, daß seine Kinder ihm bald einen »Staatstresor« anschaffen wür den, wenn es so fortginge, und es verstand sich nun von selbst, daß ich mich gleich aufmachen sollte, der Mutter den Brief von August Lewald, mit all seinen guten Nachrichten und die beiden silbernen Messer als den ersten Ertrag meiner Arbeit auf die Hufen hinaus zu bringen.

Als ich nun eben auf den Wolm hinaustrat, um von Hause fortzugehen, kam eine Wursthändlerin, welche uns allwöchentlich mit den für den Thee nöthigen Würsten[5] versah. Es befand sich unter diesen eine Art frischer Leberwürste, welche meine Mutter besonders gern aß, und die im Sommer immer nur an dem Tage genießbar waren, an welchem man sie fabrizirte. Ich kaufte also von meinem Gelde, um mir nebenher noch einen Spaß zu machen, die größte dieser noch ganz warmen Würste, wickelte sie gut ein, und ging nun meines Weges.

Kaum aber war ich eine Strecke von Hause entfernt, und hatte die Krämerbrücke erreicht, so mußte ich warten, weil sie aufgezogen war. Während ich nun unter den andern Leuten dastand, kam ein kleiner Hund an mich heran, und es dauerte nicht lange, so folgte ihm ein großer. Ich hatte in jener Zeit, weil ich als kleines Kind einmal von einem Hunde gebissen worden war, den man für toll gehalten hatte, noch eine so unvernünftige Furcht vor Hunden, daß Geschichten über diese meine Angst zu den Lieblingsanekdoten der Familie gehörten, und auch jetzt befiel mich ein wahrer Schreck bei der Bemerkung, daß es die warme, stark nach Majoran duftende Wurst sei, welche mir die Hunde an die Seite lockte. Ich versuchte die Thiere mit den Falten meines Kleides, mit meinem Sonnenschirm, mit ergrimmten Blicken und mit dem barschen Zuruf: fort! von mir zu verscheuchen, es blieb Alles vergebens. Der Wurstgeruch wirkte mächtiger auf sie, als die so oft gepriesene Gewalt des menschlichen Blickes, und schon stand ich – da die erworbenen acht Thaler siebzehn Groschen mich sehr leicht in Bezug auf Geldausgaben denken ließen – auf dem Punkte, die Wurst, welche zehn Groschen gekostet hatte, dem ersten besten Armen zu geben, der mir in den Weg[6] kommen würde, als ich mir einen Akt der Selbstüberwindung aufzuerlegen beschloß, um meiner Mutter den kleinen Leckerbissen nicht zu entziehen.

So rasch ich konnte, schritt ich also, um nur je eher je lieber der Qual entledigt zu werden, die Steindammer Brücke in die Höhe, den langen im Sonnenbrande glühenden Steindamm entlang, im Voraus immer berechnend, und die Seite vermeidend, an welcher ein Schlächter wohnte, und von woher mir also wahrscheinlich ein Hund entgegenkommen konnte. Aber das half mir gar Nichts. Es schien mir in meiner Seelenangst, als ob an dem Tage alle Hunde der Stadt sich ein Rendezvous auf meinem Wege gegeben hätten. Hier wedelte ein Wachtelhündchen um mich herum, da stieg ein dicker Mops, denn es gab damals noch Möpse, wirkliche dicke Möpse mit schwarzen Nasen und glotzenden Augen, neben mir einher, dort sprang ein Köter über den Weg und folgte mir schnuppernd, daß ich, immer mehr in Furcht gejagt, immer schneller zuging, meine Wurst festhaltend, wie ein Fähnrich seine Fahne im ersten Kugelregen, bis ich denn, auf's Aeußerste erhitzt, mit dem Bewußtsein, aus Liebe etwas mir sehr Schweres gethan zu haben, und mit der Hoffnung, große Freude zu erregen und herzlich empfangen und bedankt zu werden, in der Sommerwohnung meiner Mutter landete.

Die Mutter und die Schwestern saßen unter den Pappeln vor dem Hause und vesperten. Meine Mutter hatte während ihrer Mittagsruhe nicht gut geschlafen, sie war ermattet aufgewacht und dadurch mißgestimmt. Ich packte, als ich das gewahrte, zuerst die Wurst aus, um[7] die Ueberraschungen zu steigern, erzählte lachend, wie es mir damit gegangen, und meine Mutter fragte, ob ich nicht irgend einen andern Gegenstand mitgebracht hätte, dessen sie in ihrer kleinen Haushaltung bedurfte, und den sie durch die Wirthstochter, welche in die Stadt gegangen, bei uns hatte bestellen lassen. Ich verneinte das, denn das junge Mädchen war noch gar nicht bei uns gewesen, als ich mich von Hause entfernt. Der Mutter war das unangenehm, und um dies gut zu machen, holte ich denn nun wirklich freudestrahlend meine beiden Messer hervor, denen, wie ich wähnte, denn in solchen Augenblicken wird Jeder wieder zum Kinde, gar nicht zu widerstehen war.

Leider hatte ich jedoch die Macht der Krankheit über den Sinn des Menschen nicht in Betracht gezogen. »Was ist das?« fragte meine Mutter gleichgültig. Ich sagte, das sei mein erster Verdienst. August Lewald ermuntere mich auf das Entschiedenste zu literarischer Arbeit, der Vater sei damit einverstanden; kurz ich brachte so schnell als möglich all meine Freuden an den Tag, und schloß damit, diese Messer als die Nachfolger der Serviettenbänder anzukündigen, wobei ich hervorhob, daß die Mutter sie ja schon lange zu besitzen gewünscht hätte. Sie mußte das aber offenbar in dem Augenblicke ganz vergessen haben, denn sie, die in guten und gesunden Tagen sich über eine Reihe Stecknadeln, die man ihr schenkte, wirklich freuen konnte, legte die Gabe, die ich so glücklich gewesen war, ihr bieten zu können, ohne dieselbe auch nur recht anzusehen, mit den Worten auf die Seite, daß das eine höchst unnütze Ausgabe sei, und daß ich mein Geld lieber hätte verwahren sollen.[8]

Zurückgewiesen und getadelt zu werden, wo man sich offenen Herzens liebevoll genaht, ist sehr empfindlich, und war es mir in diesem Augenblicke und grade von meiner Mutter um so mehr. Es schnürte mir den Hals zu, all meine Freude war mit einem Schlage vorüber, ich dachte: Du hast nun einmal kein Glück! – und es war sehr gut für mich, daß meine Schwestern erriethen, wie mir zu Muthe war, und mich mit ihrer Freude und ihrem Antheil für die mangelnde Theilnahme meiner Mutter zu entschädigen suchten.

Ich war ganz kleinlaut geworden, ganz zusammengedrückt, als mein Vater am Abende hinauskam. Seine Anwesenheit machte die Mutter ihre schweren Leiden und ihren Unmuth stets vergessen, und da sie sah, wie gut gelaunt er forderte, daß man, um mir ein Vergnügen zu machen, die Messer gleich einweihen solle, so fing nun auch die Mutter sich zu freuen an, die Geschwister waren beisammen und sehr munter, wir gingen in der Stube zu Tisch und befanden uns über irgend einen drolligen Vorgang in lautem Lachen, als Rath Crelinger unerwartet in das Zimmer trat, von unserm Lachen angesteckt, sich ebenfalls dazu hingerissen fühlte, und unsere Lachlust dadurch, daß er lachte, ohne zu wissen worüber, bis zu dem Grade steigerte, daß es den ganzen Abend zu gar keiner vernünftigen Erklärung kam, und wir danach sehr heiter, in bester Laune, und Alle sehr zufrieden mit einander in die Stadt zurückkehrten.

Als ich nun zu Hause vor dem Schlafengehen mein Mährchen zum ersten Male gedruckt vor Augen hatte, und es zu lesen begann, kam es mir verändert vor. Es[9] gefiel mir mehr und weniger als im Manuscripte. Es las sich besser, es klang vornehmer, nun es sich so glatt anhören ließ, aber es schien mir an Wärme und Leichtigkeit verloren zu haben. Ich wunderte mich, wo ich die guten Einfälle hergenommen – während ich in Briefen oft ernstere und durchdachtere Dinge geschrieben hatte, ohne mir irgend eine besondere Rechenschaft darüber zu geben oder gar mir ein Bewußtsein daraus zu machen – und wunderte mich ebenso, wo ich den Muth gefunden, diese Spielereien den Menschen zum Lesen anzubieten. Ich machte, ohne es zu wissen, die Erfahrung von der abtrennenden Wirkung, welche der Druck einer Arbeit auf das Verhältniß des Schreibers zu derselben ausübt, und es dämmerte mir dabei die erste Ahnung davon auf, daß man an jede Kunst bis zu einem gewissen Grade die Anforderungen machen muß, welche man an die Plastik stellt, mag diese einen erhabenen oder einen Gegenstand aus dem alltäglichen Leben zu ihrem Stoffe gewählt haben. Allem Bleibenden, allem Demjenigen, das in seiner gegenwärtigen Gestalt nicht mehr zu ändern ist, muß die strenge Festigkeit und Abgeschlossenheit des Monumentalen innewohnen, wenn es wohlthuend und zugleich überzeugend und zwingend auf uns wirken soll. Das sogenannte Natürliche, Unwillkürliche leidet darunter nicht. Es gewinnt im Gegentheil dadurch; denn in der Kunst wirkt nur Dasjenige als wahrhaft schöne Natürlichkeit, das durch die Kunst geläutert und, alles Zufälligen entkleidet, in verklärter Naturschönheit und Naturwahrheit vor uns hingestellt wird. Man hat daher vollkommen recht, von der plastischen Darstellung in Sprache und[10] Schrift zu sprechen, und die Parallele wird dadurch nur vervollständigt, daß der Stoff eine verschiedene Behandlungsweise erfordert, je nach dem Material, in welchem er zur Erscheinung gebracht werden soll. Die Schrift, der Druck und das gesprochene Wort haben ihre modifizirende Wirkung, aber es möchte nicht leicht sein, die Gesetze und Regeln dieser Verschiedenheit einem Menschen klar zu machen, der die angeborne Empfindung für dieselbe nicht in sich ausgebildet hat.

Je weniger mein kleines Mährchen mir genug that, um so mehr drängte es mich, etwas Besseres zu machen, und mir selbst in einer größern Arbeit die Ueberzeugung zu schaffen, daß ich leisten könne, was der Freund mir zu leisten zutraute. Um einen Stoff war ich nicht verlegen, und Muße hatte ich auch, denn es war schon seit mehreren Wochen abgeredet worden, daß ich mit dem Beginne des August zu meiner Mutter auf die Hufen hinausziehen, und meine älteste Schwester mich in der Stadt im Haushalte, den ich nun ein volles Jahr lang allein verwaltet hatte, ablösen sollte. Die Eltern hatten das meiner Gesundheit wegen so angeordnet, die schon seit lange nicht gut war. Ich sollte also frische Luft und Bewegung haben, und nun man mir Zeit für meine Arbeit gönnen wollte, wurde die Uebersiedelung nur um so schneller in's Werk gesetzt.

Im Ganzen machte der Entschluß, den ich für meine Zukunft gefaßt, auf die Meinen im ersten Momente einen lebhaftern Eindruck als ich erwartet hatte. Ich kam ihnen dadurch einige Tage lang fremd und verändert vor. Indeß das glich sich schnell wieder aus, Jeder sah sich das[11] gedruckte Mährchen an, Jeder fragte mich, was ich denn nun weiter machen würde, und damit war es abgethan, bis auf eine Menge freundlicher und wohlgemeinter Neckereien, und eine Folge von nicht endenden Projekten, in denen ich und die Schwestern uns gelegentlich um die Wette ergingen, und die alle darauf hinausliefen, daß ich mir einen Namen erwerben und daß es mir in der Welt sehr gut ergehen würde.

Sobald ich mich bei meiner Mutter eingerichtet hatte, machte ich mich an die Arbeit. Mir hatte oftmals vorgeschwebt, welches meine Lage geworden wäre, wenn man mich zu jener sogenannten Vernunftheirath überredet, und ich nachher den Geliebten wiedergesehen haben würde, und ich hatte mich dann oftmals mit der Frage beschäftigt, ob mein Pflichtgefühl stark genug gewesen sein würde, über meine Leidenschaft den Sieg davon zu tragen. Ich hatte mir eine Menge von Situationen erdacht, hatte das Für und das Wider nach allen Seiten hin erwogen, hatte mir bald einen verzweiflungsvollen Untergang, oft auch eine edle und sehr erhabene Entsagung ausgemalt, und da mein ganzer Sinn nach allen Richtungen darauf gestellt war, mich an das Nächste zu halten, so suchte ich auch jetzt nicht nach besondern Ereignissen, griff auch nicht in ferne Zeiten, oder vornehme Regionen hinüber, wie Anfänger das gern und meist zu ihrem Nachtheil thun: sondern ich hielt mich einfach an das, was ich genau kannte, an Menschen, an Charaktere, und an Verhältnisse, bei denen ich mich über keine Unwahrheit oder Unwahrscheinlichkeit mit jenem besänftigenden und beschönigenden »es könnte wohl so sein«, oder »es wird wohl[12] so sein« zu beruhigen vermochte, und so entstand denn der kleine Roman »Clementine«, den ich eben jetzt, nach langen Jahren, zum ersten Male wieder angesehen habe.

Denjenigen, welche ihn gelesen haben und sich seiner noch etwa erinnern sollten, brauche ich nun nicht mehr erst zu sagen, daß die Vorgänge und Figuren des Romans erfunden sind, und daß Nichts der Wirklichkeit entnommen ist, als der Gang meiner Gedan ken und die äußere Gestalt des Helden, in welcher ich mir das Bild Heinrich Simon's, wie er mit siebenundzwanzig Jahren ausgesehen, festzuhalten bemüht gewesen bin. Aber schwerer als dieses Unternehmen, mir die liebe Gestalt im Worte darzustellen, möchte es sein, die Erregung und das leidenschaftliche Glück zu schildern, womit das Arbeiten an dem kleinen Romane mich erfüllte.

Von Kindheit auf an eine regelmäßige Zeiteintheilung gewöhnt, hatte ich es mir gleich zum Gesetz gemacht, auch meine neue Thätigkeit dahin zu regeln, daß ich am Morgen, wenn ich fertig angezogen war, mich an die Arbeit setzte. Die Erkerstube, welche ich in der Sommerwohnung inne hatte, war dann noch nicht aufgeräumt, ich ging also mit meinem Schreibwesen in die Laube des kleinen bäuerlichen Gartens, und da saß ich nun die ganzen Morgen still für mich allein und schrieb und schrieb, mit einer so reinen und großen Freude, daß ich noch heute gern daran gedenke.

Die Sonne schien so warm durch die grünen Blätter, die Ranken des Geisblatt wiegten sich so leise auf und nieder, hier und da flog ein Vogel aus dem Grün empor, daß sein Schatten über mein Papier hinweg huschte, während[13] die Sonnenfunken – nicht eben zum Nutzen meiner Augen – darauf flimmerten und tanzten. Es war so mährchenhaft still und schön. Schöner aber noch und mährchenhafter dünkte mir die Welt der unsichtbaren Gestalten, die mich umgab. Diese Männer und Frauen, von deren Dasein Niemand wußte, die Niemand kannte als ich allein, die mir sammt und sonders sympathisch waren mit ihren Eigenschaften und Mängeln, die ich nur zu rufen brauchte, damit sie auf meinen Wink erschienen, die mir ihre Leiden und Freuden vertrauten, denen ich half und rieth, denen ich wehrte und gebot, die mein eigen und doch nicht ich selber waren, die ich übersah, und die ich doch als Ideale über mich stellte – ich war ganz erstaunt über ihr Dasein, und hatte sie doch sammt und sonders erschaffen. Dieser Freude an den Gestalten gesellte sich nun noch die Wonne hinzu, durch ihre Vermittlung einmal Alles sagen zu können, was mir seit so vielen Jahren auf dem Herzen gelegen hatte, und es sagen zu können, ohne daß man mich zurecht wies, ohne daß man mir widersprach, ohne daß ich mich zu mäßigen und Rücksicht zu nehmen und ohne daß ich es zu meiner Vertheidigung zu sagen brauchte. Es ist ein solches Glück, seine innerste Ueberzeugung aussprechen, seinen Glauben bekennen zu dürfen! Wäre das nicht der Fall, die Zahl der Märtyrer auf allen geistigen Gebieten würde lange nicht so groß geworden sein!

Mir klopfte das Herz vor Entzücken, wenn ich niederschrieb, was ich über die Liebe, über die Ehe dachte. Es war mir wie das Niederlegen eines Glaubensbekenntnisses. »Ich hasse die Ehe nicht«, ließ ich einmal die Heldin des[14] Buches, Clementine, in einem Briefe an ihre Tante schreiben, »ich hasse die Ehe nicht, im Gegentheil! Ich halte sie so hoch, daß ich sie und zugleich mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne daß mein Gefühl Theil daran hätte. Was kann es Beglückenderes geben, als mit einem geliebten Manne sein Leben zu verbringen? Für ihn zu sorgen, seine Freuden und Leiden zu theilen; zu wissen: Alles, was mein Herz bewegt, Alles, was mich berührt, theilt und fühlt mein bester Freund mit mir? Beide leben dann ein doppeltes Leben. O! ich habe mir das oft himmlisch schön gedacht, ich habe es heiß gewünscht, und ich halte heute noch die Ehe für den einzigen Weg, der den Menschen zu der größten Vollkommenheit führt, die seiner Individualität möglich ist. Darum aber kann ich den Gedanken an eine gleichgültige Ehe nicht ertragen, weil sie für mich eine unglückliche wäre; und ich habe es nie begreifen können, wie in der Ehe irgend Etwas die Menschen an einander kettet, als ihr Herz. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann. Rein, wie ein Engel des Lichts, geht das Weib aus den Armen ihres geliebten Gatten hervor, und wenn man mir, nach dem katholischen Ritus, die Madonna die reine Mutter Gottes nannte, hat für mich ein rührend tiefer Sinn darin gelegen, ein ganz anderer Gedanke, als die Kirche ihn will. Ja! die Ehe ist rein! und aus der Umarmung liebender Gatten kann ein göttlicher Mensch, ein Retter der Welt entstehen. – Aber was hat man aus der Ehe gemacht? – Ein Ding, bei dessen Nennung wohlerzogene Mädchen die Augen[15] niederschlagen, über das Männer witzeln und Frauen sich heimlich lächelnd ansehen. Die Ehen, die ich täglich vor meinen Augen schließen sehe, sind schlimmer als Prostitution. Erschrick nicht vor dem Worte, da Du mich zu der That überreden möchtest. Ist es denn nicht gleich, ob ein leichtfertiges, sittlich verwahrlostes Mädchen sich für eitlen Putz dem Manne hingiebt, oder ob Eltern ihr Kind für so und so viel Tausende opfern? Der Kaufpreis ändert die Sache nicht; und ich gestehe Dir, ich würde das Weib, das augenblickliche Leidenschaft und heißer Sinnentaumel hinreißen, groß finden, gegen diejenige, die, das Bild eines geliebten Mannes im Herzen, sich dem Ungeliebten ergiebt für den Preis seines Ranges und seines Namens.«

Es war mir, als hätte ich eine That gethan, einen Freiheitskampf bestanden, einen mir nicht mehr zu entreißenden Sieg erfochten, wenn ich solche Worte vor mir auf dem Papiere hatte, wenn ich mir dachte, daß mein Vater sie lesen, sie als meine Ueberzeugung vor der Oeffentlichkeit ausgesprochen lesen würde. Ich dachte Tag und Nacht nur an meine Arbeit, meine ganze Seele war davon entflammt, ich vergaß die Zeit, es raubte mir den Schlaf.

Mitunter, wenn ich in meiner Laube saß, bis der Mittag heraufkam und die heiße Augustsonne mir auf den Scheitel brannte, kam die Mutter zu mir, mir mein Frühstücksbutterbrod zu bringen. Sie sah dann mein flammendes Gesicht, sie scherzte gutmüthig darüber, daß die Wangen mir so glühten, und nannte mich neckend: ihren armen Poeten! Aber sie ließ mich ruhig gewähren,[16] und schwer krank, wie sie es damals schon selber war, hatte sie Mitleid mit mir, denn auch mir ging es übel, und die ungewöhnliche Aufregung, in welche mein Arbeiten mich versetzte, verschlimmerte das Nervenleiden, das mich plagte.

Fast in jeder Nacht, und oftmals auch am Tage, wurde ich von einem Herzkrampf befallen, der mir den Athem nahm, mir den Angstschweiß auf die Stirne trieb, und mich auf das Aeußerste ermattet zurückließ, wenn er vorüber war. Gefährlich sollte diese Beschwerde nicht sein, ich hatte sie schon nach der Trennung von Leopold hie und da gefühlt, jetzt aber war es bei weitem schlimmer. Ich magerte ab, und denke noch mit Grausen an die Angst jener Tage und Nächte. Unser Arzt, der treffliche Doktor Kosch, verordnete mancherlei, indeß da ich es ihm auf ausdrücklichen Befehl meines Vaters verheimlichte, daß ich schrieb und daß diese Thätigkeit mich so gewaltig anspannte, so machten wir es ihm unmöglich, sich meine wachsende Ueberreizung richtig zu erklären, und als er mich eines Tages in einem heftigen Weinkrampf antraf, erklärte er mir sehr energisch, wie seine Kunst solcher Art von Nervenleiden gegenüber völlig machtlos sei, wie mir gar Nichts zu meiner Herstellung übrig bleibe, als mich gewaltsam zusammen zu nehmen, und jene Selbsterziehung zu beginnen, die in Selbstbeherrschung bestehe, und ohne welche ich für mein ganzes Leben verloren sein würde. »Wenn Sie sich Weinkrämpfe passiren lassen,« sagte der wackere Mann, »so weiß ich keinen Rath. Sie haben nicht nöthig, sich damit interessant zu machen, und wohin das Nachgeben gegen Nervenleiden führt, haben Sie zu[17] sehen Gelegenheit gehabt. Leidend sind Sie, aber Sie leiden nicht schwerer, sondern weniger, wenn Sie den Anfall ruhig aushalten, ohne zu weinen. Und haben Sie Zutrauen zu mir, so werfen Sie auch all' die Paliativmittel fort, die ich ihnen bisher gegeben habe. Auf die Länge nützen Sie Ihnen gar Nichts. Je entschiedener Sie sich aber sagen, daß Ihnen Nichts hilft, als ruhig zu bleiben, um so wahrscheinlicher ist's, daß Sie das Leiden allmählich wieder los werden. Es sind genug nervenschwache Frauenzimmer auf der Welt, und es ist wirklich nicht nöthig, daß Sie deren Zahl noch vermehren helfen. Nehmen Sie sich zusammen!«

Sein etwas scharfer und kalter Ton machte mir den Ausspruch sehr hart klingen, indeß so böse ich auf ihn war, fühlte ich doch, daß er Recht hatte, und habe es ihm in meinem Innern später viele tausendmal gedankt, daß er es nicht scheute, mir weh zu thun und mich zu verletzen, um mich zur Besinnung zu bringen, und daß er genug Glauben an meine Vernunft und an meinen guten Willen hatte, um mir das »hilf Dir selbst, und Gott wird Dir helfen!« auch auf diesem Gebiete in das Gedächtniß zu rufen.

In allen solchen Fällen kam mir neben meiner Vernunft immer auch der Stolz zu Hülfe, der sich nicht beklagen und bemitleiden lassen mag, und auch in diesem Punkte begeht man bei der Erziehung der Frauen ein Unrecht, wenn man sie von Jugend auf in dem Wahne erzieht, daß sie nicht blos das schwächere, sondern überhaupt das schwache Geschlecht sind, daß sie weniger ertragen können, daß sie eher ihren Leiden nachgeben dürfen,[18] als der Mann. Schäme Dich! sagt man zum Knaben, wenn er sich über einen Schmerz beklagt, Du bist ja ein Junge! Dem Mädchen ruft man das selten zu. Man tröstet es, man beklagt es leichter, und macht so dem Geschlechte, das, seiner Naturbestimmtheit nach, vielfach zum Ertragen von Unbequemlichkeiten, von Leiden und Schmerzen gezwungen ist, statt es mit geistiger Kraft gegen dieselben auszurüsten, mit einer systematischen Verzärtelung die Weichlichkeit zu einer ihm zustehenden oder gar angebornen und also berechtigten Eigenschaft. Man kajolirt die Empfindlichkeit der Mädchen und wundert sich nachher über das nervenschwache und hysterische Geschlecht. Aber auch die Aerzte sind zum Theile mit daran Schuld; denn in den tausend und aber tausend Fällen, in welchen sie nicht mit ihren Medikamenten und Säften helfen können, sondern erziehend und berathend helfen müßten, fehlt ihnen das, was kein Professor lehren und kein Staatsexamen ergründen und bescheinigen kann: der Muth der Ehrlichkeit und der feste, männliche Charakter. Es steckt in gar vielen Aerzten noch ein gutes Stück der Priesterkaste, aus der sie hervorgegangen sind. Das Geheimthun ist ihnen lieber als die Wahrheit, ihr Nimbus ihnen mehr werth als das Wohl des Kranken. Und die einzige Eigenschaft, welche sie aus ihrer Priesterkaste hinübernehmen müßten, die Eigenschaft treue und verständnißvolle Seelsorger zu sein, geht den Einen ab, und wird Denen, die sie vielleicht besitzen, durch die falsche Zurückhaltung der Kranken auszuüben unmöglich gemacht – eben wie es unserm Arzte in meinem Falle geschah.[19]

Ich trug denn nun, nach des Doktors Ermahnung, mein Herzklopfen und meine Beklemmung mit wachsender Geduld, und schrieb daneben an meinem Romane mit einem Eifer fort, daß ich das Bändchen im Verlaufe eines Monats zusammen hatte. Und nun bewiesen sich mir die gründliche Schulbildung und die juristische Distinktionskraft meines Bruders, dem ich meine Arbeit zur Durchsicht übergab, von großem Nutzen. Streng und gewissenhaft, wie er ein Aktenstück untersucht haben würde, prüfte er jeden Satz, machte er mich auf jede Unklarheit im Ausdruck, auf jede Unregelmäßigkeit im Satzbau aufmerksam. Das war mir nicht immer angenehm. Es kam mir oftmals vor, als zerre er an meinen eigenen Gliedern, wenn er mir die Sätze, in denen ich meine erhabensten Gedanken und meine allerfeinsten Empfindungen niedergelegt zu haben glaubte, so auseinandernahm und logisch analysirte. Ich mußte dabei unwillkürlich an Hoffmann's automatische Figur denken, welcher, dem Liebenden gegenüber, die schönen Augen aus dem Kopfe genommen werden; aber zweckmäßig war diese Schulung Nichts destoweniger. Wenn ich bei allem Sachlichen, sofern ich selbst es nicht auf das Genaueste in seinen Einzelnheiten kannte, darauf hingewiesen wurde, mir bei Fachleuten auch über das anscheinend Geringfügigste genaue Auskunft zu holen, so gehörte das eben auch zu jenem »Arbeiten mit dem Schurzfell«, ohne welches man in keiner Kunst und in keiner Wissenschaft über das Dilettantische hinaus zu etwas Ordentlichem kommen kann, und welches doch grade manche[20] Schriftsteller und vor allem so viele Schriftstellerinnen als etwas Unwesentliches zu betrachten lieben.

Der Glaube, daß man durch Inspiration etwa auch die Regeln der deutschen Grammatik und Einsicht in die Technik der verschiedenen Gewerbthätigkeiten empfange, daß man durch seine idealen Empfindungen den deutschen Satzbau und die Culturzustände der Vergangenheit oder die Sitten und Gebräuche der vornehmen Welt und des Auslandes kennen lerne, hat mir später oft recht viel zu schaffen gemacht, wenn meine jungen Colleginnen mir die meistens etwas unbequeme Ehre erzeigten, mein Urtheil über ihre Leistungen, d.h. meine Bewunderung für dieselben zu verlangen. Sagte ich einer Dame: »Sie haben gewiß Talent, aber Sie müssen Grammatik lernen, denn Sie brauchen die Conjunktive und selbst die Präpositionen falsch!« so sprach die junge Muse mir natürlich alles tiefe Gefühl und alle »poetische« Empfindung ab. Stellte ich einer Andern vor, daß eine vergossene Tasse Kaffee nicht in »Kaskaden vom Tische herunterrieseln« könne, so sah ich es ihr an, für wie pedantisch sie mich hielt. Bedeutete ich einer Dritten, daß man so und so viel Fuß weit nicht springen, daß man unter diesen und jenen Verhältnissen also ganz unmöglich eine Flucht bewerkstelligen könne, so erhielt ich die zurechtweisende Belehrung, daß der Dichter sich so viel Freiheit wohl nehmen dürfe, und daß dies eben die poetische Licenz sei. Fragte ich eine Vierte, was sie sich denn bei dem und jenem Satze eigentlich gedacht habe? so blickte sie mich verwundert an, und begriff nicht, daß ich mir bei jedem Satze »Etwas denken wolle«, und daß ich nicht im Stande war, aus[21] dem konfusen Gewirr ihrer Worte, ihre hinduselnden Empfindungen nachzufühlen. Kurz, wo ich lehren sollte, wurde ich in der Regel indirekt darüber belehrt, daß es mir an Einsicht in das Wesen der Dichtkunst gebreche, welches auf Inspiration beruhe, und daß mir das Verständniß für jene Art der Poesie abgehe, welche dem weiblichen Gemüthe angeboren sei, und es so unwiderstehlich zum Dichten antreibe, daß man, auch ohne etwas Rechtes gelernt zu haben, ihrem Drange unbedenklich folgen müsse.

Es war dann ganz umsonst, wenn ich ihnen auseinandersetzte, wie ich gegen ihr Dichten gar Nichts einzuwenden hätte, sofern sie es, wie das Beten, in ihrem stillen Kämmerlein betreiben wollten, und mich nur dagegen wehrte, daß sie, um ihren Namen auf einem Titelblatte prunken zu sehen, Thorheiten drucken ließen, gegen welche sich der Spott der Männer mit Fug und Recht erheben müsse. Vergebens machte ich sie darauf aufmerksam, daß der Dichter sich neben dem idealen Verhältniß zu seinen Lesern auch in einem ganz realen Verhältniß zu ihnen und zu seinem Buchhändler befinde, und daß der Schriftsteller, welcher hingeschluderte Arbeiten, Arbeiten, an die er nicht sein ganzes Können und Vermögen und seinen gewissenhaft ehrlichen Fleiß gewendet habe, um Nichts besser, ja in meinen Augen schlimmer sei, als der Krämer oder der Bäcker, der für gutes Geld schlechte Waare verkaufe. Ich wurde dann gewöhnlich mit einem vornehmen oder mitleidigen Lächeln abgelohnt, und sie verließen mich, zu meiner großen Erleichterung, mit der sie beglückenden Ueberzeugung, daß sie mich überschätzt[22] und viel zu gut von mir gedacht hätten, da ich nach meinen eigenen Geständnissen jener Art von Inspiration entbehrte, welche von der Arbeit und Solidität des künstlerischen Studiums befreit.

Keinem Maler, keinem Bildhauer, keinem Schauspieler, keinem Architekten oder Musiker fällt es ein, daß er seine Kunst vor dem Publikum ausüben könne, ohne ihre Regeln, ihre Technik, ihre Gesetze studirt, ohne sie durch eine gewisse Praxis erlernt zu haben; nur mit der Dichtkunst, mit dem Schreiben für die Oeffentlichkeit solle es nach der Meinung vieler Frauen und auch vieler Männer anders sein, und wird es anders gehalten. Nun: es geht dann auch eben wie es kann, und sie sind »Narren auf ihre eigne Hand!«

Da mir nun beim Beginne meiner schriftstellerischen Thätigkeit ernster und guter Rath zur Seite stand, und mir auch alles Unfehlbarkeitsbewußtsein, aller Glaube an die zwingende Inspiration abging, denn ich hatte meiner Lust zum Dichten stets mißtraut, und mir nie ein Dichtertalent zugestanden, ehe man es mir zuerkannte, so sah allerdings mein schönes Clementinen-Manuscript trübselig genug aus, als ich es mit meinem Bruder durchgenommen hatte; und wollte ich meinem Vetter Lewald das Lesen desselben nicht beschwerlich machen, so blieb mir Nichts übrig, als es von Anfang bis zu Ende noch einmal abzuschreiben, und in dieser Reinschrift legte ich es denn auch meinem Vater vor, der es mit sich in die Stadt nahm, um es »Abends im Bette« zu lesen.

Ich war sehr gespannt und eigentlich besorgt, meines Vaters Urtheil zu vernehmen, und da er sich nicht zu[23] übereilen pflegte, mußte ich es erwarten, bis ich etwa acht Tage später einmal in die Stadt kam, und in das Comptoir ging, um dem Vater einen Auftrag von der Mutter auszurichten. Er war beschäftigt, hatte einen Starosten und ein paar polnische Juden bei sich, hörte also meine Commission nur eben an, und versprach, am Abende, wenn es nicht zu spät werde, hinauszukommen. Als ich mich danach entfernen wollte, rief er mich mit einem: »Hör' einmal, Fanny!« zurück, und sagte mir leise: »wenn Du Deine Schreiberei mitnehmen willst, so liegt die oben in meinem Sekretair. Es liest sich ganz gut, es ist ganz hübsch!«

Wer war glücklicher als ich. Ich hatte allerdings auf mehr Lob gerechnet, dagegen aber Einwendungen gegen die Tendenz meiner Arbeit, Ausstellung gegen einzelne darin geäußerte Ansichten, selbst gegen Wendungen im Ausdruck erwartet; indeß um den Preis, dieser Letztern ledig zu sein, leistete ich auf das Erstere gern Verzicht. Ich muß es dabei meinem Vater dankend und anerkennend nachrühmen, daß er mir das Wort, welches er mir bei dem Beginn meiner literarischen Laufbahn gegeben, fest und treu gehalten, und mir für all mein Schaffen und Thun völlig freie Hand gelassen hat, selbst als seine Ansichten und die meinen sich später nicht überall im Einklang befanden. Von dem Augenblicke an, da er mir das Recht zusprach, meinen Beruf selbstständig zu erfüllen und meinen Weg zu gehen, hat er mir volle Freiheit für denselben gelassen, und mich neben sich als eine Kraft, als gleichberechtigte Persönlichkeit anerkannt, die er zu schätzen und zu respektiren hatte, wenn sie auch sein Kind[24] war. Das war aber bei einem Manne, von meines Vaters Charakter und Weise, das Höchste, was er seinem Kinde gewähren konnte. Ich habe ihm das nie vergessen; und eine gleiche Achtung vor meiner persönlichen Freiheit hat mir zu meinem Glücke später auch der freie und große Sinn meines Gatten zugestanden, so daß mir in beiden Fällen das Gehorchen und Fügen, wo es durch die Einsicht geboten war, zu einer leichten Aufgabe und Liebespflicht geworden ist.[25]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 3, Berlin 1871, S. 3-26.
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Die Reise nach Braunschweig

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