Zwölftes Kapitel

[221] Meinen Teplitzer Zuständen und meinen Planen stand aber schon an jenem Johannis-Abende eine Wandlung nahe bevor. Während ich an eine Reise nach Schlesien und an eine baldige Heimkehr nach Preußen dachte, erhielt ich die Nachricht, daß mein Vater eine meiner jüngern Schwestern zu mir senden werde, und daß ich diese zu einer Kur nach Franzensbad zu geleiten habe.

Wenn man eine Maschine, die man nach einer bestimmten Richtung dirigirt hat, plötzlich von derselben abkehrt, so giebt das immer einen Stoß. Solch einen Stoß erleiden wir auch, wenn uns die wohlausgesonnenen Plane, Plane, auf welche wir unsere Gedanken hingewendet, unerwartet über den Haufen geworfen werden. Indeß ich hatte so viel Vergnügen an der Aussicht, meine Schwester wiederzusehen, und ihr, welche bis dahin die nächste Umgebung der Vaterstadt noch nicht verlassen hatte, ein Stückchen Erde, ein Stückchen von der schönen Welt zu zeigen, daß ich mich bald in die neue Gedankenreihe hineinfand; und da ich von Natur heitern Sinnes, also auch geneigt war, jedem Dinge seine beste Seite abzugewinnen, so kehrte ich mein Auge von den Erwartungen ab, welche ich in Schlesien erfüllt zu sehen gehofft hatte,[221] um es mir in den angenehmsten Farben vorzustellen, wie ich allein mit meiner Schwester reisen, welchen Weg wir nehmen, wie viel Schönes wir dabei kennen lernen, und wie verwundert meine Pflegebefohlene dabei sein würde.

Man hat es so sehr in seiner Gewalt, sich die Gläser zu schleifen, durch welche man die Welt betrachten, und die Farbe zu wählen, in welcher man sein Schicksal ansehen will. Wer die Welt und seine Obliegenheiten in derselben in trübem Lichte zu schauen geneigt ist, dem fehlt es in der Regel an Einsicht und an Selbsterkenntniß, und vor allen Dingen an der rechten Liebe. Denn wenn es mit dem Genießen nicht eben werden will, wie wir es wünschen, nun so bleibt doch immer noch das Leisten übrig, mit dem es sich auch ganz leidlich durchkommen läßt; und ich meine, so lange die Natur noch schön ist, so lange es noch große Kunstwerke und erhabene Gedanken giebt, und so lange man noch ein Menschenwesen findet, daß unserer wirklich bedarf, kann man nicht völlig unglücklich werden, und muß das Leben noch erfreulich sein, vorausgesetzt, daß man genug Gesundheit hat, desselben genießen zu können.

Die Zeit, welche ich noch bei meiner Tante zu verweilen hatte, ging nun schnell vorüber, denn die Stunden gewinnen doppelte Flügel, wenn sie sich einem absehbaren Ziele nähern. Wir trennten uns als wahre Freunde. Sie ging nach Schlesien zurück, und ich fand mich denn am Abende des Trennungstags wieder einmal in dem Coupé einer Schnellpost, aber diesmal nicht mehr von meinem Vater oder von sonst einem Bekannten beschützt, sondern als Beschützer einer Andern. Es war mir eine[222] ganz besondere Empfindung, als die Nacht herabsank, als wir Berg auf Berg ab durch das fremde Böhmerland fuhren, auf Wegen, die ich nie betreten, durch Ortschaften und nach einem Orte, welchen ich nicht kannte, die Schwester an meiner Seite, die ich als ein Kind auf meinen Armen getragen, und die jetzt, müde und ruhebedürftig, ihren Lockenkopf zum Schlaf an meine Schulter lehnte.

Die Worte Byron's: »Doch Nichts kann so viel Freude machen, als, was man liebt, im Schlummer zu bewachen,« wurden mir recht lebendig zu einer Wahrheit. Liebe geben ist eben so beseligend als Liebe empfangen. Wie ich in meiner Jugend glücklich gewesen war, mich schlafmüde auf der Reise an meines Vaters Brust zur Ruhe legen zu können, so ließ ich jetzt mit gleicher Freude sein Kind in meinem Arme schlafen, und freute mich an den stillen Athemzügen des jungen Mädchens, und an den Lichtreflexen, welche die Laternen des Postwagens über die Schlafende warfen.

Mein Schwester war damals ein hübsches Mädchen von kaum neunzehn Jahren. Schlank, lebhaft, voll Verstand, voll übermüthiger Lebenslust, war sie dabei gutmüthig, und eben so schalkisch als naiv. Freilich hatte ein längeres Unwohlsein diesen Eigenschaften im Augenblick Abbruch gethan, aber es war doch noch genug Munterkeit in ihr vorhanden, um sie empfänglich für jeden neuen Eindruck zu machen, und wir kamen eigentlich während dieser ganzen Reise nicht aus dem Gefühl des Glückes und des Vergnügens heraus.

Wir verweilten drei Tage in Karlsbad, weil sich[223] einige von unsern Verwandten dort zur Kur aufhielten, und langten dann eines Nachmittages im Franzensbade an, wo uns Nichts weniger als eine »joyeuse entrée« zu Theil wurde. Denn ganz abgesehen davon, daß uns nach den anmuthigen Thälern und Höhen von Teplitz, nach den romantischen Umgebungen von Karlsbad, die kahle, mit Korn bepflanzte Hochebene, auf welcher Franzensbad gelegen ist, sehr reizlos und leer erschien, so goß es in Strömen vom Himmel nieder, und weder in einem der Gasthöfe, noch in einem Privathause war ein Unterkommen für die Nacht zu finden. Die Zahl der zu vermiethenden Räumlichkeiten stand damals noch außer allem Verhältniß zu der Menge der Kranken, die von allen Seiten hilfesuchend nach dem Bade kamen.

Ich wendete mich an den Badearzt, dem wir empfohlen waren; er hatte seine Privatzimmer bereits am Tage vorher einigen Freunden eingeräumt, die sich in gleicher Noth befunden, und sah sich selbst auf eine Stube beschränkt. Ich begab mich zur Badepolizei; man sagte mir, es hätten schon viele Fremde abreisen und eine Wohnung in Eger nehmen müssen, von wo sie zur Kur herüberkämen, und selbst dort würden kaum noch Quartiere zu haben sein. Auf meine Bemerkung, weshalb man in diesem Falle nicht eine Anzeige in den Zeitungen mache und die Fremden davon in Kenntniß setze, daß sie für den Augenblick in Franzensbad nicht unterkommen könnten, erhielt ich den naiven Bescheid, in einigen Tagen, spätens Ende der Woche würden ja wieder Wohnungen frei werden; und nun saßen wir bei stürzendem Regen da, ohne zu wissen, wo wir die Nacht zubringen sollten,[224] da wir nicht einmal einen eigenen Wagen hatten, in dem man doch zur Noth hätte schlafen können. Es war eine unangenehme Lage. Meine Schwester war von dem ungewohnten Reisen so ermüdet, daß sie nicht vom Flecke konnte, ich hatte eine Verletzung am Knöchel des Fußes, die ich mir bei einem Ritt in Karlsbad zugezogen. Sie machte mir das Gehen sehr beschwerlich, und die Rathschläge, die man uns für unser Unterkommen gab, erwiesen sich alle als fruchtlos. Der Eine empfahl mir, nachzuhören, ob man uns nicht für die nächsten Nächte in dem Speisesaal irgend eines Gasthauses Betten aufschlagen oder Sopha's herrichten könne, der Andre rieth, Extrapost zu nehmen und nach Eger zurückzukehren, um dort unser Heil zu versuchen; und all diese Erörterungen gingen in einer einfenstrigen Stube des Posthauses vor sich, in welcher Condukteure hin und herliefen, und deren ganzes Ameublement in Tisch und Stuhl und in einer Bettstelle bestand, auf welcher die Condukteure je nach Gelegenheit ihre Rast zu halten pflegten.

Alle meine Versuche, in der Post ein Zimmer zu erlangen, blieben vergebens, man hatte auch dort bereits den Fremden abgetreten, was man entbehren konnte; da aber der Postmeister die große Erschöpfung meiner Pflegebefohlenen sah, erbot er sich, uns das Zimmer und das Bett der Condukteure zu überlassen, und so überaus widrig der schmutzige, qualmige Raum und das unsaubre Lager auch waren, so mußte ich doch froh sein, dies Anerbieten benutzen zu können, da es uns wenigstens für diese Nacht ein Obdach verschaffte, und uns vor der Nothwendigkeit bewahrte, auf gut Glück nach Eger zurückzukehren.[225] Meine Schwester schlief, nachdem wir, so gut es anging, mit unsern Mänteln die häßliche Lagerstätte bedeckt hatten, augenblicklich ein, und mir wurde nun, diesmal freilich sehr gegen meinen Wunsch, wieder der Genuß zu Theil, »das, was ich liebte, im Schlummer zu bewachen!«

Es vergingen denn auch noch einige Tage, ehe wir zu einer aushaltbaren Einrichtung in Franzensbad gelangen konnten. Aus der Condukteurstube der Post avancirten wir in die Bodenstube eines Hotels, und erst aus dieser in die kleinen freundlichen Zimmer eines, in der Kirchstraße belegenen Privathauses, welche wir während unsres siebenwöchentlichen Verweilens in Franzensbad bewohnten.

Ich weiß nicht, welche Verbesserungen und Verschönerungen Franzensbad erfahren haben mag, seit ich es besuchte, das aber weiß ich, daß es mir damals, und obenein bei dem kalten regnerischen Sommer, als ein sehr unangenehmer Aufenthalt erschienen ist. Wir kamen aus den Pelzkragen und Gummischuhen, aus den Mänteln und Kapotten gar nicht heraus; und dazu drängte die große Masse der Fremden sich bei dem Trinken in den engen Colonnaden zusammen, oder zog mißmüthig, naß, durchregnet und frierend, über die im Nebel qualmenden Wiesen nach der Wiesenquelle hinaus, an welcher noch gar keine Colonnaden erbaut waren, und an der man also der Unbill des Wetters völlig anheim gegeben war.

Nach ein paar Tagen kannte ich jedes Haus der drei Straßen, jeden Porzellan-Mops und Chinesen an den Schaufenstern der Magazine, und der Gedanke, mich[226] unter Hunderten von kranken Menschen zu befinden, fing dazu bald schwer auf mir zu lasten an. In Teplitz, wie in allen den Orten, an welchen man das Wasser nicht trinkt, sondern nur badet, wird man das Elend lange nicht so gewahr; aber alltäglich am Morgen und am Abend diese Schaaren und Züge hustender, schleichender, gelähmter, elender Menschen zu sehen, war mir fürchterlich. Es half mir auch gar nicht, daß unter den Kurgästen sich viele befanden, die frisch und munter aussahen, denn ich fragte mich doch unwillkürlich, was ihnen wohl fehlen möge? und die Gewaltsamkeit, mit welcher ein großer Theil der Menschen sich in den Bädern pflichtmäßig zu zerstreuen, sich zu amüsiren sucht, hatte für mich vollends etwas Peinigendes.

Mitten in der Pflege meiner Schwester, der man ein strenges Regime und eine sehr zusammengesetzte Kur verordnet hatte, so daß wir fast Tag über mit Baden und Trinken und Trinken und Baden beschäftigt waren, erhielt ich von Berlin die Nachricht, daß man den genealogischen Kalender, für den ich eben die Novelle: »Der dritte Stand« geschrieben hatte, wegen einer in dieser Arbeit enthaltenen Unterredung, mit Beschlag belegt und das Erscheinen des Kalenders für den Augenblick damit verhindert habe.

Der Herausgeber des Kalenders war in seiner Verlegenheit rathsuchend zu meinem Bruder gekommen, dieser hatte sich an das Obercensurcollegium gewendet, und wir hatten nun abzuwarten, was aus der Sache werden würde.

– – »Wenn ich im Winter recht behaglich in meinem Zimmer bin,« sagte Eduard, »und durch die[227] Scheiben blickt so ein kummervolles blasses Frauengesicht zu mir hinein, oder ein Mann, dem das Elend aus allen Zügen spricht, so frage ich mich immer: warum kommt er nicht herein und nimmt mir den warmen Rock, da ich mehrere habe und ihm keinen davon abgebe, obgleich ihn friert? Warum soll denn die Frau mit dem Kaffee, der vor mir dampft, nicht ihre hungernden und frierenden Kinder erquicken, ohne daß sie mich darum fragt, da mich nicht friert und nicht hungert, auch wenn sie mir ihn nimmt? Ich hätte kaum den Muth, Diejenigen des Diebstahls anzuklagen, die der Instinkt der Selbsterhaltung, der heiße Trieb der Mutterliebe zu dem veranlaßt, was uns Verbrechen erscheint. Weil man zu engherzig ist, den Armen auf der Erde zufrieden zu stellen, verweiset man ihn auf den Himmel, wo die Huld Gottes ihm Glück gewähren soll. Und selbst dies Glück wird ihm nur für den Fall verkündet, wenn er den ungeheuren Muth gehabt, all den Versuchungen zu widerstehen, die Noth und Elend über ihn brachten. Wir lassen ihn im Elende, wir schützen ihn nicht vor Verzweiflung, wir thun Nichts, ihn vor Verbrechen zu bewahren, und sind frech genug zu sagen: Gott werde so unerbittlich, der Allweise so kurzsichtig sein, als irdische Justiz, welche den Menschen um Verbrechen bestraft, zu denen die fehlerhafte Einrichtung unserer Gesellschaft ihn fast gezwungen hat.«

In diesen ehrlich gemeinten, wenn auch nicht völlig aufrecht zu erhaltenden Behauptungen, und namentlich in den letzten Anklagen, welche zu erheben man damals noch weit mehr als jetzt Veranlassung hatte, war von dem Obercensurcollegium eine Aufreizung der niedern[228] Stände gegen die höheren, der Armen gegen die Reichen gefunden worden, und ich erhielt nun von dem Verleger des Kalenders einen Brief mit der Bitte, mich auf die Abänderung des Kapitels einzurichten, in welchem die betreffende Unterredung enthalten war, da er sich genöthigt sehen würde, Cartons drucken und die angefochtene Stelle heraus nehmen zu lassen, wenn es nicht gelingen sollte, die Beschlagnahme des Kalenders rückgängig zu machen, wofür mein Bruder sich thätig bemühte.

Daß ich eine solche Aenderung bewerkstelligen müsse, wenn es nicht zu umgehen sei, sah ich natürlich ein, indeß ich wußte nicht recht, wie ich das anzufangen haben würde, denn es ist ein mißliches Ding, um äußerer Rücksichten willen, Aenderungen an einer Arbeit anzubringen, die man als ein Ganzes gedacht, und als ein in sich Abgeschlossenes ausgeführt hat.

In diesem besonderen Falle würde es darauf angekommen sein, einer Unterredung, die sich von ihrem Anfang an, bis zu einer bestimmten Spitze gesteigert und erhoben, eben diese Spitze abzubrechen, und ich hatte, während ich den vorläufigen Versuch dieser Aenderung machte, fortdauernd das lächerliche Bild eines Menschen vor Augen, welcher einen gewaltigen Anlauf nimmt, um vorsichtig über eine Thürschwelle zu steigen. Es schien mir unmöglich, zwei Figuren, in die ich viel Wärme, eine lebhafte Beredtsamkeit und ein gewisses Pathos hinein gelegt, eine ihr ganzes Wesen kennzeichnende Unterredung mit einer gleichgültigen Wendung abschließen zu lassen, denn es kam mir dabei beständig vor, als sträubten die Figuren selber sich dagegen.[229]

Seit ich zu dichten angefangen, hatte ich mir stets nur eine relative und beschränkte Gewalt über die von mir geschaffenen Gestalten zuerkannt, und mir hatte dabei immer Goethe's Zauberlehrling, als ein Bild für das Verhältniß des Dichters zu seinen Geschöpfen vorgeschwebt.

Der Dichter hat die Macht, seine Menschen aus dem Nichts hervorzurufen, er kann sie beschwören, sie an einen bestimmten Platz hinstellen, ihnen eine angemessene Thätigkeit überweisen; aber sind sie erst da, haben sie Gestalt gewonnen, sind sie in Thätigkeit und in Verbindung zu einander getreten, so wird der Meister, der sie schuf, zum Knechte. Sie werden, wenn sie wirklich lebensfähig sind, selbstthätig und aus innerer Nothwendigkeit frei. Es bleibt dem Dichter dann nur das Gewährenlassen, und das Vorbereiten und Zurechtlegen der Umstände, an welchen die erdichteten Personen ihre Individualität zu entwickeln haben, wobei sie denn natürlich auch wieder aus ihrer innern Nothwendigkeit heraus, zu Mitschöpfern und Fortführern der Ereignisse werden.

Man hat mich bei dieser oder jener Wendung in meinen Arbeiten, bei der oder jener Schicksalsgestaltung einer Figur wohl gefragt, warum ich es eben so und nicht etwa anders, warum ich in dem einen Falle die Lösung nicht freundlicher, in dem andern Falle vielleicht nicht strenger gewählt hätte? Ich habe fast niemals eine andere Antwort darauf zu geben vermocht, als meine Ueberzeugung von der folgerechten Nothwendigkeit eben dieses Ausganges; denn die aus dem Charakter der erdichteten Gestalten hervorgehende innere Nothwendigkeit ihres äußern Handelns, ist der Compaß, welcher dem Dichter seinen Weg zum[230] Ziele angiebt. Wo man für ein Dichtwerk eine andere Lösung wünscht, als der Dichter sie hingestellt hat, wo man verlangt, seine Personen möchten so oder anders gehandelt haben, da liegt die Möglichkeit solcher Verlangniß eben nur darin, daß entweder der Leser nicht achtsam genug in das eigentliche Wesen der Dichtung eingegangen ist, was leider nur zu häufig geschieht, oder daß es dem Dichter nicht gelungen ist, den ersten Ursprung und die darauf begründete Entwicklung der betreffenden Gestalt zu einer Einheit verbunden, als einen in sich beruhenden Organismus, in einem wirklich lebensfähigen und in sich berechtigten Individuum hinzustellen.

Die Romanfiguren, die uns nicht so lebendig werden, daß sie uns gelegentlich wie unsere alten Bekannten einfallen, und daß wir uns fragen müssen, wo ist denn der Mensch her? wo bist Du dem Menschen begegnet, der Dir eben jetzt vor die Seele tritt? die sind nicht viel werth. Die Gestaltgebung ist nach meiner Meinung das Erste und das Höchste, worauf es ankommt; und wenn das »Erschaffen« als ein Zeichen der Machtvollkommenheit Gottes hingestellt wird, so ist der Grad des Gestaltungsvermögens sicher auch der Maßstab für die eigentliche Kraft des Dichters.

Mir wurde, um auf meine Kalender-Erzählung zurückzukommen, die Nothwendigkeit einer Abänderung des Dialoges, nach dem Urtheil des Obercensurcollegiums erspart; aber die Erklärung, mit welcher ich diese Gunst erlangte, war mir im Grunde eben so verdrießlich als die Abänderung es mir gewesen sein würde.

Man hatte nämlich nach verschiedenen Verhandlungen[231] das Erscheinen des Kalenders frei gegeben, jedoch mit dem Bemerken, daß man die Angelegenheit nicht weiter verfolgen wolle, weil die Novelle »von einer Frau« geschrieben sei. – Diese Nachricht, die mir von Berlin aus mit großer Genugthuung übermittelt wurde, verdroß mich über alle Maßen, so erwünscht sie mir in Bezug auf den Kalender sein mußte; denn sie berührte eine Frage, die mir seit dem Beginne meiner schriftstellerischen Thätigkeit viel zu schaffen gemacht hatte, eine Frage, in welcher ich mit vielen meiner Bekannten auseinanderging, und über die ich heute, nach einer vieljährigen Erfahrung, noch eben so denke, wie in jenen Tagen.

Es scheint mir nämlich ein Unrecht zu sein, wenn man an die Beurtheilung eines geistigen Produktes einen andern Maaßstab anlegt, als denjenigen, der aus dem Kunstwerk selbst genommen wird, oder wenn man andre Rücksichten auf die Kritik mit einwirken läßt, als solche, welche sich allein an den Werth des Geleisteten und an dessen Wirkung auf Andere beziehen. Es handelt sich, wie mich dünkt, bei einem Kunstprodukt nur um das Geschaffene, und nicht um den Schöpfer; und wo Gutes oder Schlechtes geschrieben oder gemalt worden ist, wird Beides weder besser noch schlechter durch die zufällige persönliche Lebenslage des Autors. Die Kritik eines Kunstwerks soll ein Absolutes und kein Relatives sein, sie soll ein Urtheil über das Kunstwerk und kein Schulzeugniß für den Verfasser oder Verfertiger desselben liefern. Der Schüler, welcher seinem Lehrer und Meister eine Arbeit vorlegt, muß und kann es sich gefallen lassen, wenn dieser ihn im Zusammenhange mit seiner Arbeit[232] in Betracht zieht, und es kann für ihn von Bedeutung sein, wenn der Lehrer es ihm tröstend ausspricht, daß seine Arbeit zwar nicht vollendet, daß sie aber für die Kraft, welche dem Verfasser innewohne, als eine gelungene zu bezeichnen sei. »Nach Kräften gut« ist eine Censur, mit welcher stille, fleißige Seelen sich sehr befriedigt von der Arbeit zum Genuß des Lebens wenden, oder eben so befriedigt zur Ruhe legen können.

Anders aber ist es mit einer Arbeit, welche man der Oeffentlichkeit übergiebt. Es ist das ein Schritt, mit dem Jeder, der ihn thut, sich innerhalb des Bereiches, in welchem er auftritt, als selbstständig und bis zu einem bestimmten Grade als einen Meister und Lehrer hinstellt. Ob diese mehr oder weniger gelungene Arbeit nun von einem Manne oder von einer Frau geleistet wird, ob ein Mann oder eine Frau einen Irrthum ausspricht, eine Wahrheit verkündet, das scheint mir völlig gleichgültig zu sein. Das Publikum und die Kritik haben es mit dem Werke zu thun, und der Irrthum bleibt gleich verwerflich, die Wahrheit gleich beherzigenswerth, das Schöne und Edle bleibt erhebend, das Häßliche und Gemeine verdammenswerth, von wem immer es ausgegangen ist.

In England, Frankreich und Italien erkennt der Volksgeist diesen Grundsatz auch durch die Sprache an. Der Schöpfer eines geistigen Werkes heißt der Autor, welchem Geschlechte er auch angehöre; in Deutschland ist es anders, und die deutsche literarische Kritik ist in diesem Punkte selbst noch hinter dem Volksgeiste unseres Vaterlandes zurückgeblieben. Denn während das Volk sich längst gewöhnt hat, diejenigen deutschen Frauen, welche[233] ihm in ihren Werken ein Anerkennenswerthes darzubieten hatten, zu seinen »Schriftstellern« zu zählen, behandelt die Kritik die weiblichen Dichter in der Mehrzahl mit einer vornehmen Herablassung oder mit einer Art von Galanterie, die beide in meinen Augen eine Kränkung sind, weil sie selbstredend den Gedanken in sich verschließen, für die geringen Fähigkeiten, für die Unbedeutendheit einer Frau sei das Geleistete gut genug, sei das Nichtgelungene zu entschuldigen.

Man sagt mit voller Wahrheit: besser als das Recht sei auch das Beste nicht! So habe ich denn mein Lebelang die Empfindung gehabt, daß es für den weiblichen Schriftsteller nichts Besseres geben könne, als wenn man ihn abstrakt beurtheilt, und ihm, wie jedem andern Schriftsteller, die volle, schwere Verantwortung für sein Werk und dessen Wirkung auferlegt. Denn die Entwicklung eines Menschen kann nur innerhalb einer völligen Gleichberechtigung mit seinen Mitstrebenden eine vollständige werden, und wer über die Reihen der Allgemeinheit erhoben wird, nimmt davon eben so sehr an seiner Entwicklung Schaden, als derjenige, welchen man unter dem Niveau der Allgemeinheit zurückzuhalten strebt. Darum haben auch Fürsten und Frauen eine Masse übler Eigenschaften mit einander gemein, denn sie werden Beide von dem Boden der Allgemeinheit fern gehalten, nach besonderen conventionellen Regeln behandelt und beurtheilt, nach einem besondern Maaßstabe geschätzt, und dadurch endlich gewöhnt, an sich selber nicht jene Ansprüche zu machen, an sich selber nicht die einfachen, ernsten und strengen Forderungen[234] zu stellen, ohne deren Genügung es mit dem Menschen auf keinem Gebiete des Lebens etwas Rechtes wird.

So lange ich denken konnte, hatte es mich zu hören verdrossen, wie diese oder jene Leistung gut genug sei, wenn man bedenke, daß sie von einer Frau herstamme; und ich hatte daher, als ich meine ersten Arbeiten an meinen Vetter Lewald gesendet, dieselben mit einem Männernamen unterzeichnet. Ich hatte mein »Recht« haben wollen, Nichts mehr, Nichts weniger. Meinem Vater hatte diese meine Absicht zugesagt, Lewald hatte aber davon Nichts wissen mögen. So war denn auch mein erster Roman, »Clementine«, ohne alle Bezeichnung, der zweite, »Jenny«, als ein Roman von der Verfasserin der »Clementine« erschienen, und ich hatte die Belustigung genossen, daß man nach dem Erscheinen der »Jenny« diesen Pseudonym, wunderlich genug, als den Versteck eines männlichen Schriftstellers anzusehen beliebte. Wie es mir aber nur eine sehr getheilte Genugthuung gewährte, als Heinrich Laube mir nach dem Bekanntwerden meines Namens, in Bezug auf die »Jenny«, in seinem Blatte das Zugeständniß machte, er freue sich anzuerkennen, daß er der weiblichen Kraft zu wenig zugetraut; so hatte ich auch nur eine sehr gemischte Zufriedenheit darüber, als die Behörde einen für unzulässig gehaltenen Ausspruch durchgehen zu lassen beschloß, weil eine Frau ihn gethan hatte.

Wem man das Gefühl seiner Verantwortlichkeit nimmt, dem nimmt man das Gefühl seiner Bedeutung, und wem man, wie es die Kritik den weiblichen Schriftstellern gegenüber nur zu häufig thut, von vornherein erklärt,[235] daß man ihm nur eine sehr relative und beschränkte Kraft zuerkenne, dem nimmt man den rechten freudigen Ernst des Strebens, den weist man eben auf das Kleinliche hin, das man ihm doch wiederum zum Vorwurf macht. Alles, was ich für den weiblichen Schriftsteller fordere, ist daß man ihn ohne Schonung, aber auch ohne Vorurtheil behandele, daß man von ihm absehen und sich an seine Leistung halten möge; mit einem Worte, daß man den weiblichen Schriftsteller dem männlichen gleich verantwortlich und damit gleichberechtigt an die Seite stelle, was noch lange nicht genug bei uns geschieht. Und so komme ich denn immer wieder darauf zurück, für die Frauen jene Emancipation zu verlangen, die ich in diesen Blättern schon vielfach für uns begehrt: die Emancipation zu ernster Pflichterfüllung, zu ernster Verantwortlichkeit, und damit zu der Gleichberechtigung und Gleichstellung, welche ernste Arbeit unter ernsten Arbeitern dem Einzelnen erwerben muß.[236]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 3, Berlin 1871, S. 221-237.
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