Achtzehntes Kapitel

[321] In Berlin hatte ich mir zunächst eine Wohnung zu suchen, das war aber bei meinen damaligen Verhältnissen keine schwierige Aufgabe, denn meine Mittel waren sehr beschränkt, ich hatte sie für die Reise zusammenzuhalten, und wußte also, daß ich mich bescheiden müsse. Wenn ich übrigens die Wohnung nur für mich allein haben konnte, und sicher davor war, nicht mehr wie im Hause der Tante, bei der ich gelebt hatte, die ganz zufällige und mir unerträgliche Gesellschaft halbgebildeter englischer und amerikanischer Kostgänger und Kostgängerinnen in den Kauf nehmen zu müssen, so war mir alles Andere ziemlich gleichgültig. Oder vielmehr, ich war entschlossen auf alles Mögliche zu verzichten, wenn ich nur nicht mehr Rücksicht auf Menschen zu nehmen brauchte, deren hohle Anmaßung mich in jedem Augenblicke verletzte, ohne daß ich sie nach Gebühr in ihre Schranken zurückweisen durfte.

Während ich mich nach einer Wohnung für mich umsah, fand sich das Angebot einer solchen in der Zeitung. Zwei Zimmer, von einem und von zwei Fenstern, ein Schlafkabinet dazu, eine Treppe hoch, in der Markgrafenstraße dicht am Gensd'armes-Markte – das klang[321] eigentlich viel zu prächtig für mich. Ich ging jedoch hin sie anzusehen und fand was ich bedurfte; denn das Haus, das jetzt längst abgebrochen ist, war so verfallen, die Treppe so schmal und finster, die Stuben so unansehnlich, die Dielen so ausgetreten und die abgenutzten Wände standen so kahl da, daß mir des Wiener Humoristen Castelli heitere Schilderung der »möblirten Wohnungen« unwillkürlich dabei einfiel. Einen hohen Preis für dieses Quartier zu fordern war nicht möglich, wir wurden also bald Handels einig, und ich suchte mir zu helfen, wie es eben ging. Ich war das schlechte Wohnen, das Entbehren der Behaglichkeit nun schon gewöhnt, und aushaltbar kann eine Frau sich's fast an jedem Orte machen.

Ich that die schlechtesten Möbel in die einfenstrige Stube, um sie in ein Entrée zu verwandeln, ließ die beiden wurmstichigen Schränke in den finstern Winkel bringen, welcher in der Anzeige als Schlafkabinet figurirt hatte, in dem zu schlafen aber eine heimliche Art von Selbstmord gewesen wäre, und beschränkte mich auf die Mittelstube, in welcher ich mit einem Schlafsopha, einem Schreibtisch und einigen andern Stücken, die ich mir in Berlin schon vorher allmählich angeschafft hatte, etwas herrichtete, das einem freilich sehr bescheidenen Wohnzimmer einigermaßen ähnlich wurde.

Ein junger mir befreundeter Bildhauer schenkte mir eine Haut-Relief-Copie von dem Schlüterschen Kopf des großen Kurfürsten und machte mir sein Werk selbst an der Wand fest. Es war das erste kleine Kunstwerk, das ich besaß, und ich habe es als solches und als Andenken an jene Tage treulich in Ehren gehalten und aufbewahrt.[322] Meine Geschwister gaben mir ein Paar Blumenstöcke, die ich an das Fenster setzte, und damit war meine eigene Häuslichkeit begründet.

Mittags brachte man mir mein Essen in meine Stube. Die Wirthin, eine schlichte ununterrichtete Frau, sie war die Wittwe eines Burgemeisters aus irgend einer kleinen märkischen Stadt, hatte es übernommen mich zu speisen, aber eingedenk der Belästigung, welche eine nicht selbstgewählte fremde Tischgenossenschaft mir stets gewesen war, hatte ich es mir ausgemacht, allein zu essen, und setzte mich dann zum ersten Male ganz allein an meinen Tisch. Das Tischzeug, das Geräth, das Essen, Alles war sehr schlecht. Zu Hause war es anders; aber ich nahm mir vor, daß ich es einmal auch in meinem Hause, bei mir, ganz anders haben wolle, und ich war so fest entschlossen und so überzeugt dies Ziel zu erreichen, daß es mir halbwegs Vergnügen machte, mit so viel Unbequemlichkeiten an dasselbe zu gelangen, und daß ich auf die Mittel und die Opfer nicht achtete, die mich an dasselbe bringen sollten.

Abends jedoch, als mein Bruder, der bei mir gewesen war, mich verließ, als ich hinter ihm die Thüre ab schloß, die nach dem Hausflur führte, und ich mich in den drei leeren, einsamen Räumen zu Bette legen mußte, ward mir bange, denn die Wohnung hing nicht direkt mit den Stuben der Wirthin zusammen, und ich kam plötzlich zu der Empfindung des Alleinseins. Ich untersuchte die Thüre noch einmal, denn ich dachte an Diebe. Als ich sie fest verschlossen fand, überlegte ich, wie ich von aller[323] Hülfe abgeschnitten sei, falls mir Etwas zustoßen sollte, und ich fühlte mich traurig.

Diese Traurigkeit nahm zu, als ich mein Licht ausgelöscht hatte, und nur noch der röthliche Schimmer meiner Nachtlampe mir die Wände erhellte. Die fleckige blaßblaue Wand hatte solche Todtenfarbe, mein Sopha von weiß und grünem Kattun und meine grünen Rouleaux sahen abscheulich darauf aus. Da stand die Kommode, dort in der Kammer der Kleiderschrank. Sie umschlossen mit Ausnahme der Bücher und der wenigen Möbel, welche zu Hause in meiner Hangelstube mir eigen gehörten, mein ganzes Hab und Gut. Es war nicht eben viel.

Ich fing meine Baarschaft, meine ausstehenden Honorare zu berechnen an, das Exempel war bald gemacht. Ein Jahr vorher war ich mir mit meinen wenigen hundert Thalern wie ein Crösus erschienen, jetzt kam ich mir mit einer größeren Summe recht arm vor, und gewiß, ich war auch Nichts weniger als reich. Freilich besaßen viele andere Frauenzimmer in meinem Alter auch nicht mehr, aber sie hatten sich nicht selbstständig zu vertreten wie ich. Es beschlich mich eine Verzagtheit, die ich nie zuvor gekannt hatte. All mein Thun und Treiben dünkte mich völlig nichtig und unüberlegt, meine Plane für die Zukunft sahen mir wie Hirngespinnste aus. Ich konnte mir kaum vorstellen, wie ich auf den Einfall gerathen sei, mich unabhängig machen zu wollen, noch weniger, wie mein kluger, vorsorglicher und zärtlicher Vater mir habe glauben können, daß ich mich selbst zu erhalten im Stande sein würde.[324]

Freilich war es eine Thatsache, ich hatte drei Romane geschrieben, wie sie mir eben eingefallen waren, sie hatten sich auch Freunde erworben und ich hatte Geld dafür bekommen. Aber war damit irgend Etwas für meine Zukunft bewiesen? Der Satz: was einmal geschehen ist, kann wieder geschehen! schloß doch nur die Aussicht auf eine Möglichkeit in sich, eine Hoffnung, aber nichts weniger als die Anwartschaft auf ein Gewisses. Mir wurde immer mehr bange, je länger ich über mich selbst nachdachte, und zuletzt kam ich mir wie ein Nachtwandler vor, der in tastendem Instinkte einen Platz eingenommen hat, auf welchem er sich beim Erwachen nicht zu erhalten, und von dem er nicht einmal herunter zu steigen vermag, selbst wenn er Verlangen danach trüge. Es überfiel mich ein heftiger Schwindel, als stände ich wirklich auf einer Bergesfirst, ich konnte die Angst nicht ertragen, zündete mir noch einmal Licht an, und mit der Helle um mich her verschwanden die schlimmsten Gespenster meiner Sorge, obschon mir das Herz noch recht schwer blieb, denn ich hatte Betrachtungen zu machen, die sich mir auch sonst wohl bisweilen aufgedrängt, die ich mir aber fern zu halten gesucht hatte, und welche sich eben jetzt nicht bannen lassen wollten.

Es fiel mir auf, wie leicht die Menschen geneigt sind, uns beim Worte zu halten, wenn wir es einmal erklären, daß wir sie nicht weiter in Anspruch zu nehmen beabsichtigen, und was wir damit aufopfern, wenn wir die Unsern der Sorge für uns entheben. Ich gerieth in einen jener Widersprüche, in denen der Verstand und die Empfindung sich nicht in das Gleiche zu setzen wissen.[325] Ich hatte unabhängig sein wollen, und nun man mir das vergönnte, sah ich eine Härte in der Zuversicht, welche man mir bewies. Ich liebte es nicht, mich über die äußeren Unbequemlichkeiten und Entbehrungen zu beschweren, welche ich in Folge meines Entschlusses zu tragen hatte, und fand es doch auffallend, daß man unbedenklich an die vollkommene Zufriedenheit glaubte, welche ich aussprach. Und mit der Uebertreibung meiner augenblicklichen Muthlosigkeit kam ich mir wie verstoßen vor, wo ich mich freiwillig und nach reiflicher Ueberlegung zu entfernen für nothwendig gehalten hatte, weil im Vaterhause neben fünf erwachsenen Töchtern wirklich kein Bleiben für mich war.

Es war in gewissem Sinne, da man mich für praktisch gewandt hielt, wohl natürlich, daß man sich um die Einzelnheiten meines Lebens, aus der Ferne nicht mehr kümmerte; aber es ist Niemand übler daran, als ein Unverzagter, wenn ihn einmal die Verzagtheit überfällt, denn er darf, ohne sich zu verläugnen, nicht eingestehen was er leidet.

Wo man sich gewöhnt hat, an die Kraft eines Menschen zu glauben und auf dieselbe zu vertrauen, fordert man von ihm mit großem Gleichmuth, was er nur mit höchster Anstrengung zu leisten im Stande ist, und man hilft sich in vielen Fällen sogar über den Dank für das von ihm Geleistete mit der Betrachtung hinweg: der hat Kraft, der kann was er will! Aber Niemand fragt, wie viel Kraft wir aufgewendet, wie müde man uns gemacht hat. Mir ging es eben so, und es ist mir in dieser Beziehung von den Meinen sehr oft Unrecht geschehen.[326] Ich hatte schon lange gelernt für mich allein zu stehen, als ich es noch immer schmerzlich empfand, daß man die Entbehrungen für Nichts anschlug, mit denen ich meine Freiheit erkaufte, daß man die Arbeit, die Anstrengungen, die Opfer gar nicht einmal bedachte, denen ich mich zu unterziehen hatte, um mich vorwärts zu bringen, ja daß man sich in meiner nächsten Familie bequem dem Glauben überließ, mein Vater unterstütze und erhalte mich noch zum großen Theile, während ich, außer dem Garderobegelde, das wir Alle erhielten, nie einen Heller von meinem Vater empfangen habe, seit ich sein Haus verlassen hatte. Es lag in seinen Grundsätzen, mich, die er durch ihr Talent bevorzugt hielt, nicht noch anderweit zu bevorzugen, und in meinem Ehrgefühl, Nichts zu beanspruchen, was ich mir selber schaffen konnte. Wir Frauen entbehren die Theilnahme der Unsern Anfangs aber so schwer, weil man uns von Jugend auf zum Anlehnen an Andere, zur Abhängigkeit von ihnen, ja zur Hülflosigkeit erzieht. Und ohne die Liebe und Theilnahme meines ältesten Bruders, der damals wie ich, mühsam und mit tausend Entbehrungen und Anstrengungen seinen Weg zu machen hatte, wäre ich in jener Zeit äußerst einsam gewesen. Wir waren einander aber damals gute Cameraden auf einem recht beschwerlichen Marsch.

Aus solchem Zustand der Niedergeschlagenheit, wie ich ihn in der erwähnten Nacht durchzumachen hatte, und der bei verschiedenen Wendungen und Wandlungen in meinem Leben noch öfter über mich gekommen und mir immer sehr schwer gefallen ist, habe ich nie einen andern Ausweg gewußt, als den, mich ganz entschieden auf mich selbst[327] zurückzuziehen, und mich zu behandeln, wie die Andern uns behandeln. Es liegt auch gar kein Trost, gar keine Erleichterung darin, wenn man das, was man erduldet, auf die Verhältnisse schiebt, die außer uns sind. Man gewinnt dabei in der Regel nur die Einsicht in eine begangene Dummheit, und darin liegt weder etwas Ermuthigendes, noch etwas Befreiendes.

Ich sagte mir also in jener Nacht sehr fest und bestimmt: Du hast's so gewollt! du hast, was du gewollt hast! – Und in allem meinem Unbehagen und in meinen Sorgen fühlte ich plötzlich eine gewisse trotzige Freude darüber, daß ich doch meinen Willen durchgesetzt hatte. Das war schon wieder etwas Positives, daran konnte ich mich halten, und weil mir das gelungen war, konnte mir ja auch mehr gelingen! Die Hoffnung dämmerte mit dem Tage auf; die klare Morgensonne, die hell in meine Fenster fiel, brachte mir mit meinem verlornen Muth auch meine lebenslustige Zuversicht zurück.

Ich sah mich um, es gefiel mir wieder in der Stube. Ich hatte die erste Nacht in meiner eigenen Wohnung geschlafen, ich stand in meiner eigenen Wohnung auf. Das machte mir Vergnügen. Ich ordnete mein Bett, räumte das Zimmer auf, und setzte mir das Frühstücksgeräth zurecht, dann brachte man mir mein Frühstück.

Ich saß allein an dem Tische, und betrachtete meine Umgebung. Mein neues Relief beschäftigte mich sehr und kam mir eigentlich prachtvoll vor. Ich beschloß zwei Epheutöpfe zu kaufen, und es mit Ranken zu umziehen.

Mit einem großen Behagen ging ich, nachdem ich mich angekleidet hatte, in der Stube auf und ab. Es freute[328] mich so, daß hier Niemand ohne meine Erlaubniß hineinkommen konnte, daß ich nicht, wie bisher bei meiner Tante, in einem Durchgangszimmer wohnte, wo ich mich immer wie auf offener Straße empfunden. Ich war sehr damit zufrieden, daß ich mit der Eintheilung meiner Zeit, mit meinem Thun und Lassen nur von mir abhing, daß ich es mir so eigen und so pünktlich einrichten konnte, als ich nur irgend wollte; und daß ich auch ganz unordentlich und ganz unpünktlich sein durfte, wenn diese mir unnatürliche Lust wider alles Erwarten doch einmal über mich kommen sollte.

In dem Vergnügen über diese Freiheit fand ich die blaßblaue Wand nicht mehr so fleckig wie in der Nacht, und der weiß und grüne Kattun meines Sopha's und meine grünen Fensterrouleaux sahen mir nicht mehr ganz so abscheulich wie gestern dazu aus. Freilich! solch elende Dielen, solche blinde Fensterscheiben und so schlechte Möbel gab es in keinem Winkel meines Vaterhauses; aber dafür war hier doch Alles mein eigen. Es war meine, von mir, von meinem eigenen erarbeiteten Gelde bezahlte Stube, ich war doch bei mir zu Hause – bei mir, in meiner eigenen Wohnung.

Und wie ich mir das gedacht hatte, mußte ich mit mir selber lachen! Es hatte mich in den Vaudevilles des französischen Theaters stets belustigt, wenn die jungen Pariser Arbeiterinnen, die französischen Grisetten, so viel Werth darauf legten, in ihren eigenen Wohnungen zu sein. Ihr stolzes: »Je suis dans mes meubles!« zwischen Tisch und Stuhl und Hutschachtel gesprochen, war stets ein Gegenstand meiner großen Heiterkeit gewesen; jetzt[329] empfand ich unter ganz andern Verhältnissen, bei einem ganz verschiedenen Bildungsgrade doch etwas sehr Aehnliches. Ich hätte, wäre ich in anderer Stimmung gewesen, sehr zweckmäßige Gedanken über den Zug des Menschen zu persönlicher Absonderung, zu eigenem Besitze haben, und verständige Betrachtungen über Communismus und Fourierismus daran knüpfen können, indeß ich begnügte mich damit, an den verschiedenen Thüren stehen zu bleiben, um die Stube von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten, und ging dann in mein sogenanntes Entrée, um aus demselben in die Wohnstube einzutreten, und zu sehen, wie sie sich dann ausnahm. Ich legte in dem Entrée einen alten Shawl auf das der Wirthin gehörende Sopha, um ein Loch in demselben zu verbergen, und beschloß, daß der Shawl Anstands halber immer dort liegen bleiben solle. Ich trug die Blumen von einem Fenster auf das andere, setzte meinen Nähkasten hier hin und dort hin, wünschte mir meine Möbel von Hause lebhaft herbei, und fand, je länger ich mich mit den verschiedenen kleinen Aenderungen beschäftigte, immer mehr Gefallen an meinem neuen Aufenthalte, ja ich fand endlich, daß es wirklich gar nicht so übel bei mir aussähe.

Um zehn, eilf Uhr kam mein Bruder zu mir, und ich hütete mich wohl, ihm die Verzagtheit einzugestehen, welche mich in der Nacht befallen hatte. Wir waren Beide über unsere Jahre ernst und doch Beide von Herzen jung, ja jünger als unsere Jahre. Genußfähig und sehr leicht befriedigt und erfreut, hatten wir denn auch jetzt ein besonderes Vergnügen daran, daß er zu mir in meine Wohnung, zu mir als Gast kommen konnte.[330]

Wir machten gleich Plane, wie er und die Schwester nächstens einen Mittag bei mir essen, wie wir die Abende oft bei mir zu Hause zubringen wollten. Wir überlegten, was man thun könne, es noch hübscher und angenehmer zu machen, als wir es jetzt schon bei mir fanden, und die Phrase: »wenn ich Geld habe«, stand dabei immer in erster Reihe. Indeß die Welt war so weit, das Leben lag so unübersehbar lang vor unsern Augen, Berlin war so groß, das Wetter so hell, und wir fühlten uns so als Vorwärtsstrebende und Vorwärtskommende – es konnte uns gar nicht fehlen! Was uns noch mangelte, kümmerte uns wenig.

Wir lachten über das wackelnde Sopha in dem Entrée, auf das man sich nicht ungefährdet niederlassen konnte, wir lachten über die finstere Kammer, und machten eifrig den Platz im Spinde ausfindig, in welchem sich die nöthigsten Nahrungsmittel für das Abendbrod halten lassen würden; aber zeitbedrängt, wie seine amtlichen Verrichtungen den Bruder machten, lief er dann von unsern Untersuchungen schleunig fort, mit dem Versprechen, so oft und so viel er könnte, zu mir zu kommen. Wir waren wie Kinder mit der neuen Puppenstube, oder besser, wir waren muthig und leichten Herzens, tapfer und frohen Sinnes, arbeitssam und genügsam, wie die Bettler Bérangers, les gueux de Béranger!

Damit begannen nun ein paar fröhliche Monate, deren ich mich noch sehr gern erinnere. Es begann jenes harmlose Leben vom Tag zum Tage, das man nur in der Jugend kennt, nur in der Jugend als ein Glück zu empfinden vermag. Und als wollte das Schicksal mich[331] in meinem guten Muthe und in meiner Zuversicht bestärken, so wurde mir grade in den Tagen von der Brockhausischen Verlagshandlung abermals der Antrag gemacht, eine Novelle für die »Urania« zu schreiben.

Mein Roman war fertig und zum Druck gesendet; um einen neuen Stoff für eine Novelle ist der kritiklose Anfänger nie verlegen, und der Gedanke, hier in meiner eigenen Wohnung eine neue Arbeit zu beginnen, eine Arbeit, die ich offen auf dem Schreibtisch liegen lassen konnte, ohne daß mir jeder Beliebige neugierig hineinsehen durfte, hatte etwas Belebendes für mich. Ohne mich lange zu besinnen, machte ich meine Zusage, und nun saß ich mit meinem Nähzeug ganz allein, den lieben, schönen, hellen Vormittag hindurch, und fing an unter meinen Einfällen und Gedanken auszuwählen, und zu sichten und aufzubauen und anzuordnen, und ich wurde immer heiterer dabei.

Ein Zimmer, in welchem man ein liebevolles Wort vernommen, einen guten und förderlichen Gedanken gedacht hat, ist keine Fremde mehr, ist die Heimath für uns; und als ich mich erst in meiner neuen Wohnung an die Arbeit gemacht hatte, wurde sie mir vertraut wie ein gutes, altes, bequemsitzendes Kleidungsstück, an dem uns Nichts mehr auffällt, Nichts mehr drückt, mit dem wir Eines sind, wie mit unsrer Haut.

Allmählich kamen alle meine Bekannten, so Männer als Frauen, sehen, wie ich mich eingerichtet hätte, und wie es mir erging. Die Frauen lobten die Sauberkeit meiner Stube, wunderten sich, was ich aus der Wohnung gemacht hätte, aber, ich merkte es Allen an, sie waren[332] gewissermaßen gerührt über mich; und vollends Diejenigen, welche Etwas von meinem Vaterhause wußten, streichelten mich, und sahen mich so mitleidig an, daß ich es ganz bequem gehabt hätte, mich bedauern oder bewundern zu lassen, hätte ich an diesen billigen Herzenserregungen ein Wohlgefallen gehabt.

Die Einen fanden es sehr merkwürdig, daß der Vater mir schon jetzt die Erlaubniß gegeben habe, allein zu wohnen. Ich sagte ihnen, ich sei bald vierunddreißig Jahre. Man wendete mir ein, ich sähe aber weit jünger aus! – »Nimmt mir das meine gesunde Vernunft? macht mich das unzurechnungsfähig?« fragte ich, und wurde mit der Frage erst recht ein Gegenstand der Verwunderung für diese Art von Leuten.

»Wenn Sie nur ein eignes Mädchen hielten!« wendete mir eine Andre ein, die recht wohl wußte, daß ich die hundert Thaler nicht übrig hatte, welche ein Dienstmädchen mich für das Jahr gekostet haben würde. – »Was soll ich denn mit dem Mädchen machen?« fragte ich. »Soll es mich bedienen? das kann ich entbehren, und mich zu beschützen und zu bewachen, dazu brauche ich ein Dienstmädchen doch nicht!« – »Es wäre aber doch anständiger!« bemerkte man mir wohlmeinend.

Welch ein Anstand, welch eine Tugend, deren Anschein durch die Anwesenheit eines armen Dienstmädchens, durch eines jener jungen Geschöpfe auf recht erhalten werden sollte, von deren Sitten grade jene Art von Frauen im Allgemeinen das Schlimmste zu denken sich berechtigt halten![333]

»Aber werden Sie denn auch Männer bei sich sehen?« forschte man vorsichtig.

»Ja! wie anders?« versetzte ich.

»Nun freilich! Sie sind Schriftstellerin, Sie können das!« meinte ein Fräulein, das sich noch immer überwachen ließ, obschon die gefährlichen und gefährdeten Tage der Jugend weit hinter ihm lagen.

Und wenn diese Besuche mich verließen, so schlug ich an meine Brust, und sagte triumphirend: Gottlob, daß ich nicht bin wie dieser Eine! Und es kam mich ein Grauen an vor der Lüge der gesellschaftlichen Gesittung, deren Voraussetzung eine Unsittlichkeit und Zuchtlosigkeit sind, wie man sie kaum nachzudenken im Stande ist. Sie waren mir bisweilen förmlich zuwider diese Mütter und diese Töchter mit den regelrecht freundlichen Mienen, mit den festgeknöpften Handschuhen und den festgebannten Augen, die nicht rechts und nicht links sehen durften, wenn die Mutter nicht vorher auf die Stelle hingeblickt, auf welche die Tochter ihre Augen zu richten hatte. Sie waren mir lächerlich und beklagenswerth in ihrer Unfreiheit und in ihrer automatenhaften Beschränktheit, und ich dachte mit Verehrung an meine junge kleine Putzmacherin, die jetzt meine alte gute Freundin ist, und schon da mals mutterseelen-allein in dem Dachstübchen einer entlegenen Straße wohnte, von Niemand berathen, von Niemand bewacht als von sich selbst und ihrem eigenen Ehrgefühl. Nur daß es Niemandem einfiel, der braven Arbeiterin einen Vorwurf daraus zu machen, daß sie sich nicht bewachen ließ, oder es ihr zum Verdienste anzurechnen, daß sie sich so wohl zu behüten verstand.[334]

Es ist Jedem auf die eine oder die andere Weise sicherlich geschehen, daß er eine Gegend, oder eine Sache lange unter demselben Augenpunkte betrachtet hat, bis er sich einmal plötzlich überzeugt, daß er nicht auf der rechten Stelle gestanden, und daß er falsch gesehen habe. Man ist dann immer ganz verwundert. Man begreift nicht, wie man für eine Gestalt halten können, was doch ein elender Baumstamm gewesen, wie man für ein Gebirge ansehen mögen, was sich eben vor unsern Augen in Wolken auflöst. So geht es dem Menschen auf geistigen Gebieten ebenfalls, und so ging es mir schon sehr frühe mit den sogenannten guten Sitten und dem Anstand der ebenfalls sogenannten guten Gesellschaft. Es fiel mir dabei ein altes Mährchen aus den veillées du château ein, das mich als Kind sehr beschäftigt und beunruhigt hatte, weil in demselben Jeder gezwungen war, dasjenige nackt auszusprechen, was er wirklich dachte, während er des Glaubens lebte, nur dasjenige zu sagen, was er zu äußern eben für angemessen fand.

Wenn eine Mutter mir sagte: ich lasse meine Töchter nicht allein zu einem Balle bei einer Freundin gehen! so mußte ich mir unwillkürlich den Nachsatz machen: denn dort findet sie schlechte Gesellschaft, vor der meine Anwesenheit sie beschützen soll. Hieß es: ich lasse meine Tochter nicht ohne Begleitung die Straße betreten! so setzte ich mir hinzu: denn ich traue ihr nicht über den Weg, und sie ist so einfältig und leichtsinnig, daß ich sie in jedem Betrachte bewachen lassen muß. – Meine Töchter nehmen in meiner Abwesenheit keinen Besuch an! bedeutete eigentlich: denn die Männer, welche mein Haus[335] besuchen, sind so roh und so entsittlicht, daß ich Verletzung und Beleidigung der einfachsten Sittlichkeit von ihnen voraussetzen muß! – Und ich habe mich, wenn ich diese Bemerkungen machen mußte, immer gefragt, wie Männer nur die geringste Neigung zum Verkehr mit denjenigen jungen Frauenzimmern haben sollen, über deren Werth die Mütter selbst so geringschätzig urtheilen, oder wie sie als Gäste ein Haus betreten mögen, in welchem man ihnen weniger Zutrauen gewährt, als dem Diener, welcher gelegentlich den Beschützer der Töchter zu machen hat. Wir sind in der Gesittung, nach der Meinung der sogenannten großen Welt, gewiß sehr weit vorgeschritten, und sie ist in Wahrheit doch mit allem ihrem Christenthum und all ihrer Cultur, mit ihrer Bildung und Erziehung, auf die sie so stolz ist, nicht wesentlich über die Cultur des orientalischen Harems hinausgekommen. Denn es giebt keine Sittlichkeit ohne persönliche Freiheit, wie es überhaupt keine Tugend ohne Freiheit giebt. Unsere Anstandsgesetze bringen dem Manne eine Jungfrau zum Weibe; ihm ein wahrhaft tugendhaftes, sittliches Weib zu geben, müßten unsere gesellschaftlichen Zustände anders, müßten unsere Mädchen freier und selbstständiger erzogen, und unsere Cultur mehr sein, als eine Hecke von Präventivmaßregeln, hinter welchen man sich gegen eine Rohheit und Unsittlichkeit verschanzt, die doch glücklicher Weise zu den Ausnahmen in unserer Gesellschaft gehören. Alle Fenster zu vermauern, weil hier und da ein unvorsichtiges Kind zum Fenster hinausgefallen ist, ein Kranker sich hinausgestürzt hat, wäre sicherlich eine sehr thörichte Maaßregel.[336]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 3, Berlin 1871, S. 321-337.
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