Siebentes Kapitel

[127] Ich war mit dem festen Vorsatze nach Berlin gekommen, meine schriftstellerische Anonymität aufrecht zu erhalten, und meines Vaters Wünsche hatten mich in dieser Absicht bestärkt. Indeß mein Cousin August Lewald, der mir früher zu dem gleichen Verfahren gerathen, mochte durch die günstige Aufnahme, welche meine Romane gefunden, anderer Ansicht geworden sein, denn im Herbste, als ein paar Männer meiner Bekanntschaft von Baden-Baden zurückkehrten, wo sie bei einem längern Aufenthalte August Lewald kennen gelernt hatten, brachten sie die Nachricht mit zurück, daß mein Vetter sich bei ihnen genau nach mir erkundigt, daß sie ihm mein Aeußeres und meine Art und Weise hätten schildern müssen, und daß er ihnen dafür erzählt, wie ich viel Talent für die Romandichtung besäße, und daß mein zweiter Roman, welcher soeben die Presse verlassen, ihm noch besser als der erste gefallen habe.

Man ging mich nun mit Fragen an, ich sollte sagen, was ich geschrieben hätte; indeß ich lehnte die Sache scherzend ab, um meinem Versprechen treu zu bleiben, bis eines Tages Frau Bloch, welche mir ihre Güte nach wie[127] vor erhalten, Zeuge einer solchen Unterhaltung wurde, und mir mein Schweigen als eine Thorheit vorstellte.

»Du hast mir einmal vertraut,« sagte sie, »daß Du Dir das Geld zu Deinem Aufenthalte in Berlin selbst verdient hast, und ich habe das sehr respektabel gefunden und mir natürlich vorgestellt, daß Du es durch literarische Thätigkeit erworben hast. Da Du aber Gewicht darauf legtest, mir das Nähere vorzuenthalten, habe ich nicht in Dich dringen mögen, und weiß also bis jetzt nicht, was Du geschrieben hast. Da Du jedoch keines Falls Deine Arbeiten lediglich nur zu weltbeglückenden Zwecken unternimmst, sondern Dir mit ihnen nebenher einen Weg in's Leben zu bahnen und Dir eine Stellung zu machen hast, so ist es unvernünftig, Dir durch Deine Anonymität die Vortheile zu entziehen, deren Du theilhaft zu werden wünschest. Wenn Du mir Dein Geheimniß vertrauen willst, will ich mich der Mühe unterziehen, es auszuplaudern, und das wird Dir sehr nützlich sein.«

Frau Bloch konnte bei solchen halb scherzhaften, halb ernsten Gesprächen so anmuthig sein, und ihre Gründe waren so unwiderleglich richtig, daß ich mich ihnen fügte, und ihr noch an demselben Tage die Romane brachte. Sie und ihr Gatte hatten Freude daran, und Freude auch an mir. »Sie werden zu Etwas kommen,« sagte er mir, »denn Sie wissen was Sie wollen! Das wissen aber eigentlich nur Wenige. Die meisten Menschen wollen Allerlei, und möchten das Allerlei gelegentlich für sich bereitet finden. Darum erreichen sie gewöhnlich nichts. Wer aber eine Sache ordentlich will, und auch die Mittel will, welche zu seinem Ziele führen, der erreicht es!«[128]

Mein Verhältniß zu den trefflichen Menschen wurde nun ein anderes, und ich hatte mich ihres Rathes, mich als den Verfasser der »Clementine« und »Jenny« zu nennen, nur zu erfreuen. Auch mein Vater sah bald das Zweckmäßige dieses Schrittes ein; nur meine noch im Vaterhause lebenden Schwestern schrieben mir, mit naiver Anmaßung, dagegen. Sie baten mich, aus Rücksicht auf sie, nicht als Schriftstellerin aufzutreten, als ob das eine Schande gewesen wäre; sie beschworen mich, wenn es noch Zeit sei, die Anonymität zu bewahren, und folgten darin irgend einem mir unverständlichen dunkeln Drange, über dessen Beweggründe sie sich wahrscheinlich eben so im Unklaren befanden, als ihre Briefe mich darüber im Unklaren ließen. Sie waren zum Theil noch so jung, und Alle so völlig unerfahren, daß ihr Meinen und Denken von gar keinem Gewicht sein konnte, wo es über ihr persönliches Wünschen und Wollen hinausging. Keine von ihnen hatte mir auch angegeben, was sie davon befürchtete, wenn man mich als den Verfasser der »Clementine« und »Jenny« kennen würde, aber sie waren einig darüber, daß es ihnen unangenehm sein müsse, wenn man in ihrer Gegenwart davon spräche, unangenehm, daß man mich nun in den Zeitungen nennen und beurtheilen würde, unangenehm auch, daß ich nun doch für Geld arbeite, und so gaben sie es mir denn ernstlich zu bedenken, daß ich doch unseres Vaters Tochter sei, und danach zu handeln habe.

Ich würde der thörichten Briefe und des ungehörigen Dreinredens gar nicht erwähnen, wären sie nicht ein Beweis dafür, wie sich in enggeschlossenem Familienleben grade[129] in den Köpfen des weiblichen Geschlechtes eine Menge von unbestimmten Empfindungen in unklare Gedanken, und endlich in eine Art von widerwärtigem Familienhochmuth verwandeln, der sehr nachtheilig wirkt und von dem das Leben mit seinen schweren Erfahrungen kaum im Stande ist, die davon Befallenen zu heilen. Aus diesem Familienhochmuth entsteht dann jene Ansicht von der Solidarität der Familienmitglieder, welche für den Einzelnen im besondern Falle zu einem wahren Hemmschuh werden kann, und von dem ich mein redlich Theil zu leiden gehabt habe. Denn während wir im Allgemeinen nach Gleichberechtigung der Stände verlangen, pflegen die meisten Familien in sich einen Kastengeist, der weniger den Ansichten des neunzehnten Jahrhunderts, als den uralten Gesetzen der Hindus angemessen ist. Hatte ich es doch selbst als eine Demüthigung für mich empfunden, das erste selbstverdiente Geld in die Hand nehmen zu müssen; und wenn ich nun auch über jenen braminenhaften Familiengeist schon lange und für immer hinausgekommen war, so verdarb alle das unberechtigte und unverständige Meinen und Rathen mir damals doch noch manche gute Stunde – und aus Stunden setzt unser Leben sich zusammen!

In Berlin hob nun für mich eine neue und gute Zeit an. Ich war wie ein Schiff, das lange fertig auf dem Stapel gelegen hat, und das endlich flott gemacht, fröhlich und leicht in den hellen frischen Strom hinabschießt, dessen wellige Fluthen es heben und tragen; und ich konnte an mir selber die Erfahrung machen, welch einen Vorzug Diejenigen besitzen, die einen bekannten und anerkannten Namen mit sich auf die Welt bringen. Ein Name ist[130] wie ein Piedestal. Er hebt den Menschen aus der Masse empor, er kennzeichnet ihn, und was sein Träger Gutes und Lobenswerthes leistet, wird schneller bemerkt, günstiger beobachtet und kommt ihm bald zu Nutze, während man zu gleicher Zeit nachsichtiger für die Mängel, Schwächen und Fehler Derjenigen ist, welche in ihrem Namen und in ihren Leistungen ein Gegengewicht zu bieten haben. Darin liegt etwas Verführerisches, und es fing mir plötzlich einzuleuchten an, wie man sich im doppelten Sinne gegen diese Verlockung zu wehren habe.

Was ist denn jetzt anders an mir geworden? fragte ich mich oft mit einer heimlichen Geringschätzung gegen die Personen, die mir mit einem Male freundlicher zu begegnen anfingen, seit sie wußten, daß ich ein paar Romane geschrieben hatte. Ich war jetzt nur älter als vor drei Jahren, aber die jungen Männer, welche mich bei den Bällen sonst als altes Fräulein ruhig hatten sitzen lassen, suchten mich nun auf, und ich hatte unter den angenehmsten Tänzern nur zu wählen, sofern ich tanzen wollte. Ich sah noch immer nicht gesund aus, man hatte mich im Oktober noch sehr verblüht gefunden, im Januar fand man mich interessant. Ich war jetzt nicht geistreicher, nicht klüger, nicht unterrichteter als vorher; aber was ich sagte und that, wurde mir mit einem Male auf das Allerbeste ausgedeutet, und Menschen, welche mich sonst so ruhig wie einen Gueridon in der Ecke hatten stehen lassen, suchten nun mir vorgestellt zu werden, und konnten ihres Interesses an mir kein Ende finden.

Ich würde unwahr sein, wenn ich sagte, daß mir dies nicht Vergnügen gemacht, und daß meine Eitelkeit[131] darin nicht bisweilen eine Befriedigung gefunden hätte. Indeß starkes Selbstgefühl bewahrt vor jener Art von Eitelkeit, die sich auf die Dauer an kleinen Erfolgen zu erfreuen vermag. So kam es denn, daß die Aufmerksamkeit, welche man mir zuwendete, mich eigentlich abgeschlossener machte, als ich es vorher gewesen war; und weit entfernt, daß die plötzliche Zuvorkommenheit der Leute mich für sie eingenommen hätte, gab sie mir, nach meinem damaligen Empfinden, nur einen Maßstab für die Unselbstständigkeit ihres Urtheils an die Hand.

Für meine alten Freunde und Gönnerinnen, für Herrn und Frau Bloch, für die Hofräthin Herz und für Frau Levy blieb ich die Alte, nur daß sie eine leichtere Handhabe gefunden hatten, mir mancherlei Annehmlichkeiten des geselligen Verkehrs zuzuwenden, und daß sie mich aufforderten und ermunterten, meine Romane als Einführung bei denjenigen Personen zu benutzen, welchen zu begegnen mir wünschenswerth sein mußte, und die mir durch die Vermittlung meiner Bekannten nicht zugänglich waren.

Der erste von den Berliner Schriftstellern, den ich kennen gelernt, war Doktor Häring, Wilibald Alexis, gewesen. Er war ein Hausfreund der Bloch'schen Familie, hatte eine schöne und liebenswürdige Engländerin, Lätitia Percevall, geheirathet, deren junge und eben so schöne Schwester die Gesellschafterin von Frau Bloch war, und ich hatte ihn schon im Winter von neununddreißig oft gesehen. Sein »Cabanis«, seine im Chronikenstyl gehaltenen märkischen Romane hatten mir ihrer Zeit viel Freude gemacht, und ich beschäftigte mich damals oft damit, mir innerhalb des jetzigen Berlin, jenes Berlin[132] der Vorzeit wieder hervorzusuchen, dessen Grenze die Spree gewesen war. Gar oftmals bin ich durch die Straßen der Königsstadt und in Neu-Cöln einsam umher gegangen, um es mir vorzustellen, wie einst die lange Brücke sich auf Pfahlwerk weit über die überschwemmten Spreewiesen hingezogen, und wo einst das Kloster der grauen Brüder gestanden, wo die Waldemar's und wo der Roland von Berlin ihr Wesen getrieben und wie es an der Stechbahn damals ausgesehen. Denn wie mich einst die galante Reckenhaftigkeit der Fouque'schen Ritter entzückte, so hatte später die Uckermärkische biderbe Ungeschlachtheit einen gewissen Reiz für mich bekommen, und wenn ich bei dem Lesen seiner Romane an Wilibald Alexis gedacht, hatte ich ihn mir freilich nicht als einen Roland von Berlin, aber doch mindestens unter dem Bilde eines deutschen weiland Turners und Burschenschafters vorgestellt, dessen mannhaftes Auftreten an seine Helden wenigstens erinnern konnte. Ich war daher höchlich betroffen gewesen, als ich den etwa vierzigjährigen Doktor Häring zuerst erblickt hatte. Seine mittelgroße und damals noch nicht starke Figur, sein freundliches, von dunkelm Haar und dunkelm Bart umgebenes Gesicht, seine schnellen und etwas unsichern Bewegungen, verbunden mit einer gewissen halb verlegenen, halb verbindlichen Sprechweise, standen in schroffem Gegensatz zu dem Bilde, welches ich mir von ihm gemacht hatte, und die sanfte, einfache Weise, in welcher er sich in der Unterhaltung gab, die ängstliche Anspruchslosigkeit, mit der er auftrat, ließen vollends zu keinem Vergleiche zwischen ihm und seinen Helden Raum. Ebenso wenig aber konnte man sich es erklären, wie dieser[133] durchaus mild gesinnte Mann zu der Vorliebe gekommen war, mit der er sich bei der Herausgabe seines Neuen Pitaval in Mord- und Criminalgeschichten versenkte, und wer ihn vollends in seiner anmuthigen, edeln und dabei bescheidenen Häuslichkeit, an der Seite seiner liebenswürdigen Frau gesehen hatte, mußte sich doppelt verwundern, wie grade er auf das Reckenhafte und auf das Schreckliche eine solche Vorliebe verwenden konnte. Man wurde unwillkürlich zu dem Gedanken verleitet, daß auch im Menschen ein Element sei, aus welchem heraus die Gegensätze sich suchen, wie dies in der Natur bei den Farben geschieht; denn herzensfreundlicher, verträglicher und friedlicher konnte man nicht sein, als der Verfasser des »Roland von Berlin«, des »falschen Waldemar«, des »Urban Grandier« und der »Hosen des Herrn von Bredow«, sich darstellte, und nur den »Cabanis« hätte man ihm nach seiner Art sich zu geben, schon als einem Abkömmlinge der französischen Colonie, zutrauen mögen.

Auch Doktor Häring rieth mir, nun das Geheimniß meiner Autorschaft am Ende war, das »Handwerk zu begrüßen«, und so schrieb ich denn eines Tages an Bettina von Arnim und an Frau Paalzow, schickte jeder ein Exemplar der »Jenny«, und bat um die Erlaubniß, ihnen meinen Besuch machen zu dürfen. Bettina antwortete mir gar nicht, und kam erst vier Jahre später einmal ganz unerwartet zu mir, Frau Paalzow aber schrieb mir noch an demselben Tage, daß ich sie an jedem Morgen zwischen zwölf und zwei Uhr zu Hause finden würde, und am zehnten Januar des Jahres vierundvierzig – ich finde dies Datum in dem Briefe an meinen[134] Vater, in welchem ich ihm von diesem Besuch erzählte, ging ich um Mittag nach der Kantians-Straße, in welcher Frau Paalzow zusammen mit ihrem Bruder, dem Maler Wach, das zweite Stockwerk des Hauses Nummer fünf bewohnte.

Das Haus war neu und schön, und der erste Anblick ihrer Wohnung überraschte mich außerordentlich. Durch einen Salon, der am obern Ende, wo das eine Sopha stand, eine tiefe Nische hatte, und der im edelsten Style mit Oelgemälden, Kupferstichen, Statuen und Blumen geschmückt war, welche letztere überall angebracht waren, wo es sich schicklich thun ließ, trat ich in das mit schweren Portièren verhängte Arbeitskabinet. Es lag in einem thurmartigen Anbau des Hauses, war rund und hoch, und bot aus den Fenstern eine schöne Aussicht auf die Spree und auf die am Wasser gelegenen Partien des königlichen Gartens von Monbijou. Die Wände waren mit Holz getäfelt, eine Bibliothek in schönen Borden nahm einen Theil derselben ein. An einer Wand zog sich auf seiner Estrade eine Art von Divan hin. Mitten in der Stube an einem Tische saßen Frau Paalzow und zwei andre Damen, mit Nähen beschäftigt.

Ich erkannte Frau Paalzow augenblicklich, denn das Portrait von ihr, das vielfach im Handel verbreitet und nach dem Original von Hopfgarten gestochen war, welches Letztere ihre Pflegetochter mir nach dem Tode der Frau Paalzow schenkte, und das sich noch in meinem Besitz befindet, ist im edelsten Sinne getroffen. Sie war ziemlich groß und wohlgewachsen, hatte sehr schöne dunkle Augen, und damals noch ein starkes schwarzes Haar und schöne Hände. Einfach[135] in schwarze Seide gekleidet, mit einem weißen Spitzenkragen und einer Haube mit weiß und lila Bändern, hatte sie, obschon sie trotz ihrer Kränklichkeit sehr wohl erhalten war, ein matronenhaftes Ansehen, und paßte vollkommen in die stylisirte Einrichtung ihres Zimmers hinein. Ihr gegenüber lag, in einem Schaukelstuhle, die damals noch sehr hübsche jüngere Tochter ihres Freundes, des Geheimrath Koppe, und nähte mit den feinen Fingern Kanten an ein weißes Tuch, während das helle warme Sonnenlicht durch die bis zur Decke emporgehenden Fenster spielend, auf ihren ganz entblößten Hals und Nacken und auf die langen, schwarzen Locken schien, die ihr bis tief auf die Schultern niederfielen. Ein älteres Fräulein Koppe saß zwischen den beiden genannten Damen. Es war ein hübsches Bild, und eine Gruppe, wie Frau Paalzow sie zu schildern liebte.

Sie kam mir freundlich und mit guten Worten bis an die Thüre entgegen, als sie mich in das Kabinet eintreten sah. »Es ist das Schöne an unserm Streben,« sagte sie, »daß es uns ein Anrecht an einander giebt, und uns mit Gleichdenkenden und überhaupt mit Mitstrebenden verbindet, und so seien Sie mir denn auch recht von Herzen willkommen! Aber« – fügte sie nach einer ganz kurzen Pause hinzu – »ich gestehe Ihnen ehrlich, Sie setzen mich in Verwunderung. Nach Ihren Romanen, die ich schon gelesen hatte, ehe Sie sie mir gestern schickten, hatte ich Sie mir als eine gleichaltrige Frau gedacht, und ich finde jetzt, daß Sie viel jünger sind als ich.«

Ich sagte ihr, daß ich diesen Irrthum dem Billette angemerkt, mit welchem sie mich zu sich eingeladen; wir[136] verkehrten dann bald in ungezwungener Unterhaltung mit einander, sie lobte meine Arbeiten, meinte, auch ihr wären die Verhältnisse der Juden näher gerückt, als es sonst bei Deutschen und Christen der Fall sei, denn ihre Schwester sei mit dem Bankier Friebe verheirathet, und nun sie neulich die »Jenny« gelesen, begreife sie nicht, daß sich nicht schon früher dichterische Talente dieses Motives bemächtigt und die Emanzipation der Juden zum Thema ihrer Arbeiten gemacht hätten. Es sei ihnen wohl aber nicht so klar gewesen als mir. – »O!« antwortete ich, »klar waren diese Uebelstände wohl so Manchem, denn sie lagen offen und auf der Hand. Habe ich ein Verdienst, so ist es nur der Muth, dasjenige offen auszusprechen, was alle Andern eben so gut wußten, aber aus Muthlosigkeit verschwiegen.«

»Mir,« versetzte sie darauf, »kommt es recht beneidenswerth vor, daß Sie so jung, so lebensfrisch zu schreiben angefangen, und daß Sie den Muth haben, Ihre Stoffe aus dem vollen Leben herauszuholen, daß Sie in den Zeitinteressen sich bewegen können. Ich muß mir meine Stoffe mühsam aus der Vergangenheit zusammensuchen. Die Gegenwart mit ihrem Meinungsstreite verwirrt und ängstigt mich. Ich kann mich nur in der Vergangenheit mit einiger Sicherheit zurecht finden, und manchmal wollte ich, ich wäre ein paar Menschenalter früher geboren, als noch mehr Harmonie in dem Gefühl der Menschen war.« – Auf meine Bemerkung, daß ich mich grade in der entgegengesetzten Lage befände, und so sehr ein Kind meiner Zeit sei, daß ich nur der Curiosität halber es einmal versuchen könnte, mich mit meinen Dichtungen in[137] eine ferne Vergangenheit zu versetzen, rief sie mit einer gewissen Lebhaftigkeit: »Thun Sie das nie, liebes Fräulein! Man muß Nichts der Art versuchen. Der Vater dieser Damen, mein Freund Koppe, dem ich meine Arbeiten zu zeigen gewohnt war, hat mir oft gesagt: machen Sie dies oder das – oder machen Sie es so und so. Die Vorschläge und der Rath waren immer vortrefflich, ich sah ihre Richtigkeit auch sehr gut ein; nur wenn ich es ausführen wollte, wurde es unter meinen Händen etwas ganz Anderes und manchmal wirklich Unsinn. Ich kann Nichts anders machen, als es mir grade wird. Ich denke auch, diese Gabe ist eine Begabung, eine Gnade, und man muß auf sie, wie auf eine innere Stimme achten und horchen. Man sagt mir, denn ich selbst lese nicht gern, was man über mich im Guten oder im Bösen schreibt, man sagt mir, daß die Kritiker mir Breite, Unbestimmtheit, Weichlichkeit vorwerfen. Das muß ich mir gefallen lassen, denn anders machen, als es mir wird – sie kam immer auf diese Wendung zurück, – kann ich es nicht. Und gehen auch Sie nie von demjenigen ab, was Sie aus sich selber haben.«

Das Gespräch wendete sich dann auf die treffliche, nun auch schon verstorbene Stadträthin Friedmann in Königsberg, die ihre Stiefnichte war und zu meinen Bekannten gehörte, und auf eine andere ebenfalls in Königsberg lebende Dame, deren Erziehung Frau Paalzow geleitet hatte. Es waren damit etwa drei Viertelstunden hingegangen, und ich stand auf, mich zu empfehlen. Sie bot mir, wie bei dem Willkomm, herzlich die Hände, begleitete mich bis in ihr Entree hinaus, versprach, mich[138] bald aufzusuchen, und bat dabei, es mit ihr nicht genau zu nehmen, da sie so sehr viel älter und so sehr kränklich sei; und ich schied von ihr mit einem durchaus günstigen Eindrucke, der sich in spätern Jahren nicht nur befestigt, sondern gesteigert hat.

Ich habe nie zu den Bewunderern der Paalzow'schen Romane gehört, deren Eigenschaften und Unzulänglichkeiten so vielfach besprochen sind, daß es überflüssig wäre, sie hier erörtern zu wollen, wo ich mit herzlicher Neigung der Verfasserin gedenke, deren ganzes Wesen ein edles und würdiges, und vor Allem ein durchaus duldsames war. Verschieden in unserm Lebenswege, verschieden in unsern ererbten Traditionen wie in unsern Ansichten und Meinungen, erinnre ich mich nie, irgend in einen Streit mit ihr gekommen zu sein, obschon sie mich namentlich in spätern Jahren, als der Meinungskampf in das Leben hinausgetreten war, oftmals dazu brachte, ihr Alles ganz klar und unumwunden auszusprechen, was ich auf dem Herzen hatte. Es war ihr daran gelegen zu erfahren, was um sie her geschah, und sie hätte es verstehen mögen, was die Geister der Freigesinnten bewegte, indeß ihr fehlte in gewissem Sinne die Möglichkeit dazu.

Ihre Bildung war eine höchst unvollständige, ihre Kenntnisse ohne rechten Zusammenhang, und es fiel mir Anfangs störend auf, daß sie das Deutsche nicht richtig sprach, so daß ihre Arbeiten, wie ich glaube, in diesem Punkte einer gründlichen Nachhülfe nöthig gehabt haben müssen; aber sie sprach sehr gut, erzählte mit Laune, und obgleich ihre Redeweise langsam war, hatten Ton und Stimme eine angenehme Wärme. Da sie die Tochter[139] einer Beamtenfamilie und, wie sie mir einmal erzählte, von einer sehr religiösen Mutter erzogen war, hatte sie die Anhänglichkeit und Liebe für die königliche Familie von Preußen und einen religiösen Sinn als Erbtheil aus dem Vaterhause in das Leben mitgenommen, und die Begeisterung der Befreiungskriege, welche sie in ihrer Jugend mit durchlebt, hatten ihrem Geist und ihrem Gemüth die deutsch-romantische Färbung eingeprägt, die in der damaligen Jugend allgemein herrschend gewesen war. Ihre Ehe mit einem preußischen Offizier, ihr enges geschwisterliches Verhältniß zu ihrem Bruder, dem Maler Wach, und endlich ihre Bekanntschaft mit einigen Personen der königlichen Familie, namentlich mit der Prinzeß Marianne von Preußen, hatten sie dem bürgerlichen Leben nur noch mehr entrückt, so daß man sie für eine Dame von Adel hielt, und daß sie noch heute in den Bibliographischen Notizen als Frau von Paalzow aufgeführt ist, während ihr Gatte und dessen ganze Familie den bürgerlichen Mittelständen angehörten.

Von diesem Gatten hatte sie sich früh getrennt, weil ihre Charaktere unvereinbar gewesen waren, und die sonst in den meisten sittlichen Fragen vorurtheilsfreie Frau konnte sich diese Scheidung von ihrem Manne nicht verzeihen, während sie in andern Fällen ähnliche Schritte vollkommen begriff und rechtfertigte. Man hat ihr diese Unzufriedenheit mit sich selbst als eine Folge religiöser Bedenken über die Rechtmäßigkeit und Zulässigkeit der Ehescheidung ausgelegt. Ich glaube aber, daß man in dieser Annahme geirrt hat, und daß es vielleicht der Glaube war, nicht Alles, was in ihren Kräften stand, zur Erhaltung ihres[140] ehelichen Friedens gethan zu haben, was sie beunruhigte. Sie sprach mit mir nur einmal, und zwar kurz ehe ich nach Italien ging, über die Ehescheidung, weil ich die Berechtigung derselben zum Stoff eines Romanes gemacht hatte; und sie verschwieg mir nicht, daß sie mit diesem Conflikte nicht fertig geworden sei. Aber sie bezeichnete das als eine Unzulänglichkeit in ihrer Natur, als eine Gemüthsschwäche, welche zu besiegen ihre Verstandeseinsicht nicht die Kraft besessen hätte.

Was sie mir vor Allem werth machte, war aber ihre schon erwähnte Duldsamkeit gegen Andersdenkende, und ihr Bestreben sich in das ihr Fremde hinein zu finden. Ich sah sie nicht eben oft, versäumte sie bisweilen lange und sie beschämte mich dann wirklich durch die Nachsicht, mit welcher sie mir entgegenkam. So geschah es denn einmal, daß Doktor Heinrich Bernhard Oppenheim, der damals noch Privatdocent in Heidelberg war, und meinen Roman »Jenny« gelesen hatte, mir seine Sympathie für denselben ausdrücken wollte, ohne zu wissen, wo er mich finden könne. In der Voraussetzung, daß zwei Schriftstellerinnen, welche an demselben Orte leben, einander kennen und häufig sehen müßten, adressirte er seinen Brief an Frau Paalzow, die ihn mir dann mit folgenden Zeilen übermachte:


»Gestern erhielt ich diesen Brief, und obwohl er auf einen Irrthum beruht, knüpfe ich doch die Hoffnung daran, daß Sie, liebes Fräulein, noch hier anwesend sind. Möchten Sie sich doch alsdann geneigter fühlen, mit einer alten gebrechlichen Frau – nämlich mit mir, nicht zu streng zu sein, und gern einmal wieder in mein Thürmchen[141] eintreten, wo Ihr Besuch immer so willkommen war, und Ihr frischer lebendiger Geist mir so viel Antheil und Vergnügen einflößte.

Noch erzähle ich Ihnen, daß Sophie F. mit einem Lieutenant G. verlobt ist.

Adio und ich hoffe auf Wiedersehen.

Den 8. Februar 1845.

Jeanette Paalzow geb. Wach.«


Von da ab, bis zu meiner Reise nach Italien, und namentlich nach meiner Heimkehr von derselben, ging ich nun häufiger zu ihr, und grade in der Epoche der beginnenden politischen Aufregung, grade zur Zeit des vereinigten Landtages war es rührend und zugleich ein schönes Beispiel, wie ernstlich sie sich bemühte, die Beweggründe einer Partei kennen zu lernen, deren Bestrebungen ihr als ein Auflehnen gegen König und Staat erschienen. Umgeben von Freunden und von einer Gesellschaft, welche sich von der neuen Zeit und von ihren Ideen feindlich und mit Haß abwendeten, war sie weit entfernt, sich auf das bloße Glauben an das Hergebrachte und Bestehende zu stützen. Sie hing an dem König und an der Königin mit einer persönlichen Liebe, war auf das Tiefste davon betrübt, die Absichten des Königs, welche sie sehr hoch hielt, wie sie es nannte, verkannt zu sehen, aber sie hatte doch so viel von jener menschlichen Unparteilichkeit in sich, ohne die ein Dichter nicht schaffen kann, daß es sie drängte, die Männer kennen zu lernen, welche die ihr entgegenstehenden Ansichten vertraten, und soweit sie es vermochte, verstehen zu lernen, um was es sich handelte. Sie ging mich zu verschiedenen Malen ernstlich darum an, daß ich[142] ihr Heinrich Simon, Adolf Stahr, Johann Jacoby zuführen solle, ich suchte diese auch zu einem Besuche bei Frau Paalzow zu überreden; aber sie waren Alle, Jeder auf seine Weise hingenommen, die Begegnung kam nicht zu Stande, und so mußte sie sich denn mit demjenigen begnügen, was ich ihr zu bieten vermochte.

Ich habe indeß dies Streben nach Aufklärung immer als einen schönen Zug an der edlen Frau geschätzt, denn sie hatte dabei alle Wahrscheinlichkeit in ihren eigenen Empfindungen verletzt zu werden. Wem aber so viel an der Wahrheit gelegen ist, daß er dies nicht scheut, der hat eine große Seite in seiner Natur und ist kein gewöhnlicher Charakter.[143]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 3, Berlin 1871, S. 127-144.
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