Achtes Kapitel

[144] Fast jeder Tag jenes Winters brachte mir neue Anregungen, neue Eindrücke, neues Vergnügen, und ich hatte volle Zeit, mich diesem zu überlassen, da ich noch immer nicht arbeiten konnte und sollte. Meine Freiheit, meine selbstständige Stellung gewährten mir täglich neue Befriedigung, und ich sagte mir oft das Wort Goethe's vor: »was man in der Jugend wünscht, hat man im Alter die Fülle«, um mir es auf meine Weise zu deuten; denn ich hatte jetzt viel mehr, als ich für mich zu erreichen jemals erwarten können.

Dazu war Berlin damals sehr unterhaltend an und für sich. Friedrich Wilhelm's des Vierten Vorliebe für die Kunst, wie seine Neigung für eine geistreiche Geselligkeit zogen viele Fremde nach Berlin, und man sah ihn und die Königin in jener Zeit vielfach in der Oeffentlichkeit erscheinen. Er fehlte selten in den Vorlesungen, welche im Winter von den Berliner Gelehrten am Sonnabend Nachmittag in der Singakademie gehalten wurden; er kam viel in die Symphoniekonzerte, und was auch unternommen wurde, überall hörte man von ihm sprechen, weil seine Lebhaftigkeit überall persönlich theilnahm und überall eingriff, wo er theilnahm. Es war nicht immer[144] das Zweckmäßigste, was geschah, es wurde auch manches Wunderliche zu Tage gefördert und Unzufriedenheit genug erregt, aber man hatte immer Etwas zu sprechen und der Geist in der Gesellschaft wurde dadurch in einer unruhigen Lebendigkeit, ja in Aufregung erhalten.

Heute sprach man von der Stiftung des mährchenhaften Schwanenordens, morgen sah man, wie der König sich in seiner Loge in der Akademie vor Lachen schüttelte, als Herr Alfred Reumont in einer Vorlesung über italienische Literatur die Wendung brauchte: »sie schrieben begeisterte Freiheitslieder unter Aufsicht der Polizei!« An einem andern Tage erfuhr man, daß Felix Mendelssohn, welcher bei großen Anlässen den Domchor dirigirte, vom Könige die Anweisung erhalten hatte, zu Ostern für den Domchor einen Psalm mit Begleitung von Harfen und Posaunen zu componiren, weil die Bibel berichte, daß König David seine Psalmen so begleitet habe, worüber noch speciell bei den Rabbinen Rath geholt werden sollte; und daneben war von der Inscenirung des Tieck'schen »Blaubart« die Rede, während man täglich das Erscheinen des neuen Judengesetzes und des neuen Ehescheidungsgesetzes erwartete, und fortdauernd von den Aenderungen die Rede war, welche durch des Königs vermeintliche Vorliebe für die Anglikanische Kirche, in dem protestantischen Gottesdienst eingeführt werden sollten.

Man hatte eine unbestimmte Ahnung davon, daß die Zustände nicht bleiben würden, wie sie waren, daß »Etwas geschehen« würde; und weil man zwischen ungewissen Befürchtungen und Erwartungen schwankte, weil man sich bei dem beweglichen Geiste und dem daneben[145] beharrlichen Sinn des Königs, des Unberechenbarsten versehen konnte, so schien man die Muße des Augenblickes noch genießen, die guten alten Traditionen der Berliner Gesellschaft schienen für den Augenblick wieder aufleben zu wollen. Das Bierhausleben der Männer war noch nicht so allgemein als jetzt.

Es gab noch immer einzelne Frauen, in deren Zimmern sich eine aus allen Ständen gemischte Gesellschaft zusammenfand, und unter diesen Letztern nahm die älteste Schwester von Felix Mendelssohn, die an den Maler Wilhelm Hensel verheirathete Fanny Mendelssohn die erste Stelle ein. Sie war klein, und die seelenvollen mächtigen Augen ausgenommen, eigentlich unschön, aber sie hatte einen scharfen Verstand, war sehr unterrichtet, sehr selbstbestimmt und als Musikerin ihrem Bruder ebenbürtig. Auch ihre jüngere Schwester, Rebekka, die Frau des berühmten Mathematikers Lejeune Dirichlet und der jüngste Bruder, der Bankier Paul Mendelssohn waren äußerst musikalisch, und die Matineen, welche Frau Hensel in den stillen, weiten Sälen ihrer Gartenwohnung veranstaltete, waren außerordentlich interessant. Sie bewohnte den Gartenflügel ihres elterlichen Hauses, desselben, in welchem sich jetzt die erste Kammer befindet, und aus den bis zum Boden hinabreichenden Fenstern dieses Hinterhauses, das nur aus einem Erdgeschoß bestand, aus ihren kunstgeschmückten Räumen, sah man hinaus auf die alten Bäume eines großen Gartens, während man die vortrefflichsten musikalischen Aufführungen zu genießen hatte, in denen Künstler und ausgezeichnete Dilettanten zusammen wirkten.[146]

In einer solchen Matinee war es, daß ich Felix Mendelssohn zum ersten Male sah und hörte. Es befanden sich unter den Zuhörern noch Henrik Steffens, Friedrich von Raumer, die Künstler Wach und Tieck, eine Fürstin von Dessau, die Fürsten Radzivill mit ihren Familien, der englische Gesandte Graf Westmoreland, zwei von Bettina's Töchtern, eine Tochter des Prinzen Karl von Preußen mit ihrer Erzieherin, Schönlein, und noch eine Menge von Personen, deren Namen Bedeutung hatten, oder diese später bekamen, wie der Name des Musikers Joseph Joachim, welcher damals noch ein Knabe war und, von Felix Mendelssohn begleitet, sehr brillante Variationen von David vortrug.

Während man schon musicirte, richteten sich plötzlich alle Blicke nach der Thüre und ein freudiges Lächeln zog durch alle Mienen, als ein noch junger Mann in der Thüre des Saales erschien. Es war eine schlanke, bewegliche Gestalt. Sie trat geräuschlos ein, den Kopf hoch gehoben, mit leuchtenden Augen, die etwas ungemein Ueberraschendes, ja etwas Ueberwältigendes hatten. Es war Franz Liszt.

Ich hatte ihn schon in Königsberg im Hause einer mir befreundeten Dame, der Stadträthin Friedmann gesehen, und still dabei gestanden, als eine einfältige Frau, die sich für geistreich hielt, es für angemessen fand, ihn über George Sand und dessen Art und Weise auszufragen. »Trägt George Sand Männerkleider?« – »So sagt man!« – »Sie kennen George Sand genau?« – »O ja! seit langen Jahren!« – »Raucht George Sand?« – »Ja! sie raucht!« antwortete der Gequälte, welcher[147] sich seinem Plagegeist, der eine in Königsberg angesehene und Ton angebende Dame war, nicht wohl entziehen konnte, mit verzweifelter Geduld. – »Ist George Sand schön?« – »Sie sieht sehr gut aus.« – »Wie alt ist sie? ist sie jung?« – »Man ist immer jung, Madame! so lange man zu gefallen weiß!« entgegnete er, verneigte sich gegen die nicht mehr junge Frau, und rettete sich vor ihrer langweiligen Indiskrezion, indem er ihr, großmüthig wie seine Natur es ist, für eine Qual, welche sie ihm bereitet, ein Compliment hinwarf, das sie nicht versäumte, auf sich zu beziehen, und sich dessen lange nachher zu rühmen.

Selbst gesprochen hatte ich ihn nie, und spielen hatte ich ihn auch nicht hören, denn die Conzertbillette waren für uns nicht erschwingbar gewesen, und ich hatte auch eigentlich mehr Interesse für Liszt als Menschen, denn für den Musiker gehabt. Es mußte eine mächtige Seele, ein starkes Streben nach Wahrheit in dem Manne sein, den seine Sehnsucht nach einem Idealen aus pietistischer Schwärmerei in die Verbrüderung der Saint Simonisten geführt, von denen er sich dann auch später wieder getrennt hatte. Und so hatte ich denn an dem Morgen der Matinee mein volles Genügen daran, ihn aus der Ferne anzusehen, und den ganzen wunderbaren Kopf in seinen Einzelnheiten zu betrachten, von dessen stolzer Stirn das Haar wie die Locke des Jupiter Otrikoli emporsteigt. Ich wünschte es mir damals sehr, Liszt kennen zu lernen, und dachte nicht daran, daß dies einst geschehen, daß ich in ihm den Freund meines Mannes und auch meinen Freund zu lieben und zu schätzen haben würde.[148]

Man begann an jenem Morgen die Musik mit einem Quartett von Weber, das Frau Hensel spielte, und welches die Gebrüder Gans und Felix Mendelssohn begleiteten, dann trugen Frau Hensel und der Bruder Variationen à quatre mains von dem Letztern vor; Pauline von Schätzel, damals schon die Frau des Hofbuchdrucker Decker, sang eine Arie mit Chor aus der Schöpfung, und später mit einem ausgezeichneten Sänger, mich dünkt, er hieß Bär, einige große Scenen aus dem Templer und der Jüdin, Felix Mendelssohn begleitete den Gesang auf dem Flügel, und endlich spielte Mendelssohn mit dem jungen Joachim noch die vorhin erwähnten Variationen.

Es war erfreulich, Mendelssohn zu beobachten, wenn er musicirte. Er war nur klein und sein feines, etwas bleiches Gesicht trug den Typus seines Volkes, ja es erinnerte für mich entschieden an Moses Mendelssohn. Man würde überall, wo man ihm begegnet wäre, seinen Kopf anziehend gefunden haben, aber sobald er spielte, gewannen seine Züge, ich möchte fast sagen andere Dimensionen und eine viel höhere Bedeutung. Stand er vollends als Dirigent vor dem Orchester, wie ich das in den Symphoniekonzerten sah und hörte, als er einmal seine Ouverture zum Sommernachtstraum, und ein anderes Mal, als er seine Ouvertüre zu den Hebriden aufführte, so wurde er ein anderer Mensch. Es schien, als steige er empor auf der Fülle der Töne, welche unter seiner Leitung erklangen, der Töne, welche er erschaffen hatte, und die ihn nun mit ihren vollen Wogen umrauschten. Er wuchs mit ihnen an Kraft, sein Haupt hob sich[149] stolz, sein Auge strahlte mit schönem Glanze, sein Gesicht drückte eine ernste Freude aus, und man war dann ganz verwundert, wenn er nach dem letzten Taktschlag seinen Herrscherstab zur Seite legte, von seinem Schemel herabstieg, mit den andern Leuten auf gleichem Boden einherging, und wieder das sanftbewegte, feine und geistvolle Gesicht zum Vorschein kam, das man vor der Aufführung an ihm wahrgenommen hatte.

Ich war von den beiden Schwestern des Componisten sehr freundlich begrüßt worden, als wir uns zum ersten Male in einer Gesellschaft bei Fräulein Solmar getroffen hatten. Sie waren auch Jüdinnen, wenn schon an Christen verheirathet, und hatten jene entschiedene Vorliebe für ihre Abstammung bewahrt, welche bei den Juden stets ein Zeichen von Bildung und charaktervoller Selbstständigkeit ist. Der halbgebildete, in sich unfreie Jude hat zu allen Zeiten, früher sowohl wie noch heute, das Vorurtheil, welches die Unkultur der Nichtjuden gegen sein Volk gerichtet, als eine Demüthigung empfunden, der er sich durch Verbergen seiner Abstammung oder doch dadurch zu entziehen sucht, daß er ihrer nicht eben erwähnt, daß er sie vergessen machen möchte, und sich auf jede Weise Denjenigen anzuschließen trachtet, welche ihn zu vermeiden wünschen. Das war und ist aber ein ehrloses Verhalten, und da das Schlechte in der Regel auch etwas Dummes ist, so war und ist dies Verläugnen der eigenen Wesenheit auch nebenher eine Dummheit. Der vorurtheilsvolle Einzelne und die vorurtheilsvolle Masse vergessen und vergeben es dem Juden in Deutschland und in England[150] noch heute nicht, daß er ein Jude ist, und sie haben ein Recht, ihn zu mißachten, so lange er nicht das Selbstgefühl hat, sich ihnen gegenüber in seiner Menschenwürde als gleichberechtigt zu behaupten, so lange er selbst sich in gewissem Sinne seiner Abkunft schämt. Was wir selbst an uns nicht schätzen, hat sicher kein Anderer zu respektiren nöthig. Damit die rechte Selbstachtung aber möglich wird, ist viel mehr und ganz andres nöthig, als Equipagen, Mittagsbrode und prachtvoll tapezierte Wohnungen, als die Sammetpelze, Brillanten und noblen Cavalierpassionen, mit welchen unsere reich gewordenen Juden ihre Gegner jetzt von ihrer Gleichberechtigung zu überzeugen meinen. Es ist dazu jene Bildung nöthig, wie sie die Juden sich zu den Zeiten Lessings, nach dem Beispiel von Moses Mendelssohn zu eigen machten, jene Bildung, die gleichen Schritt hielt mit den Besten ihrer Zeit, und die es neben dem Wissenswerthen, das sie erstrebte und sich aneignete, nicht vergaß, daß Bildung des Charakters das Höchste ist.

In einer unterdrückten und auch jetzt noch im Geiste des deutschen Volkes keinesweges emancipirten Nationalität erringt Jeder die Stellung, welche er durch seine Bildung für sich selbst erwirbt, zugleich für die Gesammtheit. Was Moses Mendelssohn, seine Kinder und Enkel, was die Hofräthin Herz, was Rahel und ihre Freunde, Frau Levy und ihre Schwestern, was David Veit, David Friedländer und Männer und Frauen dieses Schlages, zu ihrer Zeit an Bildung, an Charakter besaßen und für sich geltend machten, das ist der Grundstock des Kapitals, von welchem heute noch die geselligen Verhältnisse der Juden die[151] Zinsen beziehen; und es ist an der Zeit und dringend nöthig, daß sie dies Kapital an geistigem Gehalt in sich vermehren. Denn so ehrenvolle Ausnahmen es giebt, so ist ein großer Theil von ihnen doch sehr äußerlich geworden; und die fast zur Sitte und zur Mode gestempelten Heirathen der reichen jüdischen Banquierstöchter mit armen Edelleuten sind gewiß nicht das rechte Mittel, die gesellschaftliche Gleichberechtigung und die Achtung vor der Bildung und vor dem Charakter der Juden herzustellen. Im Gegentheil!

Es war eine sehr gesunde Seite an Felix Mendelssohn und an seinen beiden Schwestern, daß sie Vorliebe für den Volksstamm hatten, dem sie angehörten, und ich erinnere mich mit Vergnügen daran, wie werth sie die Erinnerungen hielten, welche mit der Vergangenheit ihrer Familie in Verbindung standen. Bald nachdem ich Frau Dirichlet hatte kennen lernen, fiel es mir z.B. eines Tages auf, daß in dem Eßzimmer ihrer geschmackvollen Wohnung, auf einem großen Schranke eine Reihe äußerst häßlicher Affen aus Porzellan aufgestellt waren, welche bei der ganzen Einrichtung der Zimmer doppelt als eine Abgeschmacktheit erschienen. Ich konnte mich daher der Frage nicht enthalten, was sie bewogen habe, diese garstigen Figuren als Zierrath zu benutzen. »O!« entgegnete sie, »Zierrath ist das nicht, es sind Erbstücke und historische Dokumente. Zu der Zeit, in welcher mein Großvater Moses Mendelssohn sich hier in Berlin niederließ, mußte jeder Jude, welcher sich verheirathete, je nach seinen Vermögensverhältnissen eine bestimmte Menge Porzellan aus der königlichen Porzellanfabrik entnehmen, welche Friedrich[152] der Große auf jede Weise zu heben wünschte. Aber nicht genug, daß dies schon an und für sich unter Verhältnissen eine harte Zumuthung sein konnte, hatten die Juden auch nicht einmal das Recht der Wahl bei ihren Käufen, sondern mußten nehmen, was ihnen von der Direktion der Fabrik überwiesen wurde. Auf diese Art erhielten denn die Großeltern eine ganze Menagerie von Affen, welche ihre Kinder später zum Andenken theilten, und die wir nun von unsern Eltern überkommen haben, und als Erinnerungszeichen an die alte gute Zeit bewahren.«

Während ich so die Vorzüge eines Gesellschafts-Lebens genoß, das mir neu war, trat plötzlich eine Aufforderung zur Arbeit an mich heran, die ich mir am wenigsten vermuthet hatte, und die in gewisser Weise, wenn auch nur indirekt, mit der Neigung des Königs zusammenhing, das Heft alles Geschehenden selbst in Händen zu behalten.

In Berlin erschien nämlich seit langen Jahren ein genealogischer Kalender, welchen früher die königliche Kalenderkommission herausgegeben hatte. Diese hatte damit schlechte Geschäfte gemacht, und das Verlagsrecht deßhalb im Jahre dreiundvierzig an die Reimarus'sche Buchhandlung verkauft, wobei der König sich jedoch die Bestimmung der Stahlstiche vorbehalten, und verlangt haben sollte, daß der Inhalt des Kalenders ein rein historischer sei. Das Erstere hatte natürlich gar keine Schwierigkeiten gehabt, gegen das Letztere hatte der Buchhändler jedoch die Einwendung gemacht, daß ohne eine belletristische Arbeit der Kalender für das große Publikum nicht[153] anziehend sei, und der König hatte sich denn dahin entschieden, daß der Verleger sich an Tieck wenden und diesen um eine Novelle angehen solle. Herr Reimarus hatte der Anordnung Folge geleistet, indeß Tieck hatte sich außer Stande erklärt, bei seiner schwankenden Gesundheit irgend eine feste Zusage zu machen; und da Reimarus angewiesen worden, Tieck die Wahl des Autors anheim zu geben, falls er selbst keine Arbeit liefern könne, so hatte Tieck ihm den Rath gegeben, mich zu einer Arbeit für den Kalender aufzufordern.

Doktor Moritz Veit, der mir im Namen von Herrn Reimarus die erste Mittheilung davon machte, und der ehemalige Redakteur der Staatszeitung, Herr Lehmann, der sich dabei befand, redeten mir zu, die Arbeit zu übernehmen, und nach einem mehrtägigen Zögern, Bedenken und Verhandeln sagte ich es zu. Mir und dem guten nun schon lange verstorbenen Reimarus war Beiden aber nicht ganz wohl dabei zu Muthe.

Mir war es neu, eine Arbeit machen zu sollen, an die ich nicht vorher aus freiem Antriebe gedacht hatte, und Herrn Reimarus war ich so zu sagen unheimlich. Ich hatte meinen Sinn auf die Gestaltung meines dritten Romanes gerichtet, zu welchem mir die Anregung schon vor Jahren durch die Halleschen Jahrbücher gekommen war. Ich hatte dort in einem Artikel über das in Preußen beabsichtigte Ehescheidungsgesetz den Ausspruch gefunden: »Es giebt Fälle, in welchen die Trennung einer Ehe eine hohe, sittliche That sein kann!« – Diese Ansicht hatte mich, weil sie mir zur Zeit, als ich den Ausspruch las, noch befremdlich gewesen war, vielfach beschäftigt,[154] und ich hatte mir, ohne den Gedanken an eine bestimmte Composition, Fälle auszumalen versucht, in welchen er zutreffend sein mochte. In diesem Nachsinnen hatte ich mir die verschiedenen Charaktere vorgestellt, welche überhaupt darauf angelegt sein konnten, Ehen einzugehen, die später ihren Bedürfnissen und Erwartungen nicht entsprächen, und mir deutlich zu machen versucht, welche Saiten des menschlichen Empfindens in einem ehelichen Zwiespalt zum Erklingen kämen, wenn dieser bis zu dem Verlangen nach einer Scheidung gediehen sei. Es war mir darüber ein Kreis von Gestalten und eine Reihe von Verhältnissen und Verwicklungen zwischen diesen Gestalten, in der Seele lebendig geworden, die ich mehr und mehr ausbilden mußte, und die ich bald festzuhalten wünschte. Die Figur eines dichterisch begabten Edelmannes, eines adeligen Schriftstellers, der als Student sich in ein schönes Bürgermädchen verliebt und dies, trotz der Ungleichheit – nicht ihres Standes – sondern ihrer Bildung zu heirathen versprochen, und zu beiderseitigem Nachtheil auch geheirathet hatte, das war die ursprüngliche Person gewesen, an welcher ich meine Probleme ermessen, und sie war, wie alle Figuren dieser Dichtung, die später unter dem Titel: »Eine Lebensfrage« erschienen ist, ein reines Gebilde der Phantasie, ja sie hatten, mit Ausnahme einer einzigen Figur, mit Ausnahme des Präsidenten, keine Züge von lebenden Originalen entlehnt, wie dies sonst beim Schaffen willkürlich und unwillkürlich wohl geschieht.

Ich hatte aber eine Zärtlichkeit für den neuen Helden meiner Phantasie gefaßt. Alfred von Reichenbach war[155] mir in das Herz gewachsen, ich liebte es, mich mit ihm zu beschäftigen, und unterhielt mich daneben heiter damit, bei der Charakterentwicklung des Präsidenten einzelne kleine Züge unseres Freundes Crelinger anzubringen, welche er theils mit andern geistreichen und durch die Erfahrung gebildeten Lebemännern gemeinsam hatte, und wieder andre, deren er sich gegen mich angeschuldigt oder gelegentlich gerühmt hatte. Zum Scherz und zum Necken aufgelegt, hatte ich große Freude daran, mir die heitere Ueberraschung des mir so werthen Freundes vorzustellen, wenn er den Roman einmal zu lesen bekommen würde; und diese mir zu täglichen Gefährten gewordenen Geschöpfe meiner Phantasie, den liebenswürdigen Alfred, den sarkastischen Präsidenten, den sanften, sentimentalen Theophil und die schöne Sophie Harcourt, Alle auf einmal nun in meinen Schreibtisch zu verpacken, aus so guter Gesellschaft in eine leere, kalte Stube zu gehen und abzuwarten, wer etwa kommen und sich melden wolle, war mir eigentlich verdrießlich.

Auf der andern Seite hatte ich nicht viel Geld, aber viel Lust, noch in Berlin zu bleiben. Man bot mir ein gutes Honorar, man hielt mir vor, daß ein Kalender weit verbreitet werde, daß er also ein großes Publikum und eine große Wirksamkeit habe, und so sagte ich mir denn eines Tages frisch weg: »Gebt Ihr Euch einmal für Poeten, so kommandirt die Poesie!« und versprach Herrn Reimarus contraktlich, ihm im Verlauf einiger Monate eine Novelle zu liefern.

Kaum aber hatte ich meinen Contrakt unterschrieben, so begann der Gedanke, daß ich auf meine Gesundheit[156] nicht zählen könne, und daß ich ein gegebenes Wort zu halten habe, mich zu peinigen und mir schlaflose Nächte zu machen, und ich brachte es mit dieser unnützen Selbstquälerei wieder einmal dahin, mich leidender zu machen, als ich war, und so meine Sorge zu erhöhen. Daneben traute mir mein Verleger, Herr Reimarus, auch nicht recht. Er hatte den Contrakt mit mir abgeschlossen, ohne eine Zeile von mir gelesen zu haben. Nun las er die »Clementine« und die »Jenny«, und es wurde ihm zu Muthe, wie jenem armen Huhne, das ein Habichtsei ausgebrütet hat, und mit Entsetzen die großen Augen des kleinen Raubvogels aus dem Ei hervorkommen sieht. Der ganze leidenschaftliche Ton meiner Auseinandersetzungen, mein Festhalten an Ueberzeugungen, welche nicht die allgemein herkömmlichen waren, beunruhigten ihn, und er beschwor mich also, da er es ja mit einem in gewissem Sinne gouvernementalen Unternehmen zu thun habe, um Gottes willen Nichts zu schreiben, was irgend nach einer Seite Anstoß geben könne. Zwei-, dreimal besuchte er mich, während ich arbeitete, um mir diese Bitte an das Herz zu legen, und als er dann erfuhr, daß meine Novelle den Titel: »Der dritte Stand« tragen solle, stiegen seine Besorgnisse auf das Höchste.

Nun war er ein feiner, durchaus gebildeter Mann, der mir nicht wehe thun wollte, und ich hatte auch den redlichsten Willen, mich seinen Anforderungen zu fügen, aber die Scene war gar zu komisch, wenn er auf sein Kapitel kam. Er sprach dann schneller, als er pflegte, lobte mich eifrig, und bemerkte, sich hastig und verlegen die Hände reibend, als er zum letzten Male davon[157] mit mir sprach: »Nun mein theures Fräulein! wenn wir also nun bald fertig sind, so sehen wir Ihre schöne Arbeit durch, und finden wir Etwas, was uns bedenklich scheint, so merzen wir das leicht aus, und ändern es!« Er stand auf, gab mir die Hand und wollte gehen. Ich erhob mich ebenfalls, und seine Hand festhaltend, sagte ich: »Verzeihen Sie, Herr Reimarus! Eins muß ich Ihnen doch noch sagen. Da ich die Novelle geschrieben habe und nicht wir Beide, so werde auch ich allein sie revidiren, und Sie werden dieselbe wörtlich so drucken, wie ich sie geschrieben habe. Eine Censur von Ihnen erkenne ich um so weniger an, als bereits die Censur der Behörden auf unserm Schaffen lastet. Dieser keinen Anstoß zu geben, bin ich Ihnen schuldig und werde ich mich bemühen, im Uebrigen vertrete ich, was ich schreibe, und im schlimmsten Falle büßen Sie Ihr blindes Zutrauen zu Herrn Hofrath Tieck! Ich bin eben ein Kind meiner Zeit, das hätten Sie wissen können; aber ich denke, Sie sollen kein Hinderniß durch mich erfahren!«

So schieden wir denn freundlich und ich arbeitete an meiner Novelle eifrig fort, mich jeden Tages glücklich preisend über die Fähigkeit schaffen zu können, was mich erfreute, und arbeiten und leben zu können, nach meinem Bedürfen. Ich dachte mit sehr erhöhter Liebe an meine Schwestern nach Hause, ich ließ es mir geduldig gefallen, recht viel Bänder und Kragen und Kleidungsstoffe und Gott weiß was sonst noch für sie besorgen zu müssen, obschon es mir beschwerlich war und sie es zu Hause, ihren Verhältnissen angemessen, ebenso gut haben konnten; aber wenn man Freude hat, mag man gern Freude bereiten,[158] und es focht mich dabei gar nicht an, daß ich auch jetzt noch in Berlin jeder Art von häuslicher Bequemlichkeit ermangelte.

Ich wohnte, seit ich im Herbste des Jahres dreiundvierzig wieder aus Breslau zurückgekehrt war, wieder bei meiner Tante, die außer mir noch andre Pensionaire hielt. Da diese Letztern ihr größere Entschädigungen bieten konnten, als ich es mit meinen mir knapp zugemessenen Mitteln zu thun vermochte, mußte ich mich natürlich mit dem schlechtest gelegenen Zimmer begnügen, und wenn ich nun auch nicht, wie es früher der Fall gewesen war, der nothwendigen Möbel entbehrte, so hatte ich dafür um so mehr von Musik und von einer unausgesetzten Passage durch meine Stube zu leiden. Auf der einen Seite derselben musicirte meine sehr musikalische Tante, wenn ihr eine freie Stunde übrig blieb, auf der andern Seite eine englische Sprachlehrerin, deren musikalische Anlagen echt englische waren, und die, ausgerüstet mit dem ganzen Stolze ihres Englands, ruhig fortspielte, wenn auch meine Tante eine Stube davon selber Musik machte. So zwischen zwei musikalischen Feuern in drangvoll fürchterlicher Enge eingekeilt, saß ich an meinem alten Schreibsecretair, und Köchin und Hausmädchen, und jeder Besuch, der zu meiner Tante ging, elegante Toiletten und Kehrbesen und Waschzuber, Alles passirte an mir vorüber. Es war ein Glück für mich, daß ich es als Kind erlernt hatte, in der Wohnstube am Familientisch zu arbeiten, und meine Gedanken, unabhängig von den Vorgängen um mich her, zusammen zu halten und auf das Papier zu bringen; denn ohne solche frühzeitige geistige Abhärtung[159] hätte ich in dieser Wohnung nicht eine Zeile schreiben können.

Das Schlimmste und das mir eigentlich Unerträgliche bei dieser Einrichtung bestand darin, daß ich nicht Herr in meiner Stube war. Man kann sich in dem elendesten Kämmerchen einheimsen und es sich und Andern darin behaglich machen, wenn man die Freiheit hat, es seinem eigenen Wesen anzupassen. Einer Bodenkammer und einer Bauernstube kann man das Gepräge eines gebildeten Geistes aufdrücken, einem sogenannten »anständig möblirten Vermiethzimmer« ist aber weit schwerer beizukommen, und ich ging oftmals in dem Zimmer umher, und dachte: wohnst Du denn hier wirklich? – Ich sah die Porzellanvasen mit gemachten Blumen an, die unter ihren Glaskuppeln in steifer Verblichenheit dastanden; ich sah an der Wand zu den mir fremden, schlechtgezeichneten Familien-Portraits hinauf, ich stand vor dem Trümeau, der mit dem Zimmer und mit den andern Möbeln gar keine Gemeinschaft hatte, und dachte: wie sind wir Beide denn eigentlich hierher verschlagen? und ich kam mir in meiner Umgebung so fremd vor, als ginge ich in den verblichenen Kleidern einer alten Maskengarderobe umher. Schlimmer aber noch empfand ich es, wenn ich genöthigt war, mir meine Bestellungen bei Handwerkern selbst zu besorgen, gelegentlich große Packete für die Meinen selbst zur Post zu tragen, und vollends, wenn ich Abends unbegleitet über die Straße gehen mußte.

Zu Hause war es ein feststehendes Gesetz gewesen, daß keine der Töchter in ein fremdes Haus zu einer Wäscherin, Schneiderin, Putzmacherin gehen durfte, sofern[160] diese nicht einen offenen Laden hielt, und ebenso waren wir, sobald es nicht mehr völlig Tag war, niemals auf die Straße gekommen, ohne von einem Mädchen oder von dem Hausdiener begleitet zu werden. Da wir reichliche Bedienung im Hause hielten, hatte das gar keine Schwierigkeiten gemacht, es waren immer Leute zur Verfügung gewesen, und da es in den uns befreundeten Familien eben so gehalten worden, hatte ich kaum daran gedacht, daß es überhaupt anders sein könne. Als ich dann zum ersten Male einen Winter in Berlin zubrachte, bestand eine der ersten Anordnungen, welche mein Vater für mich traf, darin, daß er einen Diener engagirte, der mich begleitete, wenn ich Abends ausging oder ausfuhr, denn selbst im letztern Falle fürchtete der Vater irgend welche Zufälle, die mir unangenehm sein konnten, und ich hatte mir, um diese Anordnung aufrecht zu erhalten, die recht kostspielig war, mancherlei Erwünschtes versagen müssen, wollte ich die von meinem Vater bewilligte monatliche Summe nicht überschreiten, und seine Güte für mich nicht mißbrauchen.

Jetzt, da ich mir vorgenommen, nur von meinem Erwerbe zu leben, war dieser begleitende Diener der erste Luxus, den ich mir abgewöhnte und abgewöhnen mußte. Ich machte meine Commissionen selbst, ich ging im Dunkeln allein aus, und ich empfand dabei keine Furcht, wohl aber ein Unbehagen, ja ich fühlte mich gedemüthigt. Ich kam mir erniedrigt, gelegentlich auch so einsam und verlassen vor, daß mir eines Abends, als ich in einem argen Schlackwetter, in Mantel und Kapuze durch den nassen Schnee der Straßen watete, die Thränen in die[161] Augen kamen. Es war derselbe Hochmuth, der sich in mir geregt hatte, als ich das erste selbstverdiente Geld empfangen hatte, und ich wurde die Quelle meiner Niedergeschlagenheit nicht gewahr, ohne mich derselben bald von Herzen zu schämen, und mit all meiner Kraft und Vernunft gegen den Dünkel anzukämpfen, der sich die Vorzüge des selbsterwerbenden Mannes, des Arbeiters aneignen wollte, ohne den Muth zu haben, sich da, wo es Noth that, auch den Bedingungen der Selbstständigkeit ehrlich und freudig zu unterwerfen.

Ich hatte schon oftmals von den arbeitenden Ständen mündlich und schriftlich gesprochen, hatte schöne und erhabene Sentenzen darüber gemacht, mein Lebelang von der Gleichberechtigung und von der Emancipation der Frauen sehr energisch geredet, und fand nun zu meinem Erstaunen, daß ich im schlimmen Sinne des Wortes »die Dame« spielte, daß ich mein besseres Selbst angetastet glaubte, wenn ich Geld für meine Arbeit nahm, daß ich meiner Stellung zu nahe zu treten, meinem Schicklichkeitsgefühl Etwas zu vergeben wähnte, wenn ich, wie Tausende von armen ordentlichen Arbeiterinnen, Abends ruhig meiner Wege ging. Das machte eine vollkommene Revolution in meinem Innern, und ich kam mir nun plötzlich mit meinem Salon-Anstand und meiner damenhaften Vornehmheit so unter meiner wahren Würde vor, daß ich mich recht von Herzen in die Idee versenkte, mein Leben lang immer nur eine tüchtige Arbeiterin zu sein, auf welchen Platz das Schicksal mich auch stellen, welche Art von Arbeit mir auch nöthig werden würde, um mir meine ehrliche Selbstständigkeit zu erhalten. Man hat aber in[162] sich Etwas gewonnen, wenn man aufhört, die Achtung des Menschen nicht ausschließlich nach der Art seiner Arbeit, sondern nach der Tüchtigkeit abzumessen, mit welcher er derselben obliegt; und wenn man begreift, wie thöricht es ist, nur die mit der Hand arbeitenden Menschen zu den arbeitenden Ständen zu zählen. Man hört dann wenigstens auf, die Würdigkeit und Vornehmheit des weiblichen Geschlechtes gewissermaßen nach seiner Vermögenslage zu beurtheilen, und sich gedemüthigt und verlassen zu fühlen, weil man nicht Geld genug hat, unnöthig Droschken zu bezahlen und einen Diener hinter sich hergehen zu lassen. Indeß man macht sich freilich von Nichts schwerer, als von seinen Vorurtheilen und von seinen Gewohnheiten los, wenn beide irgend einem Hochmuthe heimlich Vorschub leisten.

Meine Arbeit für den Kalender ging mir nicht so frisch von Statten, als es bisher mit meinen Produktionen der Fall gewesen war. Daß ich dies Thema vermeiden und jenes nicht sagen sollte, daß ich ein bestimmtes Längenmaß nicht überschreiten und an einem festgesetzten Tage fertig sein mußte, lähmte mich; und als ich die Hälfte meiner Novelle fertig hatte, mißfiel sie mir so gründlich, daß ich sie plötzlich ganz verwarf, um sie, durch keinen Hinblick auf meine Versprechungen gehemmt, auf's Neue zu beginnen. Ich wollte sie ganz nach meiner Neigung fertig machen, und was dann nicht zulässig war, später streichen und mildern, und ich war ganz gut im Zuge, als meine Gedanken plötzlich nach einer anderen Richtung geleitet wurden, denn fast gleichzeitig mit einer Einladung meines Onkels Friedrich Lewald, seine Frau[163] bei einer Badereise zu begleiten, erhielten wir die Nachricht, daß mein Vater unsern Bitten nachgegeben habe, und uns in der ersten Hälfte des Maimonates in Berlin zu besuchen gedenke.

Wir hatten diesen Ausflug für ihn schon lange gewünscht. Er hatte Königsberg seit Jahren nicht mehr verlassen, und wir glaubten seinen Briefen anzufühlen, daß eine Erfrischung ihm geistig wie körperlich wohl nothwendig sei. Da es sich so anließ, als ob unser ältester Bruder und ich und meine zweite Schwester dauernd in Berlin bleiben würden, begann der Vater seinerseits an eine gänzliche Uebersiedelung der Familie zu denken, und beschäftigte sich, um diese bewerkstelligen zu können, mit der allmähligen Verkleinerung und Realisirung seines Geschäftes. Aber an ein großes Geschäft gewöhnt, das ihm Sorgen und Aufregungen aller Art verursacht hatte, lang weilte ihn sein jetziger Geschäftsbetrieb, und es war oftmals die Rede davon, daß er etwas Andres, Neues beginnen möchte, wozu es im Grunde für ihn nicht zu spät gewesen wäre, denn er war erst sechsundfünfzig Jahre alt. Er konnte aber darüber nicht mit sich einig werden, und schien überhaupt verstimmt zu sein.

Wir schoben das zum Theil auf meine und meiner Brüder Abwesenheit von Hause. Es war dadurch stiller bei uns geworden, die Freunde meiner Brüder hatten Königsberg meist auch verlassen, und seit ich fort war, hatte das Gesellschaftsleben sich, wie die Schwestern schrieben, in unserm Hause sehr geändert und vermindert. Sie hatten Anfangs, bedeutend jünger als ich, weniger Initiative, und weniger Einfluß auf den Vater gehabt. Er[164] hatte gern Gesellschaft um sich, ja sie war ihm mit ihrer Anregung ein Bedürfniß, aber er war nicht der Mann, sie um seinetwillen einzuladen, und da die Schwestern den reifen Männern unseres Umganges noch keine ebenbürtige Gesellschaft sein konnten, so hatte man sich mit einer gelegentlichen Tanzgesellschaft begnügt, hatte sich mit Vorliebe in den Gedanken großer häuslicher Zurückgezogenheit hineingelebt, und war es dann endlich gewahr geworden, daß Nichts den Menschen so schnell altern macht, als Einsamkeit und zu große Gleichförmigkeit des Lebens; daß dagegen Nichts so wohl und so frisch erhält, als regelmäßige Anspannung der Thätigkeit und rascher Wechsel der Eindrücke. Der Mensch ist darin dem Magnete gleich: je mehr er tragen muß, um so stärker wird seine Kraft.

Schon das ganze Jahr hindurch hatten wir daher den Vater angelegen, uns zu besuchen. Er sollte sich Berlin wieder einmal ansehen, sollte sich überzeugen, ob sich ihm irgendwo eine ihm zusagende neue Thätigkeit darbieten würde, und wir hatten dabei besonders an die zahlreich entstehenden neuen Eisenbahnen und an andere Aktien-Unternehmungen gedacht, bei welchen für einen Mann von seiner Begabung sich wohl Aussicht zu einer zweckmäßigen Betheiligung bieten konnte. Indeß all' unser Zureden war lange vergeblich geblieben, denn die Macht der müden Gewohnheit hatte ihn einzuspinnen begonnen. Er hielt es lange für unzulässig, seine vier Töchter, obschon sie Alle ganz erwachsen und verläßliche Mädchen waren, auch nur für ein paar Wochen im eigenen Hause mit eigener Dienerschaft allein zu lassen, während sie noch zum Ueberfluß von nahen Freunden und Bekannten[165] umgeben waren. Er fand es eben so schwer, das Geschäft seinen Commis für kurze Zeit zu überantworten, und als wir es dann mit Bitten und Drängen, mit Vorstellen und Zureden endlich dahin gebracht hatten, daß der Vater sich zu einem Ausfluge von vierzehn Tagen entschloß, zeigte er uns dies mit einem innern Widerstreben an, welches uns befremdete und besorgt machte, weil dergleichen bis dahin nicht in seinem entschiedenen Wesen gelegen hatte.

Neben dieser unverkennbaren und mich sehr beunruhigenden Abspannung meines Vaters hatte die Energie, mit welcher sein jüngster Bruder, nach langer Muße, sein Leben zu einem überaus thätigen umgestaltet hatte, etwas Ueberraschendes; und unsere Liebe und Verehrung für den Vater gab uns den Muth, für ihn noch auf eine ähnliche Wandlung zu hoffen, wenn es uns nur gelungen sein würde, ihn einmal wieder in einen frischen Strom des Lebens hinein zu locken.

Schon im Frühjahre dreiundvierzig hatte ich in Breslau meinen Onkel als einen ganz verwandelten Menschen und sein Haus als ein mir völlig neues wiedergefunden. Seine erste Frau war einige Jahre vorher gestorben, und der Onkel hatte ein Fräulein Pauline Werkenthin, welche als Erzieherin seiner Kinder in sein Haus gekommen war, ein paar Jahre nach dem Tode seiner ersten Frau geheirathet. Sie war nicht jung und nichts weniger als hübsch, aber eine große Gestalt von guter Haltung, eine Frau voll Verstand und Tüchtigkeit und von weltgewandten Formen. Da mein Onkel seit einer Reihe von fünfzehn, sechszehn Jahren gar kein Geschäft betrieben,[166] so war die ganze reiche Haushaltung aus dem Vermögen seiner ersten Frau bestritten worden, das nach deren Tode zum allergrößten Theile den Kindern derselben zugefallen war, wenn schon mein Onkel noch bis zu deren Volljährigkeit die Nutznießung davon hatte.

Als er nun die Erzieherin seiner Kinder heirathen wollte, erklärte diese ihm, daß es für ihr Gefühl eine Unmöglichkeit sei, von dem Vermögen ihrer Stiefkinder zu leben, und so hatte mein Onkel, damals schon ein Mann von einigen vierzig Jahren, und an die vollste Muße und Unabhängigkeit gewöhnt, sich denn schnellen Entschlusses darin gefunden, eine Disponentenstelle in einem großen Breslauer Handlungshause anzunehmen, die ihm eine nicht unbedeutende Einnahme sicherte, bis er mit seinen Planen weiter gediehen war, und eine größere, lohnendere und bedeutendere Thätigkeit für sich erschaffen hatte.

Diese Plane und diese Thätigkeit hatten sich auf den Bau der Oberschlesischen Eisenbahn bezogen. Mein Onkel kannte durch seine bisher aus Liebhaberei betriebenen Studien und durch seine bisherigen Beschäftigungen mit den Verwaltungsverhältnissen der Provinz, ihre Zustände, Kräfte und Bedürfnisse, wie wenig Andre; er hatte seit früher Zeit Verbindungen in dem Finanzministerium gehabt, und hatte durch sein Wissen und seine Energie die Gründung der Bahn zu Wege gebracht, zu deren Specialdirektor er dann erwählt worden war.

In dieser Stellung und an der Seite seiner zweiten Frau hatte ich ihn im Frühjahr dreiundvierzig in Breslau wiedergefunden, und hatte mich immer fragen müssen: wie hat diese Frau eine solche Umgestaltung in dem Leben[167] eines reifen, fertigen Mannes vollbringen, wie hat sie ihn dazu bewegen können, allen seinen bisherigen Gewohnheiten zu entsagen, und ihm ein neues Leben anzueignen, das ihn so viel mehr befriedigt und seinen Kräften so viel angemessener ist, als das zwanzig Jahre lang geführte Leben der dilettantischen Muße?

Die Familie wohnte nicht mehr in der Stadt, sondern in dem großen neuen Bahnhofsgebäude vor dem Schweidnitzer Thore, und obschon meine Großtante, die Mutter der ersten Frau, noch in dem Hause lebte, was für die zweite Frau keine leichte Sache war, so hatte diese es doch verstanden, die mir früher so auffallend gewesene Dreitheiligkeit der Familie aufzuheben, und alle Elemente derselben in einen festen und auf das praktischste zusammengefügten Hausstand zu vereinigen. Statt des rein literarischen Geistes, der sonst der herrschende in dem Hause meines Onkels gewesen, war der industrielle darin eingezogen, und der Umgangskreis hatte sich danach verändert. Es kam zwar der Stamm der alten Hausfreunde in demselben noch als gelegentliche Gäste zusammen, aber die literarische Stammgasterei hatte aufgehört, und neben den Beamten, mit denen der Onkel zu thun hatte, fanden sich auch deren Frauen und Familien ein, so daß der Zirkel sein ungewöhnliches Gepräge verloren, und dadurch in gewissem Sinne gewonnen hatte.

Der Onkel selbst war wie verjüngt, und meinem Vater in seinem Wesen weit ähnlicher geworden als zuvor. Er hatte sich an eine Thätigkeit gewöhnt, die ihn von Morgens fünf Uhr bis spät am Abende in Beschlag nahm, die ihm früher unerträglich gedünkt haben würde, und[168] die ihm nun eine unverkennbare Genugthuung gewährte, weil er jetzt erst völlig hatte kennen lernen, was er vermochte und was er werth war. Sich großer Kraft bewußt zu werden, ist aber ein großes Glück, denn ein Vermögen, von welchem man nicht weiß, oder von dem man keinen Gebrauch macht, besitzt und genießt man eben nicht.

Das Haus meines Onkels war, wie gesagt, lange nicht mehr so gesellig als vor zehn, eilf Jahren, denn Tante Pauline hatte ernste, schwere Erfahrungen hinter sich und war ohnehin kränklich, aber man hatte in demselben mehr Ruhe als vordem, und mir war es dadurch noch heimischer als zuvor erschienen. Ich hatte nun freilich nicht bei meinem Onkel Lewald, sondern in der Simon'schen Familie in Scheitnig gewohnt, war aber doch öfter nach dem Bahnhof gekommen, und meine neue Tante hatte mich lieb gewonnen. Als denn nun im Frühjahr von vierundvierzig die Rede davon war, unter den disponiblen Frauenzimmern der Familie eines auszuwählen, das meine Tante nach Teplitz begleiten sollte, hatte sie gewünscht, mich mit sich zu nehmen und mein Onkel mir dies, mit seiner gewohnten guten Laune in den Worten mitgetheilt: »Vor zehn Jahren habe ich Dich in Deutschland zu Deinem Vergnügen spazieren gefahren, jetzt sollst Du einmal zu Paulinens Vergnügen nach Teplitz fahren. Wir rechnen darauf, daß Du am ersten Mai bei uns bist, damit Ihr Euch vorher anständig mit einander einlebt, und daß Du nachher den Sommer bei uns bleibst, um Dich von dem Pfeifen meiner Lokomotiven zu Deinen Poesien begeistern zu lassen. Bessere Luft wie auf dem Hausvoigtei-Platz in Berlin hast Du bei uns gewiß, und[169] zwei Stuben zu freier Verfügung. Also besinne Dich nicht und komme spätestens den ersten Mai; zwischen dem fünfzehnten und achtzehnten sollt Ihr reisen!«

Daß ich gehen würde, gehen müsse, auch wenn ich weniger Neigung und Lust dazu gehabt hätte, als es der Fall war, hätte schon die Pflicht der Dankbarkeit von mir gefordert, aber das Anerbieten stellte die größten Annehmlichkeiten in Aussicht, entsprach allen meinen Bedürfnissen und Wünschen, kleidete in Form einer Bitte, was mir eine große Gewährung war, und doch stand ich im ersten Augenblicke davor ganz erschrocken da, denn mein Vater sollte kommen, meine Arbeit war lange nicht fertig, und wenn ich nach Breslau ging, mußte ich – konnte ich endlich, endlich Heinrich Simon wiedersehen!

Ich war in großer Aufregung, ich arbeitete den Tag über wie im Fieber, um fertig zu werden, und schlief die Nächte nicht, weil ich mich immer fragte: bist du denn mit dir so weit im Klaren und in Ruhe, hast du den Frieden in dir so weit befestigt, daß du den Geliebten deiner Jugend wiedersehen kannst, ohne dich auf's Neue in das alte Schmerzens-Labyrinth der Leidenschaft zu verirren? Sollst du ihn bitten, fortzugehen? sollst du es darauf ankommen lassen, ob er, eingedenk deiner Forderung dich zu meiden, sich von selbst entfernt? oder ihm schreiben, daß du ihn wiederzusehen wünschest?

Ich kam lange zu keinem Entschluß, aber meine Arbeit und meine Gesundheit empfanden die Unruhe meines Geistes und meines Herzens, und als ich die Erzählung etwa zwei Tage vor meines Vaters Ankunft beendigt zu haben glaubte, und sie nun Behufs der letzten Revision[170] noch einmal durchlas, fühlte ich die nachtheiligen Folgen meiner innern Zerstreutheit überall so unverkennbar, fand ich solche Lücken in der Composition, bei welcher es auf eine ethische Verschmelzung der verschiedenen Stände durch die Heirath von zwei jungen Paaren abgesehen war, daß mir, wollte ich nicht dem mir vertrauenden Verleger eine Arbeit abliefern, die mir selber in keiner Weise genügte, gar Nichts übrig blieb, als sie von Anfang bis zu Ende umzuwerfen, und die hundertundzwanzig Quartseiten, aus denen sie bestand, ganz auf's Neue umarbeitend abzuschreiben.

Ich war in Verzweiflung darüber, und die Thränen stürzten mir aus den Augen, als ich mein Heft zur Seite legte, um die neuen Bogen weißen Papieres aus meinem Schubfach hervor zu holen, aber es ging mir damit, wie in andern Verhältnissen auch. Man kommt mit Allem zurecht, was man nicht mit halben Maßregeln abzumachen unternimmt. Die halbe Maßregel hängt mit ihrer andern Hälfte immer an dem Falschen fest; während wir uns abmühen, mit der richtigen Hälfte vorwärts zu kommen, hält die falsche uns zurück, und hin und her gezogen, ermüdet von Bestrebungen, deren Fruchtlosigkeit wir uns nicht eingestehen wollen, weil wir uns ja redlich abmühen, begnügen wir uns schließlich mit einer Halbheit, welche in der Regel Niemanden befriedigt und uns eine mißmüthige Reue, einen dumpfen, unklaren Fleck in der Seele nachläßt, an den wir nicht gern denken mögen. Träge oder unklare und schwache Menschen, Menschen die sich sehr lieb und leicht Mitleid mit sich haben, sind die Freunde solcher Halbheit, und lieben es, Denjenigen, der mit sich und mit[171] den Dingen nicht transigiren und unterhandeln mag, wo er, wenn auch mit Opfern und mit Anstrengung, das ihm entsprechende Ganze erreichen kann, gewaltthätig zu nennen; und gewaltthätig genannt zu werden, war ich von früher Jugend auf gewohnt. Aber ich befand mich, wenn ich die ersten Schmerzensstunden überwunden hatte, stets sehr wohl dabei, und ich meine, auch Anderen wäre meine mitleidslose Entschlossenheit in gewissen Lebenslagen eben so zu statten gekommen, als mir und meiner kleinen Arbeit in dem betreffenden Falle.

Das Wetter draußen, wir waren in den letzten Tagen des April, war freilich ungewöhnlich schön, der Himmel schien verführerisch blau in meine kleine Stube hinein, die Spitzen der beiden Bäume, welche ich über die Colonnaden der Mohrenstraße hinüber ragen sah, winkten mit ihren grünlich schimmernden Aesten förmlich in das Freie hinaus, und ich sehnte mich nach frischer Luft wie ein Dürstender sich nach Wasser sehnt; aber ich fand, nun ich mich erst überwunden und meine Partie genommen hatte, bald eine Genugthuung darin, meine Schuldigkeit zu thun, und meiner Arbeit gerecht zu werden, indem ich sie so gut machte, als ich es eben verstand. Ich sagte mir: was ist's denn Großes? Habe ich doch als Kind auf Herrn Ulrich's Befehl eine mißlungene Schrift zehn-, zwölfmal abschreiben müssen, und ist meine Kraft doch so ungemein gewachsen seit der Zeit. Konnte ich damals als Strafe und gegen meine Ueberzeugung die Arbeit von zwei Seiten zehnmal schreiben, weshalb sollte mir es denn so gar schwer werden, jetzt, mit eigner Einsicht von der Nothwendigkeit des Unternehmens, eine Novelle noch einmal zu schreiben. Es galt,[172] eben wieder »als ehrlicher Arbeiter mit dem Schurzfell zu arbeiten«, es galt, kein vornehmer Dilettant, kein gefühlsseliges, sich mit dem ungefähren Anschein der Dinge begnügendes weibliches Gemüth zu sein, sondern ernst zu arbeiten, wie der Jurist, der Philolog, wie jeder Mann es in seinem Fache thun muß, wo etwas Ordentliches geleistet werden soll. Und da kein Zuspruch so sichere Wirkung thut, als derjenige, den wir selber uns gutwillig angedeihen lassen, so fand ich bald die Liebe und die Lust für meine Novelle wieder, componirte mir einen jungen gebildeten, aber ohne bestimmte Beschäftigung lebenden Edelmann hinein, der nothwendig als Gegensatz zu den verschiedenen bürgerlichen Arbeitern gefordert war, und da ich die ganze kleine Erzählung in einer Kattunfabrik spielen ließ, zu welcher die großen Kattunfabriken der mir befreundeten Familie Goldschmidt mir das Modell geliefert hatten, so arbeitete ich auch die Schilderung der Fabriken etwas ausführlicher aus, und es kam denn eine Art von Zeitbild zu Stande, das freilich lange nicht dem Vorwurfe entsprach, welchen ich im Sinne getragen, das sich aber doch lesen ließ, und den engen Rahmen, für den es bestimmt war, nicht eben unschicklich ausfüllte.

Ich war noch mitten in der Arbeit, als mein geliebter Vater zu uns kam. Ich hatte ihn drei Viertel Jahre, mein Bruder und meine Schwester Minna ihn seit ein paar Jahren nicht gesehen, und da wir ihn mit einer heimlichen Sorge um sein Befinden erwartet, waren wir um so glücklicher, ihn über all unser Hoffen wohl und anscheinend ganz unverändert wieder zu umarmen. Da mein Bruder, ebenso wie ich, bei unserer Tante wohnte,[173] und zwei kleine Stuben inne hatte, war die gefällige Frau unschwer dazu zu bewegen gewesen, die kleinen Räume für die Aufnahme meines Vaters einzurichten, und so hatten wir denn das Glück, den Vater, so gut wir es in unserer Beschränkung eben vermochten, bei uns beherbergen zu können.

Eng, wenig bequem und keiner seiner Gewohnheiten entsprechend, wie die Stuben und die Gastlichkeit es waren, die wir ihm bieten konnten, war er doch sichtlich darüber erfreut, zum ersten Male der Gast seiner Kinder zu sein. Es war das einzige Mal, daß ihm diese Freude und uns dies Glück vergönnt ward. Denn als wir uns später in der Lage befanden, ihm in unsern Häuslichkeiten ein wirkliches Wohlsein zu bereiten, war er nicht mehr unter uns, war er uns schon entrissen; und je mehr ich daran denke, je weiter ich in diesen Aufzeichnungen den Weg meines Lebens verfolge, um so mehr fühle ich, welch eine Melancholie diese Rückerinnerungen neben ihrer Süßigkeit in sich verschließen.

Es ist mir oftmals, wenn ich an diesen Blättern schreibe, wie an dem Tage, an welchem ich mit lieben Freunden zum ersten Male von Castellamare nach Pompeji fuhr. Ich befand mich mitten im freudigen Genuß des Lebens, die Sonne lachte vom Himmel hernieder, daß das Meer noch blauer als das Firmament erschien und der Sand wie Gold erglänzte. Die Freunde waren heiter, ich war es ebenso. In den acht grünen Cypressen, die damals den Eingang von Pompeji schmückten, sangen die Vögel, sich auf den Spitzen der emporragenden Zweige sonnend und wiegend, und doch sprach Alles[174] um uns her von Untergang, von Vergänglichkeit, von Tod. Sie waren hin die Menschen, welche diese Mauern gefügt, sie waren in Staub zerfallen die kunstgeübten Hände, welche diese Wandgemälde in ihrer sinnigen Lieblichkeit erschaffen, sie waren verschollen die Geschlechter, deren Wagen einst über die breiten steinernen Gleise des Pflasters gefahren. Nur die Spuren ihres Daseins und Wirkens waren geblieben – geblieben, wie mir die Erinnerung geblieben ist an alle die Menschen, von denen diese Blätter erzählen, und von denen schon so viele lange, lange hingegangen sind – hingegangen in das unübersehbare Reich der ewigen Vergangenheit.

Ich denke ihrer und fühle sie lebendig in mir, ich denke ihrer, und kann es nicht vergessen, wie vergänglich auch die Menschen sind, die mit mir leben, die das Glück meines Daseins ausmachen; und die eigene Vergänglichkeit tritt mir aus dem Spiegel dieser Blätter, ein stilles memento mori entgegen. Da gilt es denn diesem traurigen Zurufe ein muthiges memento vivere! entgegenzusetzen: zu lieben und zu beglücken, sich zu freuen und zu genießen, so lange man kann; und sich mit der Hoffnung zu getrösten, man werde einst den Geliebten eine so freundliche und werthe Erinnerung sein, als es uns diejenige ist, welche wir selbst von unsern geschiedenen Lieben im Herzen bewahren.[175]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 3, Berlin 1871, S. 144-176.
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