An Adolf Stahr

[1] Du und ich, mein geliebter Mann! haben unsere einzelnen Arbeiten, wenn wir sie der Oeffentlichkeit überantworteten, immer gern einem oder dem andern, der uns besonders werthen Menschen zugeschrieben, um Ihnen damit ein Zeichen der Liebe, oder ein Zeichen des Dankes für die Theilnahme zu geben, welche sie uns und unserm Schaffen angedeihen lassen.

Nun stehe ich vor der Herausgabe meiner gesammelten Werke, eine dreißigjährige Thätigkeit überblickend, und ich kann getrosten Herzens und mit gutem Gewissen die Worte wiederholen, mit denen ich vor acht Jahren die vierte Abtheilung meiner Lebensgeschichte abschloß.[1]

»Ich bin mit einer großen Vorstellung von der Macht des Dichters auf den Geist seines Volkes, und von der Gewalt des Wortes über das Herz der Menschen, in die literarische Laufbahn eingetreten. Und weil ich die Wahrheit suchte, und die Wahrheit über Alles schätzte, wo ich sie erkannt zu haben glaubte, nahm ich mir vor, ihr in keiner Zeile und mit keinem Worte jemals abtrünnig zu werden, und wie groß oder wie gering mein Einfluß jemals werden könnte, ihn nie anders als im Dienste desjenigen zu verwenden, was mir Schönheit, Freiheit und Wahrheit hieß. Und dies Versprechen habe ich mir treu gehalten.«

Ich war noch ein Neuling auf dem neuen Wege, als wir, ich und Du, geliebter Mann! uns vor fünfundzwanzig Jahren in Italien zusammenfanden. Seit dem Tage bist Du der treue Zeuge meiner Arbeit gewesen, und an Dein Urtheil, an Deine Zustimmung habe ich bei derselben seitdem stets zunächst gedacht. Seit fünfundzwanzig Jahren haben wir beide, Jeder auf seine Weise, einem gemeinsamen Ziele zugestrebt, und danach getrachtet, unser Leben und Schaffen zu einem Einklang zu gestalten: denn der Mensch kann nicht[2] leisten und wirken, was er nicht selber ist. Dein sittlicher Ernst und Dein unbeirrbarer Idealismus waren mir eine starke Stütze. Dein Zuspruch hat mich aufgerichtet, wenn mich oft genug, mitten in der Freudigkeit der Arbeit, die Entmuthigung und der Zweifel überfielen, denen kein Schaffender entgeht. Wie oft hast Du mir zugerufen: »Man muß das Höchste erstreben, redlich und gewissenhaft arbeiten, und sich dann vor seiner Leistung bescheiden. Die Arbeit hat Dich innerlich aufgeklärt, hat Dich gefördert, hat Dich oft gefreut; sie wird auf Den und Jenen also auch die gleiche Wirkung haben. Was willst Du denn noch mehr?« – Und ich habe mich dann zurecht gefunden und bin frohen Herzens weiter fortgegangen.

Nimm denn diese Gesammt-Ausgabe meiner Arbeiten, von denen der bei weitem größte Theil unter Deinen Augen entstanden ist, als Liebes-, als Dankesgabe hin, und laß uns hoffen, daß Dein Wort zur Wahrheit werde: daß Andere fördere, was während dem Schaffen mich selbst gefördert; daß sie erfreue, was mich über manche Stunde gemeinsam getragener schwerer Sorge flügelkräftig fortgehoben; und daß die Leser das Gute, das[3] Wahre, das Schöne auch da herausfühlen mögen, wo es mir nicht gelungen ist, es klar zur Erscheinung zu bringen, wo mein Können hinter meinem Wollen, meine Leistung hinter meinem Ideale zurückgeblieben ist.

Und somit in Liebe und gemeinsamem Streben hoffentlich noch eine Weile weiter fort!


Berlin, im Mai 1870.

Die Deine

Fanny Lewald-Stahr.[4]


Dem

Andenken meines Vaters

David Markus Lewald

sei die Erzählung meiner Lebensgeschichte

in

dankbarer Liebe gewidmet.[5]

Quelle:
Fanny Lewald: Gesammelte Werke. Band 1, Berlin 1871, S. 1-6.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Meine Lebensgeschichte
Meine Lebensgeschichte (1; V. 3); Von Fanny Lewald
Meine Lebensgeschichte (2-3); Von Fanny Lewald
Meine Lebensgeschichte (1)