Das zwölfte Buch.

Die Begebenheiten des Herrn

von Güldenblech.

[330] Ich bin, begunte der Fremde seine Erzehlung aus Budorgis, und heise Güldenblech. Meine Vorfahren sind meist angesehene Handels-Leute gewesen; Mein Vatter aber hatte aus Gefälligkeit für meine Mutter, weil sie von einem adelichen Geschlecht war, unsern Namen mit dem Beywort von bereichern lassen. Es ist solches bey uns nichts neues, daß die Kaufleute sich adeln lassen; weil man den Adel um guten Preiß haben kan, so läst man diese Ehre auch öfters die längst vergrabene Knochen seiner Vorfahren mit geniessen, und solche noch in der Gruft bis auf sieben Ahnen mit adeln. Wiewohl der Neid der Land Junkern allhier so groß ist, daß sie uns nicht für Stift- und Thurnier-mäßig halten wollen; wenn wir gleich öfters gegen sie noch so gute Figur machen.[330]

Ich wurde als ein einziger Sohn von meinen Eltern in aller Weichlichkeit erzogen; dergestalt, daß mir auch nicht die geringste Bemühung, weder im Lernen noch auf meines Vatters Schreib-Stube, zugemuthet wurde: Wenn meine Lehrmeister über mich klagten, so wurden sie von meiner zärtlichen Mutter mit dem sorgfältigen Bescheid abgewiesen: sie solten das arme Kind nicht zu viel mit dem Lernen quälen; ich würde doch einmahl Brod zu essen haben. Meine Ausschweiffungen wurden unterdessen für kleine Artigkeiten und Wirkungen eines muntern Geistes gehalten.

Nachdem ich solcher Gestalt mein achtzehendes Jahr erreichet hatte, fand man für gut, mich auf eine benachbarte Universität zu schicken: man gab mir einen sogenannten Hofmeister mit, der ein sehr dummer und furchtsamer Mensch war. Meine Mutter hatte ihn deswegen vor andern erwehlet, daß er desto behutsamer auf mich acht geben solte.

Die Lehren, die sie unter andern mir mit auf die Weg gab, waren diese: Lieber, Sohn, sprach sie, du gehest nun auf Universitäten; ich habe bereits Sorge getragen, daß du daselbst bey einem Professor an einen der besten Tische gehen sollst; doch hat man mir gesagt, daß es zuweilen etwas mager bey denen Herren Professoren in der Kost aussähe; du kanst deßwegen an mich schreiben, daß dein Vater nichts davon weiß; ich wil dir schon Geld schicken, daß du[331] auch nebenher dir einen guten Bissen bey den Gasthaltern kanst holen lassen. Hier hast du eine kleine Börse, da kauf dir etwas, und sage es Papa nicht, daß ich dir Geld mit auf die Reise gegeben hätte, er wird schon auch für dich sorgen. Lerne etwas, daß du Ehr davon haben mögest; studir aber auch nicht zu viel, du mögst mir sonst krank werden, oder dich gar überstudiren. Geh auch fleißig in die Kirchen, hüte dich aber ja, daß du kein Bet-Bruder wirst, denn ich kan die Pietisten nicht leiden.

Mein Vater hielte mir einen etwas ernstlichern Discurs; er sagte mir, ich solte keinen Mangel leiden; aber ich müste mich auch der Sparsamkeit befleissen; die Zeiten wären schlecht, das Geld wäre schwer zu verdienen; ich müste suchen etwas zu lernen, sonst würde ich in der Welt nicht wohl zurecht kommen.

Mit diesen Vätter- und Mütterlichen Ermahnungen reiste ich nebst meinem Hofmeister auf die Universität. Meine Mutter hatte mir selbst eingepackt: ich fand in einem Coffer nebst etlichen Pfund Caffee und Thee, eine Menge von Zuckerwerk, und eingemachten Sachen, imgleichen verschiedene Gläser von Ungarisch Wasser, und Aquavit, nebst einer grossen Schachtel mit allerhand Arzneyen, welche allesamt auf einen verdorbenen Magen gerichtet waren.

Ich streuete an diesem Ort, zum Saamen künftiger Weisheit, binnen drey Jahren, über[332] sechs tausend Thaler aus. Meine Eltern erhielten währender Zeit von mir die allerbeste Nachrichten: es hieß, ich machte dem ganzen Güldenblechischen Hause die gröste Ehre: ich sey der artigste und galanteste Cavalier auf der Universität, und würde dermahleinst eine Zierde unserer ganzen Stadt abgeben.

Zu mehrerer Bekräfftigung dieser annehmlichen Berichten, ließ mir einer der vornehmsten Professoren keine Ruh, ich solte mich öffentlich auf dem Catheder zeigen, und eine grose Disputation von dreyßig Bögen stark zu vertheidigen übernehmen. So eitel ich auch sonst mogte gewesen seyn, so hatte ich doch nicht Hoffahrt genug, mich ohne Müh zu einer dergleichen Probe zu verstehen; dem Professor aber war es um ein gutes Geschenk zu thun, welches er sich von meinem Vater vermuthete, wenn er unter dem Namen seines Sohnes, dessen gelehrte Arbeit ihm zuschriebe. Das Mittel, mich zu einem Respondenten zu machen, war von ihm leicht ausgesonnen; Er hatte schon, wie er mich dessen versicherte, manche Doctores gemacht, die lange nicht so viel verstanden hätten, wie ich; Dieses gab mir wirklich einen gewissen Hochmuth, daß ich glaubte, es könte auch wohl möglich seyn, daß ich mehr wüste, als ich mir einbildete.

Die Disputation wurde überaus prächtig auf meine Unkosten gedruckt, und mit einem nicht gemeinen Titul meinem Vatter zugeignet.[333] Die Zeit kam herbey, daß ich den Catheder besteigen solte; ich hatte die Disputation nicht einmahl ganz durchlesen, und wuste von ihrem Inhalt, und was ich den Opponenten antworten solte, kein einziges Wörtgen; allein, ich hatte alles sehr künstlich im Hute liegen, was ich vorzutragen und zu reden hatte.

Ich machte die Eröffnung von dem ganzen Gepränge, dann anders war es nichts, mit einer sehr zierlichen Anrede, welche der Herr Professor aufgesetzet hatte; ich las solche mit einem grosen Ansehen von dem Catheder herunter. Meine zu dieser Handlung erbetene Gegner liessen sich darauf gleichfalls mit einem wohl ausgesonnenen Glückwunsch vernehmen: sie priesen an mir den Werth solcher Wissenschaften, die ich nicht hatte: und ich verlas ihnen hinwiederum dargegen solche Höflichkeiten, die sie eben so wenig, als ich die ihrigen, verdienten. Alle unsere Sätze und Gegen-Sätze, die wir uns einander machten, waren mit Numern bezeichnet: auf Numero eins, antwortete ich, Numero ein, auf Numero zwey, mit zwey, und so fort; und wenn ja auch einer eine Numero verfehlet; so blieb deßwegen der andere doch in seiner Ordnung; es mogte auf einander passen oder nicht; es hatte solches nichts zu sagen; dann wegen des hin und wieder lauffenden jungen Volks und des Geräusches, welches sie mit ihrem Plaudern und ihren Reverenzen machten, konte man kaum das wenigste von diesem gelehrten Streit-Spiel[334] vernehmen. Als auch dabey ein ausserordentlicher Wiedersacher sich meldete, so wies der Professor denselben für mich ab.

Nach diesen abgelegten Proben meiner Gelehrsamkeit, lies ich den Abend darauf die meiste Professores, den vornehmsten Adel, zunebst meinen Opponenten und Tisch-Purschen in einen Garten bitten, und tractirte sie daselbst aufs beste. Ich kan sagen, daß ich dabey noch mehr Ehr einlegte, als auf dem Catheder; ich hatte mir den besten Wein darzu von Hause kommen lassen; es wurden eine Menge Speisen aufgetragen; der ganze Garten war mit Lichtern erhellet: wir hatten Paucken, Trompeten Music und kleine Canonen. Die Professores, weil sie stark mit dem Kopf zu arbeiten pflegen, konten den Wein nicht so wohl wie die Studenten vertragen, sie wurden am ersten trunken. Es fand sich darunter ein Lehrer der Griechischen und Römischen Alterthümer, der sich zu Ehren der alten Weltweisen, deren Gesundheiten man ihm zubrachte ganz viehisch besoff. Andere trunken vor lauter Vertraulichkeit Brüderschaft mit uns; und daß an diesem Schmauß ja nichts fehlete, so gab es auch zuletzt Händel; man hatte aber aus nöthiger Vorsicht, die Degen schon bey Seiten geschafft. Da also einer der jungen Helden seinem vom Wein erhitzten Muth an seinem Wiedersacher nicht kühlen konte, so musten es die Teller und die Gläser entgelten, die er theils auf die Erden, theils in die Fenster schmiß.[335]

Ich kam darauf wieder nach Hauß, und wurde von den Meinigen als im Triumph eingeholet; meine Mutter war mit mir ungemein vergnügt, und hatte deßwegen mit meinem Vatter ein hartes Wort-Gefecht, weil er sich kurz darauf bey Tisch unterstanden hatte, mir zu sagen, ich hätte gleichwohl ein wenig besser haushalten sollen; dann sechs tausend Thaler, die ich in drey Jahren hätte darauf gehen lassen, wären so geschwinde nicht verdienet, und müßte er manchen Brief dafür schreiben.

Es ist doch gleichwol, sagte sie unter andern, nichts groses und edelmüthiges in einer Kaufmännischen Seele; was ist doch verächtlicher und niederträchtiger, als ein solcher Mensch, der nicht weiß, wie man für sein Geld sich Ehre machen soll. Fritz hat schon ein höheres Gemüth als sein Papa; er hält auch mehr auf die Ehre, als auf das Geld; und darin schlägt er seiner Mama nach. Meine Vorfahren haben nur auf Ehr und Adel gesehen; Es ist wahr, daß sie durch ihr großmüthiges Wesen sind Güterlos worden. Allein, sie hatten dargegen allenthalben den Ruhm, daß sie zu leben wüsten; und wenn sie hätten voraus sehen sollen, daß eins von ihren Nachkommen dermaleinst so unglücklich seyn würde, wie ich, und einem Kaufmann heyrathen, sie hätten sich darüber halb zu todt gegrämet.

So lebhaft wuste sich bey dieser Gelegenheit der adeliche Schmerzen meiner Mutter auszudrucken:[336]

Mein Vater, der nur von einer alten guten Stadt-Familie entsprossen war, unterstund sich nicht, in einer so wichtigen Streit-Sache meiner Mutter zu wiedersprechen; er war dergleichen Zänkereyen bey ihr gewohnet; er trug also sein Creutz mit Gedult.

Ich hatte unterdessen auch meine Reisen gethan, welche ihm so theuer als meine Studenten-Jahre zu stehen kamen: Ich war damahls ungefehr vier und zwantzig Jahr alt, und weil meine Mutter wolte, ich solte, an statt die Handlung meines Vaters fortzusetzen, einen Land-Junker abgeben; so ließ sie demselben keine Ruh, biß er einen Theil von seinem Vermögen dahin verwandt, und mir ein Ritter-Gut kauffte.

So ein grosses Verlangen auch meine Mutter hatte, wieder eine recht gnädige Frau zu werden, so erlebte sie solches doch nicht; sie fiel in ein hitziges Fieber, und starb. Mein Vater lies darüber keinen gar grossen Kummer spüren; er war zu aufrichtig, dem Wohlstand zu gefallen, sich zu verstellen.

Das erkauffte Ritter-Gut warf indessen schlechte pro Centen aus; und es kamen Jahre, da uns der Pachter eine neue Art zu rechnen lernte: bald waren es Heerzüge, bald Durch-Marsche, bald Hagel-Schlag und Mißwachs, bald Unterhalt, Bau- und Besserungs-Unkosten; bald andere Dinge, welche[337] meinem Vater das null von null geht auf, in seine Bücher tragen lehrte. Er verwünschte deßwegen von ganzem Herzen den Landadelichen Wind; und beklagte so sehr, als seine Flegmatische Gelassenheit es zulies, den dadurch verursachten Abgang seiner bisherigen Handels-Geschäfften. Mein Sohn! sagte er bey dieser Gelegenheit zu mir, laß dich den Ritter-Wurm nicht bethören: überlaß dergleichen Wahn-Witz den stoltzen Land-Junckern; die lieber hochmüthig auf ihrem Mist herum traben, und ihre Hoch-Adeliche Schweine füttern, als mit Demuth und Vernunfft die Städte bewohnen, und ihre Capitalien in der Handlung herum lauffen lassen.

Ich hatte so viel Verstand, oder vielmehr Empfindung, von einem uns alle Gemächlichkeiten dieses Lebens verschaffenden Reichthum, daß ich meinem Vater beypflichtete. Hierzu kam auch dieses, daß, wann ich auf unserm Gut mich befand, selten ein Tag vergieng, daß nicht eine Anzahl ausgehungerter Edelleuten aus der Nachbarschaft, sich bey mir versamleten; welche, so bald sie nur den Schornstein von weitem rauchen sahen, wie die Sperlinge bey einer Scheuer, darinn ausgedroschen wird, auf meinen Hof einfielen, und was sie nicht selbst verzehrten, ihre Knechte und Pferde auffressen liesen: sie soffen das Bier, den Wein und den Brandewein unter einander, wie den Covent, damit sie sonst ihre dürre Gurgeln zu befeuchten pflegten; wobey sie den stärksten Toback[338] rauchten, und mich, der ich sie hatte nöthigen sollen, selbst zum mit machen heraus forderten; meine Natur aber konte dieses alles nicht vertragen; ich war von denen zärtlichen Wohllüstlingen, welche die grobe Schwelgereyen dieser rauhen Ritter deßwegen verabscheueten, weil sie allerhand Schmerzen verursachten; Ich suchte mich deßwegen von einem so wilden Geschlecht los zu machen; allein diese rostige Krippen-Reuter wurden meiner Eingezogenheit nicht so bald gewahr, so begunten dieselbe auf die Stadt-Junkern zu sticheln; und es währte nicht lang, so sah ich mich bald dahin gebracht, daß ich mich schier mit ihnen allen hätte herum rauffen, oder mich entschliesen müssen, zu ihrer liederlichen Zunft mich zu gesellen; zuvor aber mich rein auffressen zu lassen, um mich dieser Stifts-mäsigen Vorzüge würdig zu machen.

Ich war demnach froh, als ich wieder in die Stadt in meines Vaters Hause kam; und dieser war eben so vergnügt, daß ich meine junge Ritter-Hörner so glücklich auf unserm Gute abgestossen hatte. Meine Belustigungen waren hier von einer ganz andern Natur: Hier kont ich mir eine Gesellschafft von jungen Leuten wehlen, wie ich selber wolte; Hier kont ich täglich in die Sing- und Schau-Spiele gehen; Der Umgang mit dem artigsten Frauenzimmer, ihre öffentliche Zusammenkünfte, der Zutritt in die beste und vornehmste Häuser, alles dieses stunde mit[339] offen; man ergetzte sich hier auf unzehlige Arten, und nachdem die Jahrs-Zeiten solches mit sich brachten. Kurz, ich genoß in der Stadt so viele Annehmlichkeiten, als ich auf dem Lande Verdruß, Langeweil und Ungemächlichkeit empfunden hatte.

Ich lag demnach meinem Vater selber an, diesen mir so verhaßt gewordenen Ritter-Sitz wieder zu verkauffen, und das Geld dafür in der Handlung zu gebrauchen: Mein Vater that solches, und verlohr darauf etlich tausend Thaler: Zehn bis zwanzig glückliche Unternehmungen ersetzten diesen Verlust mit verdoppeltem Gewinn.

Ich verheyrathete mich unterdessen an eine der besten Parthien unserer Stadt: Meine Frau hatte ihre Annehmlichkeiten; ich nahm sie aber blos des Gelds wegen: Ihr Vater war sonst von einem guten Hause: und hatte nebst einem Sohn, der am Hofe war, nur diese einzige Tochter: Er trachtete nach Geld und Gut; die Mittel darzu zu gelangen, galten ihm gleich viel. Die Natur hatte ihn zu einem Bauren, das Glück zu einem reichen Mann, und der Reichthum zu einem Edelmann gemacht: Die Natur ließ sich dem ungeacht ihr Recht nicht nehmen; sie herrschte über den Reichthum und über den Adel, sie blickte aus allen seinen Gebehrden; er dachte, wie der Pöbel, und sprach, wie der Pöbel.[340]

Seine Frau hatte etwas mehr Ehrgeitz: Sie beobachtete den Wohlstand, wo er nicht viel kostete, und bat immer viel Zeugen zusammen, wenn sie einen kleinen Aufwand machte: Sie und ihr Mann haderten stets zusammen. So bald sie sich nur sahen, so entdeckten sie an einander ihre Fehler, welche eines an dem andern weder ertragen, noch an sich selbst ablegen wolte.

So sahen meine Schwieger-Eltern aus: Meine Frau aber war von einer ganz andern Gemüths-Art: Ihr Bruder hatte sie stolz gemacht: Ihre ganze Aufführung war gros: sie wuste zu leben: sie hatte gute Manieren: sie spielete das Clavier, sie sang, sie redete Aquitanisch und Ligurisch, sie kleidete sich wohl. Kurz, ich hatte eine galante Frau, und wuste nicht, daß ich sie hatte: ich haßte sie nicht, dann sie war nicht zänckisch; ich liebte sie aber auch nicht, weil sie meine Frau war: sie hätte können leichtfertig seyn, ohne, daß ich viel würde darnach gefragt haben, dann ich hatte mich einmahl mit ihr auf einen solchen Fuß gesetzt, daß wir uns das Leben nicht wolten einander sauer machen: sie solte ihre Gänge und ich die meinige gehen: Wir hielten den schlimsten Frieden auf diese Art für besser, als den gerechtesten Krieg. Wir lebten bey diesem Vergleich zusammen ziemlich vergnügt. Die Aufhebung des Zwangs und der Verstellung gab uns für einander eine gewisse Zuneigung, die unsern Ehstand glücklich machte.[341]

Das erste Jahr waren wir noch bey ihren Eltern allein, da ich es bald mit meinem wunderlichen Schwieger-Vatter, bald mit der Schwieger-Mutter, bald mit beyden zugleich aufnehmen und mich mit ihnen herumkeiffen muste Ich fieng gleich darauf meine eigene Haushaltung an, und bezog meines Vaters Haus, der mir zugleich mit demselben auch seine ganze Handlung übergab, und einige Jahre hernach mit Tod abgieng.

Meine Schwieger-Eltern machten es auch nicht lange: der Vatter hatte beständig das Podagra; und wurde dadurch verhindert, seiner Frauen aus den Augen zu kommen, und auf seinem Hof, den er bey der Stadt hatte, zu leben. Er saß in seiner und die Frau in ihrer Stube; doch assen sie mit einander; da denn der erste bis zum letzten Bissen mit Zank und Disputiren in den Magen gestossen wurde: Dem Alten kam darüber die Gicht in die Gedärme, daß er starb. Meine Schwieger-Mutter lebte darauf noch etliche Jahre bey uns im Haus, und ärgerte sich grausam, da sie sah, wie wir so vornehm Haus hielten.

Ich war damahls durch den Tod meines Vaters und Schwieger-Vaters ein Mann von einem überaus grossen Vermögen. Wann ich auch meine Einkünfte jährlich nach meinen Capitalien nur zu vier vom Hundert anschlug, so hatte ich dennoch bey zehen tausend Thaler einzunehmen.[342]

Ich dachte demnach nicht, daß meine Ausgaben und kostbare Haushaltung den Grund eines so grossen Vermögens erschöpfen, noch vielweniger mich gar übern Haufen werfen solten. O wie grosse Ursachen haben nicht die Alten uns vor der Unordnung und Verschwendung zu warnen!

Ich hatte noch kaum fünf- bis sechszehen Jahre in der Eh gelebet; so stieß ich auf den Grund, und mein Haus-Wesen gieng, gleich einem voll-beladenen Schiff, zu scheitern.

Wie dieses zugieng, wuste ich bey den ersten Stösen selber nicht; ich habe nur, seit dem ich mich flüchtig von Haus, Hof, Güter, Weib und Kinder machen müssen, die Zeit gehabt, solches zu überlegen und mir die Sache begreiflich vorzustellen.

Da ich neun Jahr geheyrathet war, hatte ich acht Kinder, einen Haus-Präceptor, eine Französin, vier Mägde, drey Bedienten auf der Schreib-Stube, und nebst dem Gutscher noch zwey Diener in Liberey, die Näherin und andere Beyläuffer nicht zu rechnen; Als hierauf auch der älteste von meinen Söhnen begunte die zehen Jahre zu erreichen, so kamen darzu die Sprach-Music- und Exercitien-Meister. Auf meinem Hof hatte ich einen Verwalter mit Weib und Kindern: Einen Gärtner mit Weib und Kindern: Einen Wingerts-Mann mit Weib und Kindern, ohne das andere[343] Gesind zu rechnen: Alle diese Leute hatten wieder andere Leute an sich: alle nährten sich aus meinem Beutel; und verliesen sich auf ihren guten Herrn. Ich und meine Frau liebten die Gesellschaften und die Lustbarkeiten: Wir hatten also genug zu sorgen, wie wir uns und die Kinder kleiden, wie wir tractiren und die Zeit sonst vergnüglich hinbringen wolten. Auf diese Weise lebten wir beständig fort: Der Zirkel unserer Ausgaben vergröserte sich mit dem Anwachs unserer Kinder.

Meine Frau war in allen galanten Wissenschaften erfahren; aber sie verstund keine Haushaltung: Ihre Eltern keiften ehedessen vom Morgen bis an den Abend mit ihrem Gesinde, sie niemahls: es war ihr alles recht; sie wolte, daß alles vergnügt seyn solte, und konte nicht einmahl leiden, daß das Gesind untereinander zankte; Nun, nun, sagte sie, Kinder, seyd nicht so böse, vertragt euch, ich will euch lieber etwas schenken.

So viel Weibs-Leute ich im Hause hatte, so viel Liebhaber muste ich auch mit unterhalten: Die Freyheit, der Müßiggang, der Uberfluß, machte sie allesamt üppig. Nur die Französin hatte ihr Alter züchtig; aber auch dargegen eigennützig gemacht: Sie sah die Unordnungen in meinem Hause; schwieg darzu still und fischte im Trüben: ich muste ihr solches als eine Höflichkeit bezahlen; dann sie sagte,[344] sie schonte der Ruh der Madame, und mögte ihr nicht alle Verdrieslichkeiten vorbringen.

Wir hatten solchergestalt das beste Gesind in der Stadt: man stellte uns allen Herrschaften zum Exempel vor: Knechte, Mägde und Laqueyen errichteten nach der Art, wie wir es hielten, ihre neue Rechts-Verfassungen und Gesinds-Ordnungen.

Meine Bedienten auf der Schreib-Stube thaten auch was sie wolten: Mein Buchhalter schnitt die beste Rohren für sich: er theilte die gute Posten mit mir, und schrieb mir die bösen allein auf. Der Caßirer war ein Haupt-Vogel: er brachte mir die schlimste Münz-Sorten in die Einnahm, verwechselte mit Vortheil die guten, die er empfangen hatte, blieb der Cassa bey jeder Abrechnung etwas schuldig, und machte sich also ein artiges Capital. Meine andere zwey Bedienten hiengen an liederlichen Weibs-Leuten, denen sie alles zusteckten, was sie theils vom Posttheils vom Kost-Geld zurück legten. Kurz, mein ganzes Hauswesen war so beschaffen, daß ich nach einer Mathematischen Ausrechnung keine gewissere Mittel hätte gebrauchen können, um zu verderben.

Es war um diese Zeit, als ich grosen Verlust durch allerhand Zufälle und Banckerutten litt, dergestalt, daß ich meine Casse auf einmahl erschöpfet sah. Hier bekam ich die erste Empfindung[345] von einer Furcht: Ich fieng an zu glauben, daß es nicht unmöglich wär, mit meinem grosen Reichthum zum Fall zu kommen. Diese Vorstellung machte bey mir keinen geringen Schrecken.

Ich gieng in dieser Bestürzung zu einem alten Vetter, den ich zuvor wegen seiner geringen Aufführung wenig geachtet hatte, und begehrte von ihm einen Vorschuß von zehen tausend Thalern. Er hatte sich durch seine ordentliche Haushaltung und glückliche Verrichtungen ein groses Geld gesamlet. Er hätte mir am besten helfen können; er schlug mir aber meine Bitte ab: ich wurde darüber verwundert. Wie! fieng ich an, der Herr Vetter will mir nicht einmahl zehen kahle tausend Thaler auf einige Monathe Sicht, gegen meinen Wechsel-Brief, creditiren? Der Herr Vetter wird excusiren, war seine Antwort, meine Casse ist dermahlen mit einer so grosen Summe Geldes nicht versehen. Ey! Herr Vetter, sagte ich, wie kan das möglich seyn? Noch viel möglicher versetzte jener, als daß des Herrn seine Casse nicht stärker als meine solte beschossen seyn; denn nach dessen Aufführung muß er weit mehr Geld haben als ich. Ich bin nur ein schlechter Mann: ich halte weder Gutsch, noch Pferde, noch Laquayen, noch Hofmeister und Mamesellen, wie der Herr Vetter: ich gehe nur mit gemeinen Leuten um, und kleide mich weder in Sammet noch Seiden, weder in Gold noch Silber:[346] ich habe kein Cabinet von Mahlereyen, Antiquitäten, Büchern, Kupferstichen, Medaillen und dergleichen: ich habe keine Palläste und kostbare Gärten: ich tractire keine grose Herren, wer mit mir essen will, der muß mit bürgerlicher Hausmanns-Kost vorlieb nehmen. Kurz, Herr Vetter, ich bin gegen ihn zu rechnen nur ein schlechter Mann, und ich muß es für einen Scherz aufnehmen, daß er Geld bey mir suchen will.

Dergleichen Pillen gab mir dieser ehrliche Vetter ganz trocken zu verschlucken: ich konte kaum alle einnehmen, noch vielweniger darauf antworten: sie waren mir gleichsam auf die Luft-Röhre gefallen. Ich setzte mich hurtig wieder in meinen Wagen, und fuhr nach Haus.

Meine Frau, die leichtsinnigste aber beste Creatur von der Welt, sah mich mit verblasten Angesicht und niedergeschlagenen Augen in mein Cabinet gehen: sie konte niemand betrübt sehen; sie folgte mir nach; die Gefälligkeiten, die ich für sie hatte, und die Zeit, die wir zusammen in vergnügter Ehe gelebt hatten, gaben ihr für mich eine Art von Freundschafft, die, wenn sie mich leiden sah, auch etwas zärtliches hatte: was ist dir, Fritz? so nannte sie mich, wie siehest du so fürchterlich aus? geh, du machst mir angst, was ist dir begegnet? Lotte, sagte ich zu ihr, wir müssen anders haushalten, oder wir sind verlohren. Nichts als dieses, gab sie mir[347] zur Antwort, ich dachte, es wäre dir sonst ein Unglück begegnet. Was wilt du denn noch mehr als verderben? fragte ich sie. Wie so, sprach sie, bist du denn so viel schuldig? Man ist mir zwar noch mehr, als ich andern schuldig, fuhr ich fort; allein, die Gelder bleiben mir aus, und ich soll zahlen. Kanst du denn nicht, fragte sie weiter, so lange borgen, bis dir die Gelder eingehen? Dein Oheim Lipsart, der reiche Geitzhals, fuhr ich ungedultig heraus, hat mir den Credit rund abgeschlagen, und mich noch darzu mit meiner Haushaltung weidlich hergenommen.

O! erwiederte meine Frau, das hätte ich dir wohl voraus sagen wollen: es ist keine so Jüdische und niederträchtige Seele in der Welt: er hat mich nie leiden können. Ich weiß dir einen bessern Anschlag: Gestern war der Jud Amschel bey mir, und hatte unvergleichliche Perlen; unter andern zeigte er mir zwey Armbänder, die gantz auserlesen, und mit Brillanten nach einer Art, die ich noch nie gesehen habe, durchzogen waren: er forderte dafür zwey tausend Thaler: ich sagte, das wäre theuer, ich hätte jetzt kein Geld. Au weh! ihr Gnaden! kein Geld! sprach der Jude; wolt ihr zwanzig tausend und mehr Thaler haben? den Augenblick sollen sie da seyn.

Ich kennte den Juden, und ließ ihn den andern Morgen kommen; er brachte seinen gantzen Cram von Juwelen mit. Amschel! sagte[348] ich zu ihm, ich soll einem gewissen grosen Herrn zwölf tausend Thaler schiessen; ich brauch aber mein Geld in der Handlung: wisset ihr mir keinen Anschlag? der Jud erklärte sich, wenn der grosse Herr für ein paar tausend Thaler Juwelen annehmen, und ich den Wechselbrief indosiren wolte, so könte er die übrige zehen tausend Thaler bald schaffen. Der Handel wurde richtig: ich nahm für zwey tausend Thaler Juwelen; doch mit dem Beding, daß er solche allenfalls mit zwey hundert Thaler Verlust wieder an Zahlung zurück nehmen solte. Ich ersann den Namen von einem fremden Grafen, der den Wechselbrief solte ausgestellet haben, und setzte, als ob ich solchen erhandelt hätte, meinen Giro drauf. Der Wechsel hatte sechs Monath zu lauffen: ich hatte indessen einige Capitalien eingezogen: da er also wieder zurück kam, zahlte ich solchen, und gab dem Juden seine Jubelen wieder.

Nach diesem gehabten Schrecken nahm ich mir ernstlich vor, mein Hauswesen anders einzurichten: ich brachte meine Frau dahin, daß sie darein willigte; Allein, unser Gesind war einmahl an die Unordnung, und daß alles in unserm Haus voll auf gieng, gewohnet. Es gedachte, wir wären doch gleichwohl so reiche Leute, und es schicke sich gar nicht für uns, daß wir auf alle Kleinigkeiten solten sehen: es schob also neben her, was es konte, und wenn man es drüber zur Red setzte, so gab es lose Worte; es meynte, alle Kisten und Kasten wären[349] bey uns mit Geld angefüllet; und glaubte wohl gar, man thäte GOtt einen Dienst daran, wenn man solches unter die Leute bringen, und damit unsern Geitz bestrafen hülfe.

Meine Frau konte das Wort Geitzig nicht leiden: man hätte sie lieber sonst was gescholten. Wenn man geitzig ist, waren öfters meine Gegen-Vorstellungen, so zehret man nicht immer vom Capital. Wir haben bisher unser Gesind so wohl gehalten, daß sich unsere Nachbaren über uns beschweret, wir verdürben ihnen das ihrige, und führten in der Stadt alle Mißbräuche ein. Wir erweisen allen Leuten Höflichkeiten, wir tractiren, wir leben kostbarer als andere; wir schenken hier, wir schenken dort, und dennoch werden wir für geitzig gescholten: wir müssen wohl in einem seltsamen Zeichen geboren seyn.

Nichts thut mir leider, beklagte sich hier meine Frau, als daß mein eigener Beicht-Vatter, der Herr Magister Ulrich, seit einem Jahr mir immer den Geitz vorwirft. Wann ich ihm sage, wir lebten viel stiller und eingezogener als vor dem, so spricht der andächtige Mann: was ist aber daran schuld, meine liebe Frau von Güldenblech, ist es nicht der liebe Geitz? er weiset mich darüber in mein eigen Herz: er will, ich soll mich darüber prüfen; ich besinne mich: ich erschrecke: ich denke, weil der fromme Mann es sagte, so könte es auch wohl seyn, daß ich geitzig wäre, ohne daß ich[350] es wüste. Dieses macht mir eine abscheuliche Furcht; denn ich möchte nicht gern zu dem reichen Mann kommen, davon er mir so offt das Evangelium vorhält.

Ey Lotte, sprach ich, du und dein Seel-Sorger, ihr seyd beyde nicht klug. Es schickt sich wohl für ihn, dich des Geitzes halben zu bestrafen, der du die gröste Verschwenderin bist. Er selbst ist für den grösten Geitzhals in dieser Stadt ausgeschrien: man sagt, er habe den ganzen Keller voll Wein und ganze Böden mit Früchten, und wuchere damit trotz allen Wippern und Kippern: er thut kein Capital unter sechs vom hundert aus, und läst sich die Zinse voraus geben. Noch neulich hat er einen armen Mann von Haus und Hof getrieben, daß sich die ganze Christenheit darüber ärgern mögte. Zahlt einer nicht auf Stund und Ziel, so jagt er die Notarios, die ihm umsonst dienen, hinter ihm drein: da ist keine Barmherzigkeit: Zahlung oder Execution. Die Richter schämen sich oft selbst über dessen unchristlichen Rechts-Eifer. O welch ein schädlicher Mann ist ein solcher Bauch-Priester.

Dieser Mann, der doch noch immer seinen fetten Beicht-Pfennig von uns bekam, that uns viel Schaden; ohne daß ich eine andere Ursach davon zu geben wüste, als daß wir ihn nicht mehr so fleißig, wie sonst, zur Tafel hohlen liessen; dann er liebte einen guten Bissen, und trug seinen gesunden Appetit gern zu Gaste.[351] Er machte uns schier alles Gesinde aufrührisch. Wenn ihm eines davon begegnete, oder solches zu ihm ins Haus geschickt wurde, so fragte er solches aus, wie es ihm gieng, und brachte demselben die Gedanken bey, wann es solche noch nicht hatte, daß es bey kargen Leuten diente. Ja, ja, sagte er zu ihnen, Kinder, ich weiß schon, wie es in eurem Hause aussiehet. Doch habt Gedult und versündiget euch nicht. Es ist schwer, seufzete er dabey, daß ein Reicher ins Himmelreich komme; ihr aber seyd arm. Armuth hat eine grose Verheissung: Armuth schändet nicht; Aber der Geitz, der Geitz ist eine Wurzel alles Ubels.

Dieses Evangelium war unsern Dienstboten recht: sie thaten ohnedem schon was sie wolten. Wir dienen nicht als Sclaven, sagten sie, man muß uns auch eine kleine Veränderung gönnen. Was der Mund verzehret, ist nicht gestohlen. Der Herr Informator und die Frantzösin hatten immer Zuspruch: diese hatte die Schlüssel zu Küch und Keller, also konte sie vielen Leuten etwas zu gute thun: Diener, Mägde, Lackayen, Hof- und Bauers-Leute; alle wünschten ihr tausend Glück und Seegen, wegen ihrem gutthätigen Herzen. Meine Frau aber, und ich wurden mit den sinnreichesten Lasterungen angestochen, wenn wir uns so viel heraus nahmen, und uns nach ein- und dem andern zu fragen unterstunden.

Die Mägde giengen nicht mehr als Mägde,[352] sondern als wohlhabende Burgers-Töchter gekleidet; sie wolten deswegen auch nicht mehr Mägde heissen. Ich versah es einmahl gröblich, da ich zu einem Diener sagte, er solte eine Magd rufen: das Kinder-Mensch hörte solches: die Magd, wiederholte sie spöttisch: ich heise nicht Magd: sie kam damit gantz murrisch ins Zimmer; meine Frau merkte bald, daß ihr was fehlte: sie sagte deswegen zu mir, als das Mensch wieder weg war: heise doch das arme Ding nicht Magd. Wie, fragte ich voll Verwunderung, ist sie denn keine Magd? Ja, sprach sie, aber es klingt den hochmüthigen Dirnen zu hart: sie können nicht leiden, wenn man sie so nennet: sie sprechen, sie wären nicht leibeigen. Wie soll man sie dann nennen, fragte ich weiter; bey ihren Namen, antwortete meine Frau, Dosgen, Fickgen, Louisgen und dergleichen. Ich konte mich in diese Sachen nicht mehr schicken. Ich sah, daß meine Leute dabey sich ihrer gewöhnlichen Arbeit zu schämen begunten; also, daß man ihnen andere Leute darzu halten muste.

Ich hatte sowohl in der Stadt, als auf dem Land, kostbare Gebäude geführet; meine Lust-Gärten kosteten mich viel zu unterhalten, und brachten nichts ein; ich hatte in meinem Hause täglich mehr als dreyßig Menschen, die aus meiner Küche zehrten; ohne die Gäste, Beyläuffer, Reib-Wasch-Näh- und Sudel-Weiber zu rechnen.[353]

Hierzu kamen noch so viel andere Leute, die alle keinen Pfennig ins Haus brachten, sondern nur immer haben wolten: darunter waren auch diejenige, welche die Rechte und die Gesundheit der Menschen studiret hatten. Ich war in meinen Handlungen nicht vorsichtig genug gewesen; ich hatte zu viel Zerstreuungen und andere Gedanken im Kopf. Ich trauete zu leicht, und wurde oft betrogen: dieses verdroß mich, ich wolte Recht haben, ich klagte darauf; so bald aber geriethen nicht die Sachen unter die Advocaten, so gieng insgemein das Capital verlohren, und ich muste noch jährlich die Zinsen davon, mit samt den Proceß-Kosten, zu Ehren der eingeführten Gerichts-Ordnungen, nachsetzen.

Die Aerzte und Apotheker giengen bey mir auch nicht leer aus. Die unordentliche Lebens-Art, und die Unmässigkeit meiner Leute machten mein Haus zu einem halben Spital. Ich hatte beständig kranke Kinder und krankes Gesinde; sie sahen so blaß und so mager aus, daß es einen erbarmte. Der Doctor kam schier alle Tage: er verschrieb die köstlichste Artzneyen, und Gold-Tincturen. Die Wund-Aerzte vergossen des Jahrs über eine Menge Blut in meinem Haus. Die Apotheker-Zettul wurden zu ganzen Büchern, man schrieb mir zu Ehren alles theurer auf, als andern Leuten: es hies: der kans bezahlen.

Bald waren Hochzeiten, bald Leichen, bald[354] Kindtaufen, bald Gevatterschafften, bald Gastereyen, bald andere Ceremonien bey mir. In allen milden Steuren und Collecten, wurde mein Namen oben an gesetzt. Ich hatte über alles dieses, von halb Jahr zu halb Jahr, schier an alle Gattungen von Künstlern und Handwercks-Leuten Rechnungen zu zahlen; sie übersetzten meistens darinn ihre Arbeit, wolt ich ihnen etwas abziehen, so klagten sie, sie wären arme Leut, die Arbeit würde ihnen sauer, ich wär ein reicher Herr; es hiese wohl, je reicher, je karger.

Anfangs gieng mir in meiner Haushaltung so vieles nicht drauf, da ich aber hernach anfieng zu bauen, und viel auf kostbaren Hausrath, auf Jubelen, Silber-Geschirr, Mahlereyen und dergleichen zu verwenden, so schmolzen binnen sechs Jahren über fünf und zwanzig tausend Thaler vom Capital, wobey wenigstens eine gleiche Summa auch nach und nach in der Handlung verlohren gieng. Die Ausgaben wurden immer gröser, die Einnahmen kleiner, und die Zeiten schlechter. In den folgenden Jehren giengen wieder zwanzig bis dreyssig tausend Thaler drauf, und blieben mir wohl eben so viel zweiffelhaffet und böse Schulden zurück. Das Unglück kam hernach mit den Banco-Briefen, worüber der Krieg einfiel, und damust ich wieder ein groses Capital mir abschreiben.

Als ich hierauf anfieng, und wolte meine kostbare Haushaltung ein wenig einziehen, so hatte[355] ich wohl noch hundert tausend Thaler übrig; allein, die Helft davon stack in Haus und Gütern und allerhand Effecten, die ich nicht benutzen konte. Das übrige lief zwar noch in der Handlung herum, ich hatte mich aber dabey sehr versteckt: fünf und zwanzig tausend stunden noch bey dem Fürsten von Sardost, und ich hatte kaum das Drittel mehr einzunehmen, als ich ausgeben muste. Dem ungeacht hätt ich noch eine Zeitlang fort kommen, oder durch eine gänzlich verbesserte Einrichtung meines Hauswesens mir wieder aufhelfen können; Allein, so starb zu meinem Unglück der Fürst von Sardost. Der Fürst zahlte sonst überaus richtig: er hätte mich nimmer fallen lassen; so bald aber war er nicht todt, so hieß es, der Prinz wär noch minderjährig, und die Cammer könte nicht zahlen.

Die von dem Fürsten ausgestellte Wechsel-Briefe liefen demnach aus Mangel der Zahlung zurück: andere Briefe wurden dargegen auf mich gezogen, die ich zahlen muste. Meine Casse wurde damit leer. Ich hatte Credit nöthig; ich stellte deswegen meine eigne Wechsel aus, und ließ solche auf den vornehmsten Handels-Plätzen herum lauffen: Dieses Mittel that gut; aber nicht lang; nach Verfliesung eines halben Jahrs kamen meine Briefe wieder auf mich zurück: ich solte zahlen: Es war unterdessen kein Geld weiter eingekommen: man gab mir acht, man gab mir vierzehen Tage Sicht; Die Zahlung mangelte! Die[356] Wechsel wurden protestirt: die Sache wurde ruchtbar: das Gerücht gieng von einer Schreib-Stube zur andern; es durchstrich die Börse und von da die nechste Handels-Plätze. Meine Glaubiger trieben zum Concurs: und ich rettete mich auf meinen Hof. Meine Freunde, die bey mir die meiste Höflichkeiten genossen hatten, konten, theils wolten mir nicht helffen. Meine Bedienten giengen auseinander: Jeder machte sich seine Rechnung selbst, und nahm, was er meynte, daß ich ihm schuldig wär. Meine Frau wolte verzweifeln. Niemand war, der sich ihrer und der Kinder annahm. Man sagte: es geschähe uns recht: GOtt hätte uns gestraft, weil wir uns unsers Glückes zu sehr überhoben hätten: ich glaubte es selbst. Man suchte mich handfest zu machen: ich entfloh, und wuste nicht, wohin. Weib und Kinder dauerten mich: ich reiste von einem Ort zum andern: ich wuste lange nicht, wo ich bleiben solte. Endlich kam ich hieher zu dem Fürsten, und bat ihn um Schutz: Er nahm mich gnädig auf; er sagte mir, wenn ich mich hier niederlassen und meine Sachen mit den Creditoren ausmachen wolte, so solte ich ihm lieb seyn; er zweifle nicht, daß nach der Vellejanischen Clausul leicht für meine Frau noch so viel übrig bleiben würde, daß ich mit ihr und meinen Kindern an einem so wohlfeilen Ort, und wo man der Eitelkeit so sehr nicht als zu Budorgis ergeben wär, gemächlich leben könte. Ich würde, fügte er hinzu, deswegen hier keine Verachtung leiden,[357] weil ich wär unglücklich gewesen. Nur solte ich zuforderst dahin trachten, meine Sachen so viel möglich in Ordnung zu bringen, und meine Schulden zu bezahlen. Er befahl mich darauf einigen Vorstehern der Gemeine, die mir so wohl im Geistlichen als Weltlichen rathen, und mir in meinen weiteren Absichten behülflich seyn solten.

Prast, Unruh, Gram und Verzweifelung nagten dar auf meinen ganz niedergeschlagen Muth. Ich war nur der guten Tagen und keiner Widerwärtigkeiten gewohnt. Die Veränderung meines Zustandes war zu schnell, zu gros, und für ein verzärteltes Gemüth, wie das meinige, zu abscheulich. Eine schwarze Melancholie verdunkelte meine Sinnen: ich sah vor mir einen Abgrund unendlicher Qual: Tausend Larven und Schrecken-Bilder beängstigten meine in Unordnung gebrachte Lebens-Geister. Alles drohete mir entweder den Tod, oder ein elendes Leben. O grausame Vorstellung! ich war der unglückseligste Mensch von der Welt: der Schmerz drang mir durch die Seele; und machte mich verwirrt: ich fand bey mir weder Rath noch Trost: ich hielt mich verlohren.

In diesem gepreßten und Jammer-vollen Zustand hatten mich die Vorsteher dieser Gemeine, welche sie, mein Herr, gestern Abend mit bey Tische fanden, bestens aufzurichten gesucht. Dero mir darauf erwiesene Grosmuth[358] und Hülffe, woll ihnen der HErr, als ein reicher Vergelter alles Guten, mit einer beständigen und unendlichen Glückseligkeit belohnen.

Hiermit endigte der Herr von Güldenblech seine Erzehlung: Der Graf bemerckte dabey das allgemeine Verderben der Menschen auch in dem gemeinen Bürgerlichen Leben. Er entdeckte die betrübte Würckungen einer übeln Auferziehung und die daraus entstehende unglückliche Folgen in dem ganzen menschlichen Leben. Er tröstete darauf den Herrn von Güldenblech: Sie haben, mein Herr, sprach er, ohneracht aller ihrer Widerwärtigkeiten nicht Ursach, den Muth zu verliehren: Ihr Glück war ausser GOtt: der Zusammenhang verschiedener Zufälle hat sie erhoben und auch wiederum gestürzet.

Nun lernen sie auf einen bessern Grund bauen. Der fromme Fürst hat ihnen solchen angewiesen: sie folgen seinem weisen Rath, sie können nichts bessers wehlen, sie werden leicht von dem Ihrigen noch so viel übrig behalten, um an diesem Ort ein ruhiges und ehrbares Leben mit ihrer Familie zu führen. Es gehöret so viel nicht darzu, um vergnügt zu seyn, aber man hat alles genug, wenn man solches ist. Mit diesen kurzen Ermahnungen verließ der Graf den Herrn von Güldenblech, darauf sie sich einander eine gute Nacht wünschten und sich zur Ruh begaben.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 330-359.
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