Von einem beständigen Frieden in Europa.[572] 1

Viele Dinge sind nur deswegen in der Welt unmöglich, weil sie die Menschen nicht möglich machen wollen. Was wäre leichter, als einen allgemeinen Frieden in Europa aufzurichten? Alleine der Eroberungs-Geist, die Heldensucht, und der schier mehrentheils müssige Adel hätte nichts mehr zu thun: man brauchte keine Soldaten mehr, um Länder zu gewinnen, und Städte zu erobern. Die Cronen wären auf den Häuptern derer, die sie tragen und auf ihren Nachkommen gesichert. Die freye Staaten blieben freye Staaten, und ein jedes Volck wurde durch seine eigene Gesetze regieret.

Man könte einen allgemeinen Versa lungs-Ort erwehlen, und darinn einen beständigen Friedens-Rath von ungefehr vierzig biß fünffzig Friedens-Richter unterhalten: diese müsten aus allen denjenigen Völckern, die mit in dem[572] allgemeinen Bündnüs stünden, durch eine vorhergehende Wahl gezogen werden: sie müsten die vortrefflichsten Männer ihres Landes seyn: und mit einer gründlichen Vernunfft und Einsicht, auch eine gründliche Kenntnüs des Natur- und Völcker-Rechts verbinden: sie müsten eine genaue Wissenschafft der Europäischen Staaten und ihrer politischen Verfassung besitzen: sie müsten der vornehmsten Sprachen kündig, insonderheit aber der Lateinischen vollkommen mächtig seyn; weil in derselben alles müste tractiret und ausgefertiget werden; sie müsten vor allen Dingen das Lob der Redlichkeit und einer unverletzlichen Treue haben.

Diesen zur allgemeinen Friedens-Versamlung bestimmten Ort müsten die in Europa sich zusammen verbundene Staaten durch ihre Gesandten beschicken, und durch sie die Angelegenheiten ihrer Höfe vortragen lassen. Dis Friedens-Richter hingegen müsten solche mit aller Unpartheylichkeit untersuchen, rechtsmässig erörtern; oder in Ermanglung zulänglicher Urkunden und Beweisen, durch gütliche Vergleiche schlichten. Diese Entscheidungen der Friedens-Richter müsten nach den meisten Stimmen gelten, und dadurch ihre völlige Rechts-Krafft erlangen.

Der Ort hierzu müste groß, wohl erbauet, gesund, wohlgelegen, und mit allen nöthigen Lebens-Mitteln leicht, sicher und wohlfeil zu versehen seyn. Auch müste derselbe in keinem mächtigen Königreich, sondern in einem freyen Staat sich befinden, und zu einem allgemeinen,[573] niemand in der Welt unterworffenen Friedens-Platz, von den verbundenen Staaten, besonders darzu erkaufft, und gleichsam der Hof von gantz Europa werden. Das Regiment und die Policey daselbst könte, unter der Aufsicht der Friedens-Richter, ein gemeiner Stadt-Magistrat versehen.

Wegen dem Rang der Potentaten und Republicken, und daher rührenden Vortritt der Gesandten, könte man sich dahin vergleichen: daß man den ältesten, und in einer ununterbrochenen Abstammung von Königlichem Geblüt besetzten Thronen, wenn sie zugleich auch die mächtigsten sind, den Rang vor andern, die entweder nicht so alt, oder nicht so mächtig sind, gestattete: diejenige, welche wohl eben so alt, aber nicht so mächtig; oder so mächtig und nicht so alt sind, als jene, behielten zwar mit ihnen gleiches Ansehen und gleiche Hoheit; ihre Gesandten aber wichen den Gesandten der ersten aus Höfflichkeit, ohne deswegen der Macht und Würde ihrer eigenen Cronen etwas zu vergeben: diejenige von der ersten Gattung müsten im Ceremoniel, wo ein Vortritt sich äussern solte, mit einander umwechseln; und wo ja ein Gesandter dem andern zufälliger oder vorsetzlicher Weise vorgehen solte; so müste doch dadurch dem einen weder etwas genommen, noch dem andern etwas vergeben werden. In Betrachtung, daß ein vor allemahl die Gleichheit unter ihnen reguliret wär.

Die andere Cronen würden des Rangs halber nach obiger Regel leicht zu vergnügen seyn; dann wo die Macht und das Alterthum[574] zusammen stehen, da machen sie auch einen gewissen Vorzug, welchen die andere, denen entweder das eine, oder das andere mangelt, sich vernünfftig bescheiden würden, an ihnen zu erkennen. Und dieses um so viel ehender, weil sie dadurch an und vor sich selbst an ihrer Hoheit nicht das mindeste verlieren; in Erwegung daß das gantze Ceremoniel-Wesen, nachdem einmahl eingerichteten Frieden, nur eine Sache des blosen Wohlstandes und der Ordnung wär.

Alle und jede Sachen, wie sie bey dieser allgemeinen Friedens-Versammlung durch Urtheil und Recht von den darzu bestimmten Richtern entschieden, und abgethan würden; müsten ohne allen Widerspruch, für gültig angenommen und vollzogen werden; Im Verweigerungs-Fall aber, wär eine gewisse Executions-Ordnung aufzurichten; vermög welcher die Aussprüche der Friedens-Richter zur Vollziehung müsten gebracht werden: wobey man diejenige für allgemeine Feinde u. Friedens-Störer zu achten und anzusehen hätte, die sich dieser einmahl beliebten Ordnung mit Frevel, Empörung und Gewalt wiedersetzen wolten.

Alle und jede Erbfolgen und Gräntz-Scheidungen, als woraus die meiste Kriege entstehen, müsten auf eine sichere und beständig fortdaurende Art, mit und unter allen Staaten vorhero ausgemacht und reguliret werden; also und dergestalt, daß man vor einem jeden sich ereignenden Sterb-Fall bereits voraus wissen könte, auf welche Person oder Stamm-Linie dieses oder jenes Reich, Fürstenthum oder Land fiel. Wie dann zu dem Ende keine[575] Heyrath unter den Durchläuchtigen und regierenden Häussern könte und müste geschlossen werden; bevor die Erbfolgen der Staaten und Länder festgesetzt, und davon der Friedens-Versammlung, als von einer Sache, welche die Erhaltung der gemeinen Ruhe betrifft, die nöthige Eröffnung geschehen sey.

Die Handelschafft der Völcker in die entlegene Länder: die freye Seefarth, welche sich einige vor den andern anmassen: die Rechte der Zölle, des Stapels, des Strandes, der Contrebanden und dergleichen, wären auch noch solche Puncten, die vorher wüsten ausgemacht, und reguliret werden.

Die Verbindung einiger mächtigen Häusser in Europa könte dergleichen Vorschläge möglich machen, sie könten sich dadurch gesamter Hand gegen fremde Gewalt einander schützen, ihre eigene Staaten u. Provinzen aber in Ruhe beherrschen.

Daß im übrigen diese kurtze Vorschläge, welche die Verbesserung des Staats betreffen, einer weitläufftigern Ausführung bedürffen, ist man nicht in Abrede: Man müste aber sodann einen gewissen Staat allein zum Vorwurf haben, und die Zueignung darauf ins besondere richten; GOtt bessere unterdessen die Menschen und die Zeiten.


ENDE.

Fußnoten

1 Diesen Entwurff soll ehedessen der Abbé de S. Pierre in einem Tractat: Projet pour rendre la paix eternelle, weitläufftig ausgeführet haben.


Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742..
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