Der Geist im Glase, oder das vorige Mährchen noch einmal, aber auf andere Weise.

[333] Ein armer Tagelöhner auf dem Lande, der sich meistens nur vom Holzhauen nährte, hatte einen Sohn, der von Kindesbeinen an zu des Vaters Erwerb sich nicht wollte schicken, und wenn er nur ein paar Spähne sollte auflesen, stellte er sich dazu gar langsam und tölpisch; das machte, der Sohn hatte große Gedanken, oder wie es der Vater nannte, große Mäuse und Ratten im Kopfe, und wollte durchaus und durchum ein hochgelahrter Mann werden, wohl gar ein Magister oder so etwas. Darum saß er lieber bei den Paar Büchern, die er hatte, als daß er dem Vater geholfen hätte, und wollte einmal auf die hohe Schule gehen, obwohl der Vater ihm immer vorpredigte, er möge von den Narrenspossen ablassen, denn es komme dabei doch nichts heraus.

Der Vater sprach oft über seinen Sohn mit dem Gevatter Schulmeister im Dorfe, der sich auch einen Magister nannte, und behauptete, aus dem großen Bengel werde gar nichts, denn essen und trinken könne er so gut als einer im Dorfe, und wohl noch mehr, aber er wolle niemals Etwas thun. Der Schulmeister antwortete[334] allezeit, das käme daher, weil er ein Genie sei, wie man das nannte, die arbeiteten und lernten nichts, verständen aber Alles, ohne daß man wüßte, woher es ihnen zukäme, und würden allzumal hochgelahrte und vornehme Leute.

Weil nun Alles nichts helfen wollte, so ließ der Mann den Sohn auf die hohe Schule ziehen, gab ihm die Paar Thaler mit, die er seit vielen Jahren erspart hatte, und sagte: »Gehe Gott, daß es gut geht!«

Die Paar Thaler konnten nicht weit reichen, und der Vater hatte nichts mehr auf den Sohn zu verwenden. So kam denn derselbe nach einem Jahre von der hohen Schule zum Vater zurück, und sprach: »Vater, ich will bei Euch bleiben, und helfe Euch Holz hauen und in Klafter und Malter setzen.«

»Dazu bist du zu dumm, Matthias, antwortete der Vater, und wirst es nicht ausrichten, denn du hast dein Lebtage nichts gethan. Auch habe ich nur eine Axt, und kein Geld dir eine zu kaufen.«

»So geht hin und borgt eine Axt,« sagte der Sohn, der hartnäckig auf seinem Kopfe bestand, und Alles besser wußte, weil er doch ein Student war gewesen. Also borgte der Vater eine Axt für ihn, und sie gingen mit einander in den Wald und hieben Bäume um und zerspalteten sie.

Als nun der Mittag gekommen war, sprach der Vater: »Wir wollen nun ein wenig ausruhen und unser Mittagsbrot essen.«

Der Sohn nahm sein Brot auf die Hand und wollte damit in dem Walde herumgehen, der Vater aber sprach: »Du bist ein Narr und machst dich mit dem Herumstreifen nur müde, daß du dann nichts mehr kannst arbeiten.«

Der Sohn aber ging in den Wald, und suchte nach Vogelnestern, und kam zu einer großen uralten Eiche, wo er herumstöberte, wiewohl nichts da zu suchen war, noch zu finden. Er setzte sich[335] dann auf eine große hervorragende Wurzel und aß die letzten Bissen Brot, da hörte er eine dumpfheisere Stimme, die rief: »Laß mich heraus; laß mich heraus!« Er horchte auf die Stimme, konnte es aber nicht herausbringen, wo sie war. »Wo bist du denn?« fragt er, aber es ruft nur immer heiserer: »Laß mich heraus! laß mich heraus!«

»Ja, ich weiß ja nicht, wo du bist, sprach der Student, wie kann ich dich denn herauslassen?«

»Such unter der Eichwurzel; unter der Eichwurzel!« hieß es hierauf. Und als der Student dort suchte, fand er in einer Höhlung eine Glasflasche, aus welcher die Stimme gekommen war, und in der Flasche war ein seltsames Wesen; fast wie eine Eidechse.

Da rief es wieder aus der Flasche: »Zieh den Pfropfen ab; zieh ab, daß ich heraus kann!«

Der Student zog den Pfropfen ab, und ein riesig langer und rußiger Kerl stieg aus dem Glase herauf. Das war ganz begreiflich und natürlich ein Geist, und als der Geist aus dem Glase heraus war, fragt er den Studenten: »Weißt du wohl, was für Lohn du verdient hast, darum weil du mich aus dem Glase hast befreit?«

»Wie kann ich das wissen?« antwortet der Student unerschrocken, – – denn weil er doch selbst ein großer Geist oder Genie und noch dazu ein jähriger Student war, so fürchtete er sich gar nicht vor Geistern.

»Wie kann ich das wissen? sagte er großmüthig; ich will es gern umsonst gethan haben, wenn du mir nichts dafür schenken magst.«

»Ja schenken! antwortet der Geist; das Genick muß ich dir dafür einknicken – da kann dir das Schenken nichts helfen.«

»Ho hoh! spricht der Student, so hurtig geht das noch nicht; und du hättest das eher sagen sollen, da stäkest du noch in dem[336] Glase. Und da müssen erst noch mehr Leute gefragt werden, ehe das gleich so geht.«

»Leute hin, Leute her, erwiedert der Geist, du mußt den verdienten Lohn haben, denn ich bin nicht nur so aus Gnade in das Glas eingeschlossen gewesen, wie du leicht denken kannst, und weil ich lange in dem Glase habe sitzen müssen, so schwor ich zuletzt im Aerger, dem das Genick zu brechen, der mich befreien würde, und da ich der große Geist Mafech bin, so muß ich mein Wort halten; wär ich ein kleinerer Geist, so hätt' ichs nicht nöthig.«

»Flausen das! versetzte der Andere; wie willst du großer Riese in dem engen Glase gesteckt haben? Mir machst du nichts weiß, denn ich bin ein Student mußt du wissen. Du bist ein Händelmacher und suchst nur eine Gelegenheit, wie du mir ankommen kannst; aber es soll nicht sogleich gehen. Kannst du aber wieder ins Glas hinein, so will ich dir glauben; aber das kannst du nun und nimmer nicht.«

Der Geist ward entrüstet, daß er das nicht können sollte, und begab sich wieder ins Glas, und sagte, als er drinnen war: »Nun siehst du es doch?«

»Ja nun sehe ichs, sagte der Student; weis' nur einmal her;« indem er that, als wolle er Alles recht besehen, und steckte den Pfropf wieder auf.

»Was soll das heißen?« fragte der Geist hierauf, und der Student antwortete, das heiße nichts anders, als der Geist solle nun bis in Ewigkeit, oder noch ein Paar tausend Jahr länger in der Flasche bleiben.

Da gab der Geist himmlisch gute Worte, und verhieß, er wolle den Studenten recht glücklich machen: der aber wollte ihm kein Wort glauben, bis der Geist sich recht sehr hoch bei allen Geistern verschwor, er wolle thun, was er ihm verheißen hätte. Da glaubt es der Student und ließ den Geist wieder heraus.[337]

Nun gab der Geist seinem Erretter ein Pflaster, und sagte: Das Pflaster würde so lange dauern als der Student lebe. Bestreiche man nur mit dem einen Ende eine Wunde oder einen Beinbruch, so werde Augenblicks Alles wieder heil; bestreiche man aber Eisen mit dem andern Ende, so werde es zum feinsten Silber.

Damit war der Geist fort.

Der Student machte einen Hieb mit seiner Axt in einen Baum, und hielt sein Pflaster an die Wunde des Baums, da war die Wunde des Baums gleich wieder heil. Dann bestrich er mit dem andern Ende des Pflasters seine Axt, da war sie von lauter Silber geworden.

Der Student ging nun zum Vater zurück, der aber war lang schon an der Arbeit und schalt ihn, daß er ein Thunichts sei, und als der Student sagte, das solle schon eingebracht werden, wurde der Vater noch böser, und sagte am Ende: »Haue den Baum dort um, du Faullenzer!«

Der Student hieb auf den Baum, aber, weil die Axt von Silber war, legte sie sich sogleich um. Er ging nun zum Vater und sprach: »Was für eine Axt habt Ihr mir da gegeben, da kann ja Niemand mit arbeiten; seht, wie sie sich umgelegt hat!«

»Du Unglücksvogel, sagte noch zorniger der Vater, welcher reines Silber nicht kannte und blöde Augen hatte, deine Hülfe bringt mir nur Schaden und Noth.«

Der Sohn sagte zwar, daß er selbst schon diese Axt bezahlen wolle, aber da wurde der Vater höchst böse und sprach: »Du Bettelbube, hast keinen Heller in der Tasche; wovon willst du sie bezahlen? Das sind Studentenkniffe und damit bleib mir vom Leibe.«

Der Student, weil er mit der Axt nicht mehr fortarbeiten konnte, ging mit derselben in die Stadt zu einem Goldschmidt und fragte ihn, was er für die Axt geben wolle. Der war ein ehrlicher Mann und sagte, so viel Geld habe er nicht, solch eine Axt von so feinem[338] Silber zu bezahlen; der Student wollte aber nehmen, was der Goldschmidt hätte. Der gab ihm dreihundert Thaler, und borgte noch einige Hundert dazu.

Mit so vielem Gelde kam der Student wieder nach Hause. Dem Nachbar bezahlte er für die geliehene Axt zweimal so viel, als der gefodert hatte; dem Vater gab er über hundert Thaler, damit sich derselbe etwas zu Gute thun könne, und verhieß ihm, es solle ihm niemals fehlen. Er selbst aber ging mit dem übrigen Gelde auf die hohe Schule zurück, und studirte so sehr aus, daß gar nichts mehr vom Studiren in den Kopf hinein wollte. – Und weil er das Pflaster hatte, das alle Wunden heilte, und ihm Silber aus Eisen machte, soviel er nur mochte, so wurde er der berühmteste Doktor in der Welt und das allergrößeste Genie. Denn das Glück oder die Unverschämtheit machen die Genies.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 333-339.
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