Dem Herrn Prior der Kartause J.

[815] Sie haben goldne Verse mir, phaläkische,

Das zierlichste Latein, geschickt. Ich möchte wohl

Sie gleicherweis erwidern; doch mit gutem Grund

Enthalt ich mich des Wagestücks, Vortrefflicher!

Kein Wunder, wenn ein grundgelehrter Freund Sie nur

Den zweiten Pater elegantiarum nennt.

Etwas bedenklich scheint es zwar, ich muß gestehn,

Daß ein Herr Prior, Prior des Kartäuserstifts,

Mit unserm Veroneser wettzueifern sich

Inallewege als berufnen Meister zeigt.

Wenn Ihr Herr Bischof das erführe! – doch es soll,

Was über allen Türen Ihres Klosters steht,

An Pfosten, Gängen, selbst am heimlichen Gemach,

Silentium! – das strenge Wort, mir heilig sein.


In wenig Tagen komm ich selbst; schon lange lockt

Die neue Märzensonne mich. Dann find ich wohl

Im Garten frühe meinen stattlich muntern Greis,

Beschäftigt, wilder Rosenstämmchen jungem Blut

Durch fürstlichen Gezüchtes eingepflanzten Keim

Holdsel'ge Kinder zu vertraun; von weitem schon[815]

Ruft er sein Salve, und behend entgegen mir

Den breiten Sandweg, weichen Trittes, schreitet er,

Im langen Ordenskleide, wollig, weiß wie Schnee.


Inzwischen hier ein Hundert Schnecken, wenn's beliebt!

Ich fügte gern ein Stückchen Rotwild noch hinzu,

Das mir der Förster heut geschenkt, doch fällt mir ein,

Daß man nicht Pater elegantiarum nur,

Vielmehr auch Pater esuritionum1 ist.


Fußnoten

1 Catullischer Ausdruck.


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 815-816.
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