2.

[826] Es war ein Kaufherr zu Heilbronn,

Fürwahr ein halber Salomon;

Mit seinen Talern hätt man mögen

Den Markt wohl zwiefach pflästern und legen;

Zwar seines Glaubens nur ein Jüd,

Jedoch ein echt und fromm Gemüt,

Machte manchen Christenbettler satt.

Er hatte drei Häuser in der Stadt,

Indes er selbst das ganze Jahr,[826]

Oft über Meer, verreiset war.

Weil aber in guter Christen Mitte,

Sein Volk damals viel Tort erlitte,

Ließ Herr Aaron seiner Frauen

Auf dem Land ein Schlößlein bauen,

Ringsum mit Wiesen, See und Wald,

Zur Sommerzeit ein Aufenthalt.

Zu alldem sah sein jung Gemahl

Nur wie das Klagweib im Hochzeitssaal,

Ging weder fischen, weder jagen,

Ließ sich auch nicht vom Maultier tragen

Durch Berg und Wald, das Dorf entlang,

Wollte kein Saitenspiel, noch Gesang:

Denn ihr einzig Kind, ein Mägdlein zart,

Wie ein Fürstenblut so schön von Art,

War leider taub und stumm geboren,

Auch Kunst und Hoffnung ganz verloren.


Als nun das Mägdlein endlich groß,

Einer Lilie gleich aufschoß,

Ging es und ritte manches Mal

Ohne Diener durchs Wiesental.

Dann sprachen die Leute insgemein:

»Seht da, des Sultans Töchterlein!«

War weiß von Haut und schwarz von Haar,

Mit Ringeln deckt's den Nacken gar.

Ihr Auge, hell und lauter ganz,

Sah munter drein beim Schäfertanz;

Ihr roter Mund zwar red'te nicht,

Konnt aber lachen inniglich.


Einsmals schön Rahel saß allein

Beim Birkenwald am grünen Rain,

Dacht einem Traumgesichte nach,

Darin ihr Gott der Herr versprach,

Treu und wahrhaft, durch Engelsmund:

Sie sollte werden ganz gesund,

Wenn sie ihm täte dies und das –

Sie wußte leider nicht mehr was.

Hätt sie's gewußt, sie könnt's nicht sagen,

Müßt es ewig bei sich selber tragen.
[827]

Das fiel ihr nun aufs Herz so schwer,

Daß sie seufzet laut und weinet sehr.

Nun kam den Pfad ein Büblein her,

Dem war die Rahel wohlgesinnt,

Es war des Juden Pächters Kind,

Kam von der Synagoge warm,

Hatt Buch und Täflein unterm Arm.

Sie macht ihm Platz an ihrer Rechten,

Lehrt ihm ein lustig Kränzlein flechten,

Am Bach da hatt's der Blumen viel.

Der Tag war aber gar zu schwül:

Der Knabe nickt, dann schläft er ein,

Schön-Rahel sitzt für sich allein.


Sie kriegt des Knaben Buch zur Hand,

Davon sie leider nichts verstand,

Sie nimmt das Täflein auf den Schoß,

Da wurden ihr die Tränen los.

Mit Händen deckt sie ihr Gesicht,

Sie bet't im stillen und weiß es nicht.

Und wie sie wieder aufgeblickt,

Ein frisches Aug ins Blaue schickt –

Vom Michelsberg was blinkt so hell,

Als wie das Kreuz auf der Kapell?

Streicht es nicht durch die Luft daher?

Kommt es nicht nah und immer mehr?

Ein Vogel, ei! ein Schwälblein hold!

Im Schnabel hat's ein klares Gold.

Der Jungfrau legt's, o Wunder, sieh!

Eine güldne Feder auf ihr Knie,

Fliegt auf den nächsten Erlenbaum:

Der Jungfrau ist es als ein Traum.

Wie wird es ihr im Geist so licht!

Sie weiß ihr ganzes Traumgesicht!

Ihr klinget, was der Engel sprach,

Hell, wie Gesang, im Herzen nach.

Im Taumelsinn, in seliger Hast,

Hat sie den güldnen Kiel gefaßt:

Er lebt und schreibt, kaum hält sie ihn,

So rasch geht's übers Täflein hin,

Mit goldiger Hebräerschrift[828]

(Wohl feiner denn mit Schieferstift!):

»Schön-Rahel! Friede sei mit dir!

Der ewig Vater grüßt dich hier,

Will lösen deiner Zunge Band,

Auftun dein Ohr mit seiner Hand,

So du mit Vater und Mutter dein

Dem Heiland willt zu eigen sein.«


Die Feder ruht; das Schwälblein keck

Fliegt ab dem Baum und nimmt sie weg,

Und auf und fort in einem Nu,

Dem Michelsberg da wieder zu.


Indessen war der Knab erwacht,

Nahm auch das Wunder wohl in acht.

Die Jungfrau winket ihm aufzustehn,

Alle beide still nach Hause gehn.

Wie sie noch wenig Schritt vom Hofe,

Entgegen rennet schon die Zofe,

Bedeutend, daß der Vater kommen.

Von tausend Freuden übernommen

Jetzt eilet das glückselig Kind

Ins Haus noch zehnmal so geschwind.

Herr Aaron stund just in der Tür,

Faßt sie in Arm, sie zittert schier,

Sie dringet ihm das Täflein auf,

Dann eilet sie in einem Lauf,

Holt ihre Mutter in den Saal,

Herzet und küßt sie tausendmal,

Winket des Pächters Kind herbei,

Das sagt, was all geschehen, frei.

Der Alte liest und staunt und schweigt,

Seiner Frauen dar das Wunder reicht,

Und murmelt für sich unbewußt;

Schlägt dann laut an seine Brust,

Und ruft: »Dein Knecht, Herr, ist nicht wert,

Daß ihm so Großes widerfährt!

Ich seufzet' oft in Nächten tief

Nach deines Sohnes Heil und rief,

Doch Zweifels Angst und Spott der Welt

Hat mir so teures Licht verstellt;[829]

Ich war verstocket, taub und blind:

Muß mich noch retten mein armes Kind!

Dafür sei Preis und Ehre dein!

Laß mich jetzt auch der erste sein,

So brünstig dir, Herr Jesu Christ,

Weh! die durchgrabnen Füße küßt!

Und wie, zu deinem Stern gewandt,

Drei Könige aus Morgenland

Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold:

Vergönne, daß dein Knecht dir zollt,

Was alles du seit so viel Jahren

Durch ihn der Kirche wollen sparen!

– O du, an deines Sohnes Seite,

Vertritt uns, Mutter, benedeite!«

So sprach Herr Aaron jenen Tag;

Hört an, was weiter werden mag.

Zu Pfingsten, früh vor Tage schon,

Zieht, groß und lang, eine Prozession

Mit hellen Kerzen ohne Zahl

Langsam dahin durchs grüne Tal,

Söhne und Töchter Israel,

Zum Berg des Engels Michael.


Zuvorderst tät Herr Aaron gehn

Mit seiner Frauen und Rahel schön;

Kam hierauf seine Dienerschaft,

Lobpreisend Gottes Wunderkraft,

Aber zuletzt, in langen Reihn,

An die zweihundert seiner Gemein:

Die kamen nicht, zu sehn und zu gaffen,

Sondern geschlagen von Gottes Waffen,

Wollten sich alle taufen lassen.

Das Kirchlein nicht ein Drittel faßt

Der Meng, so an den Pforten paßt.


Jetzo die Orgel hell erklingt,

Man freudig Hallelujah singt.

Dann, voller Demut, holder Sitte,

Schön-Rahel vor den Taufstein schritte.

Ihr Haupt gebeuget und ihr Knie,

Empfänget Bad und Segen sie.

Und als der Priester feierlich[830]

Sprach: »Gotteskind, ich taufe dich,

So jetzo Dorothea heißt,

Auf Vater, Sohn und Heiligen Geist –

Glaubst du an des Dreieinigen Namen?«

Schön Dorothe' sprach: »Ja und Amen.«


Quelle:
Eduard Mörike: Sämtliche Werke in zwei Bänden. Band 1, München 1967, S. 826-831.
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