Ewige Wiederkunft

[111] Der Urgeist schüttelt die Menschheit um

im Becher der Ewigkeit

und freut sich am Individuum,

wie's hochtaucht zu seiner Zeit.

Denn es lebt der Mensch in Lust oder Qual

und stirbt stets nur bis zum nächsten Mal.

Der Mensch, der da lebt, mag die Welt verbessern

nach der Sehnsucht zu größt und zu kleinst,

mag Krater löschen und Wüsten bewässern

für die Wiederkunft dermaleinst.

Des Zeitmeers wogendes Auf und Nieder

trägt alles fort und bringt's anders wieder.


Der Urgeist blickt durchs Kaleidoskop,

ob er alte Bekannte seh –

und richtig: da wandelt Buddha als Pop

und Plato doziert im Kaffee;[111]

Aspasia tut, was sie immer tat;

auch Cicero ist wieder Advokat.

Es springt als Reporter Cornelius Nepos;

Napoleon flucht als Sergeant.

Vergil übersetzt sein eigenes Epos,

Gymnasialschüler unter Kant.

Kopernikus aber und Tizian liegen

mit Strampeln und Schreien in Kinderwiegen.


Der Urgeist lächelt und sinnt und nickt

und freut sich am bunten Spiel,

bis er den Freund seines Herzens erblickt –

der gibt seinem Augenmerk Ziel.

Fest steht er da: kein Meteor,

der, einmal geglüht, den Glanz verlor.

Und träumend hört er: Zum Gruß, mein Lieber!

Was hilft dir dein Zorn und dein Wahn?

Bist doch noch der gleiche Kohldampfschieber

wie dein Vater und wie dein Ahn.

Spürst du die Erde nicht unter dir gären?

Zeit ist es! Zeit, deine Zeit zu gebären!


Schon brennt das Feuer; entfach es hell!

Blas zum Sturm an den Wind, der dir weht!

Mein Kain! Mein ewiger Rebell!

Einst Sklave und heut Prolet!

Als Spartakus kamst du, als Sansculott –

Aufruhr dein Leben und Freiheit dein Gott!

Auf, Proletar, raff die Kräfte zusammen!

Unsterblichkeit leuchtet dir rot.

Der Urgeist selbst schürt des Kampfes Flammen –

und fällst du: was gilt dir der Tod!

Du kehrst ja zurück zur freien Erde,

zu Liebe und Glück. – Jetzt sprich dein: Werde!

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 111-112.
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