Freiheit in Ketten

[145] Ich sah der Menschen Angstgehetz;

ich hört der Sklaven Frongekeuch.

Da rief ich laut: Brecht das Gesetz!

Zersprengt den Staat! Habt Mut zu euch!

Was gilt Gesetz?! Was gilt der Staat?![145]

Der Mensch sei frei! Frei sei das Recht!

Der freie Mensch folgt eignem Rat:

Sprengt das Gesetz! Den Staat zerbrecht! –

Da blickten Augen kühn und klar,

und viel Bedrückte liefen zu:

Die Freiheit lebe! Du sprichst wahr!

Von Staat und Zwang befrei uns du! –

Nicht ich! Ihr müßt euch selbst befrein.

Zerreißt den Gurt, der euch beengt!

Kein andrer darf euch Führer sein.

Brecht das Gesetz! Den Staat zersprengt! –

Nein, du bist klug, und wir sind dumm.

Führ uns zur Freiheit, die du schaust! –

Schon zogen sie die Rücken krumm:

O sieh, schon ballt der Staat die Faust! ...

Roh griff die Faust mir ins Genick

des Staats: verletzt sei das Gesetz!

Man stieß mich fort. – Da fiel mein Blick

auf Frongekeuch und Angstgehetz.

Im Sklaventrott zog meine Schar

und schrie mir nach: Mach dein Geschwätz,

du Schwindler, an dir selber wahr!

Jetzt lehrt der Staat dich das Gesetz! – –

Ihr Toren! Schlagt mir Arm und Bein

in Ketten, und im Grabverlies

bleibt doch die beste Freiheit mein:

die Freiheit, die ich euch verhieß.

Man schnürt den Leib; man quält das Blut.

Den Geist zwingt nicht Gesetz noch Staat.

Frei, sie zu brechen, bleibt mein Mut –

und freier Mut gebiert die Tat!


Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 145-146.
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