Frank Wedekind
gestorben am 9. März 1918

[153] Was gilt ein Toter, da das grenzenlose Weh

hinbrandet über jedes Land und jeden Ort

und Leid, gleich der von Stürmen aufgeworfnen See

hochwogend, ungehemmt den Erdball überflutet?

Was gilt ein Toter, da die ganze Menschheit blutet

und alle Frucht am grünen Baum der Zukunft dorrt?[153]

Doch! Jeder Tote gilt – und gilt soviel

wie Liebe, Trauer, Schmerz, Verehrung, Dank

sein Sterbliches bei Menschen überdauert.

Das Schicksal setzt dem Weg des Leibs ein Ziel –

doch keiner starb, eh sein Gedenken sank,

und jeder lebt, den noch ein Herz betrauert ...

Nimm, Erde, du in deinen frommen Schoß

den teuren Toten – laß sein Fleisch zerfallen

und wisse, daß ein Herz es barg, das allen

gehörte, die den besten Menschheitsplänen

ihr Sein vermählten. – Lauter, stark und groß

schlug dieses Herz – beweint von unsern Tränen. –

Wir wollen klagen, daß er uns verließ,

wenn auch sein Tod ihm nicht das Leben nahm.

Nie stirbt sein Werk – doch niemals auch der Gram,

daß ihn der Tod zu früh vom Werke stieß ...

Fahr hin, Gefährte, Freund und Lebensmehrer,

Wahrheitsverkünder, tapfrer Jugendlehrer,

Weltangelrüttler, streit- und tatbereit!

Du Geist des Geistes! Element der Zeit!

Du lachender, du strenger Sittenrichter,

der Freude und der Schönheit froher Dichter!

Du Spötter, Kämpfer, Mahner und Bekenner –

fahr hin! An deinem Grabe weinen Männer

und werden noch, die nach uns kommen, weinen.

Fahr hin! Nie stirbt dein starker Geist den Deinen

und nie der Welt, die deinen Atem trank. –.

Leb wohl! Und daß du lebst, sei unser Dank!

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 153-154.
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