Tapferkeit

[175] Nicht wer sich gezwungen in Gefahr begibt, ist tapfer, noch wer aus Übermut der Gefahr entgegenläuft, sondern nur, wer um seiner Erkenntnis willen auf sich nimmt, was die Pflicht des Gewissens fordert. Darum schweige das Lob gefahrvoller Taten, und es erhebe sich der Ruhm der aufrechten Gesinnung.

Die Tapferkeit des unbedingten Bekennens bedarf keiner Gefahren, so wenig sie sich von ihnen schrecken läßt. Wer aber Gefahren sucht der Ehren der Welt halber, ist tapfer aus Eitelkeit – das heißt, er ist scheintapfer; er spielt den Furchtlosen, weil er das Urteil der Mitwelt fürchtet. Der wahrhaft Tapfere fürchtet kein Urteil, es sei denn das des eigenen Gewissens.

Tapferkeit ist rücksichtsloses Rechttun, ist bedenkenlose Unterwerfung unter den Befehl der selbst erkannten Moral. Wer fremder Moral gehorcht, wer Befehlen folgt, die das eigene Bewußtsein von Gut und Böse verwirft, der ist nicht tapfer, mögen seine Werke immer denen gleichen, die die Welt als heldische Taten preist. Ohne den Antrieb des eigenen Herzens kämpfen, um nur Vorwürfe zu vermeiden und Strafen zu entgehen, heißt aus Feigheit tapfer sein, heißt Mutlosigkeit mit Mut umpanzern.

Der Todesmut, der alles wagt für die kleine Aussicht, das Leben zu retten, hat mit Tapferkeit nichts zu schaffen.[175] Nicht um Lebens oder Sterbens willen ziemt es sich tapfer zu sein, sondern um des Geistes und der Menschheit willen.

Wenn einmal die Zeit gekommen sein wird – und sie muß kommen, sie steigt schon herauf, und die Welt ist schwanger mit ihr –, die Zeit, da der Kampf der Menschen um geistige Werte gehen und der Geist ihm die Waffen geben wird, dann erst kann die Tapferkeit zu ihrer wahren Geltung gelangen. Denn dann wird offenbar werden, daß der kämpfende Mensch nur tapfer ist, wenn die Sache, für die er kämpft, zugleich seine eigene Sache ist und die der Menschheit.

Quelle:
Erich Mühsam: Ausgewählte Werke, Bd.1: Gedichte. Prosa. Stücke, Berlin 1978, S. 175-176.
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