406. Beowulf.

[271] Beowulf war fast noch ein Knabe, da wettete er mit Brecca seinem Genossen im Schwimmen auf Leben und Tod. Es war Winter, die See war rauh und eisig, doch fünf Tage und fünf Nächte schwammen beide gleich nebeneinander, das nackte Schwert in der Hand; da erhub sich ein Nordsturm und trennte sie. Brecca stieg bei den Schweden ans Land und kehrte zurück in seine Heimat. Aber den Beowulf ergriffen Meeruntiere und wollten ihn zu Grunde ziehn, doch seine Brünne, der handgeflochtene Panzer, schützte ihn und er diente ihnen mit seinem Schwerte. Am Morgen lagen sie alle wund auf dem Rücken der Wellen. So tötete er neun der Seeunholde und riesiger Nichse; da trug ihn die Flut bei den Finnen ans Land.

Nach dieser Zeit, da er dem Könige Hygelak diente, erscholl das Gerücht vom Unglück Hrodgars, des Königs der Dänen. Der hatte eine Halle gebaut, größer und prächtiger als sonst eine unter dem Himmelsdache; Hirschburg nannte er sie, ihr Ruhm sollte ewig dauern. Da war täglich laut der Freude Getös, wenn der König und seine Helden beim Mahle saßen auf der Metbank; da war Harfenklang. Doch nicht lange währte die Freude. Das fröhliche Leben erbitterte Grendel, einen Unhold, der im Sumpfe wohnte; allnächtlich, wenn der Edlinge Schar sorglos schlummerte, brach er in die Halle, und fing und mordete Hrodgars Helden. Kein Eisen verwundete ihn, zwölf Jahre dauerte die Feindschaft, der herrliche Bau stand verödet, niemand wußte das Unheil zu wenden. Da hörte Hygelaks Degen daheim Grendels Taten. Sein Schiff hieß er rüsten und mit fünfzehn Genossen suchte er das Land der Dänen. Mit Ehren empfing ihn Hrodgar, als einen nahen Verwandten; wohl waren ihm seine Taten kund, doch sorgten alle um den Degen, da er nicht von seinem Willen ließ und am Abend allein mit seinen Genossen in der Halle blieb, des Unholds wartend. Da stieg Grendel aus dem Sumpfe herauf und der Riesensohn kam daher gegangen, rannte gegen die Tür und riß sie mit den Fäusten auf, obgleich sie wohl verriegelt war. Aus den Augen schoß ihm das helle Feuer. Da sah er in der Halle schlafen der Helden Menge. In grimmer Hast ergriff er einen, schliß ihn auf, zerbiß die Gebeine, trank das Blut aus den Adern und verschlang ihn. Doch einer wachte; und als jener weiter schritt und nach dem Helden die Hand ausstreckte,[271] da fühlte er gleich, daß er noch keinen Mann auf dem Erdringe fand von härterem Griffe. Beowulf hatte, auf den Arm sich stützend, behende an der Faust den Feind gefaßt, nun erhub er sich. Furcht ergriff den Bösewicht, er wollte entfliehen, aber konnte nicht; es dröhnte die Halle unter den Tritten der Kämpfer und drohte in Trümmer zu fallen, manch goldgeschmückte Bank ward zertreten. Grendel erhub ein grausiges Wehgeschrei, Schrecken befiel die Burgbewohner. Der Held hielt ihn fest in Todes Haft. Da sprangen dem Unhold die Sehnen an der Achsel und die Gelenke barsten, Grendel floh zum Tode wund, aber Beowulf behielt zum Siegeszeichen Arm und Achsel. Die Nägel an den Fingern waren starr und hart wie Stahl. – Da ward ein hohes Fest mit Freuden wieder in der Halle begangen, unter Sang und Klang, beim Mahle und frohem Trinkgelage ging der Tag dahin. Beowulf und jedem, der mit ihm kam, reichte der König zum Lohne viele edle Geschenke und Kleinode. Am Abend legten sich die Helden in großer Zahl, wie sie früher oft getan, schlafen auf die Polster der Bänke, Schilde, Helm und Panzer zu Häupten. Keiner gedachte weiteres Unheils.

Doch Grendels Mutter, ein entsetzliches Weib, gedachte ihres Leides und der Rache für den Sohn. Sie kam zu dem Saale, wo die Helden schliefen. Alles fuhr auf, als sie herein schlich, manches Schwert ward gezückt; da wollte sie fliehen, doch einen der Edelinge ergriff sie noch, den liebsten Mann des Königs, und schleppte ihn mit sich zum Sumpfe. Von neuem erfüllte Klage und Wehruf die Burg und die Sorge war erneut. Hrodgar hieß Beowulf kommen in seine Wohnung und trauernd sprach er zu ihm: »Alle Hoffnung, Held, steht auf dir; obwohl du die Gegend, wo der Wicht haust, nicht kennst, so suche ihn doch, wenn du Mut hast, und rette uns.« Beowulf antwortete: »Sei nicht in Kummer; auf! suchen wir Grendels Verwandten, ich verspreche dir, entkommen soll er nicht weder unter die Erde, noch in den Wald, noch in das Meer.« Da stieg der greise König zu Roß und weit durch den Wald zog die Männerschaar an den Vorgebirgen hin auf schmalen Pfaden, bis sie zwischen grausigen Föhren das trübe Gewässer fanden. Da lag des in der Nacht gemordeten Helden Kopfpanzer auf einer Klippe, das Gewässer war voll Blut. Beowulf gürtete sich, um in die Tiefe zu tauchen, sein Panzer sollte ihn schützen und der blanke Helm mit dem Eberbilde. Ein Freund unter Hrodgars Leuten reichte ihm einen Dolch mit giftigen Zeichen und in Blut gehärtet, eine Waffe, die noch niemals versagt hatte. Darauf stürzte er sich in die Tiefe des Wassers, es währte lange, ehe er den Grund erreichte. Da merkte die Unholdin sein Nahen, und schoß auf ihn zu, ergriff ihn und schleppte ihn in ihre Wohnung. Das war ein Gewölbe, um und um dicht verschlossen, Wasser konnte nicht herein und ein Feuer gab Helle. Da gab der Held dem Meerweib einen Schlag, aber des Stahles Schneide biß nicht. Zornig und ohne den Mut zu verlieren, warf er die Waffe von sich und packte nun Grendels Mutter an der[272] Achsel und beugte sie zur Erde; doch schnell bezahlte ihn das Weib und vergalt ihm, daß er hinfiel. Da setzte sie sich über den Helden, griff nach ihrem breiten Messer, und es wäre um ihn geschehen, wenn ihn nicht seine Brünne am Halse geschützt hätte und der siegverleihende Gott. Wieder auf sprang er und erblickte in der Höhle an der Wand ein altes Schwert der Vorzeit, ein Werk der Riesen. Das ergriff er, und hieb nach ihrem Halse; es faßte und drang durch Mark und Bein, daß sie tot zu Boden fiel. Die Helden, die am Ufer standen, sahen den Blutstrom aufsteigen und fürchteten, die Wölfin hätte den Helden umgebracht und sie würden ihn nimmer wiedersehen. Bis zum Nachmittag hatten sie gewartet; da wandte sich Hrodgar traurig heim mit seinen Leuten. – Es schmolz die Klinge des Schwertes, das Beowulf gebraucht hatte, von dem giftigen Blute ihm vor der Hand weg, wie Eis im Frühling. Nur den Griff behielt er und nahm von allen Kleinoden, die in der Höhle lagen, nichts weiter zu sich. Rasch tauchte er dann empor und schwamm ans Ufer; da gingen ihm seine lieben Genossen entgegen, die seiner angstvoll warteten. Sie freuten sich, ihn gesund zu sehen, und heimwärts zogen sie zur Halle, wo Hrodgar sie empfing. Am andern Morgen schieden sie vom Könige; der Greis weinte, da er von Beowulf Abschied nahm, und reich beschenkte er sie nochmals alle. So kehrten sie wieder in ihr Land, an Gaben reich und des Sieges froh.

Von nun an diente Beowulf wieder bei Hygelak, seinem Könige. Doch als dieser starb und der Sohn erschlagen ward, kam das große Königreich zu seinen Händen und er regierte es fünfzig Jahre. Da kam ein Drache und verwüstete das Land weit und breit. Dreihundert Jahre hatte er in einer Höhle gewohnt und seine Schätze bewacht; da erzürnte ihn ein Mann, der den Schatz entdeckte und einen Goldbecher ihm entwandte. Feuerflammen speiend brach er in jeder Nacht hervor und durch die Luft fliegend verbrannte er die Herrenhäuser und die Saaten auf den Feldern. Nichts Lebendiges mochte sich bergen vor dem Untier. Da kam Beowulf die Kunde, sein eignes Königshaus ginge in Feuer auf. Der greise König erhub sich, ihn reute seines Landes Unglück, einen Eisenschild nahm er sich zu decken, er war entschlossen, den Wurm in seiner Höhle zu suchen; sein Gesinde folgte ihm. Ein Feuerstrom brach aus dem Berge, als er über das Steingeklüfte hinabschritt; das Ungetüm schnob und fuhr heraus, den Helden schützte der Schild weniger, als er gehofft hatte; sein Schwert auch hielt nicht aus im Kampfe. Der König ging dem Tode entgegen; die Genossen flohen bis auf einen, den jungen Wiglaf, Wihstans Sohn; vergeblich ermahnte er sie. Dann drang er durch den Qualm und trat seinem Herrn zur Seite; da kam der Wurm zum zweiten Male wütend hervor, Wiglafs Schild verbrannte, und Beowulfs Schwert zerbrach bei dem neuen Hiebe auf des Wurmes Haupt. Da packte der Held den Drachen, als er zum dritten Male herausfuhr, beim Halse mit hartem Griffe, und Wiglaf hieb ihn mit dem Schwerte, bis das Feuer nachließ.[273] Da zog Beowulf sein Messer, das er über der Brünne trug, und schnitt den Wurm mitten entzwei. So fällten die beiden Edlinge den Feind und der König konnte sich noch des Sieges freuen. Aber bald begannen seine Wunden zu brennen und zu schwellen, das Gift wütete in seinem Innern. Wiglaf führte ihn auf einen Stein und labte ihn mit Wasser; doch Beowulf fühlte wohl, daß die Zahl seiner Tage abgelaufen war und er nun zu Ende getragen hätte die Frist seiner Erdenwonnen. »Fünfzig Jahre war ich König des Volkes«, sprach er, »ich achtete auf das Schickliche, regierte das Meine wohl, pflog nie tückische Bosheit, noch schwur ich Eide mit Unrecht. Froh kann ich meine Todeswunde beschauen. Aber eile, teurer Wiglaf, in den grauen Fels und hole den Schatz und die Kleinode, die der Drache besaß, daß ich nach dem Anblick des Reichtums mit Freuden sterbe.« Wiglaf gehorchte seinem verwundeten Herrn. Da lagen in der Höhle zu Haufen die wundervollsten Werke, Krüge und Schüsseln, Waffen und Zierate in Menge. Mit solchen Kleinoden eilte er zurück; da fand er, überströmt von Blut, ohne Bewußtsein den König liegen. Wieder besprengte er ihn mit Wasser, bis er zu sich kam und sprach: »Für alle Kleinode, die ich schaue, sage ich dem Herrn Dank, dem ewigen Fürsten. Solcher Reichtum wird nach meinem Tode meinem Stamme in der Not förderlich sein. Ich muß von hinnen. Laßt mir auf dem Vorgebirge den Leichenhügel errichten nach dem Brande, einen hohen Hügel, den die Seefahrer, über der Fluten Dunkel fernhintreibend, Beowulfs Hügel nennen werden.« Von dem Halse nahm er einen Goldring und reichte ihn Wiglaf: »Du bist der letzte meines Geschlechts, alle meine Verwandten, die edlen, sind dahingerafft; ich folge ihnen nach.« Dies war das letzte Wort des Greisen. Wiglaf saß in Trauer lange bei der Leiche, dann wusch er sie mit Wasser und sandte hinauf in die Burg nach den Edelsten des Landes, daß sie den Helden bestatten hülfen. Einen Scheiterhaufen schichteten sie, einen großen, helmbehangenen; darauf legten sie den teuern Herrn und begannen das größte Leichenfeuer anzuzünden. Dann bauten sie an dem Orte den Hügel, einen hohen und breiten, wie der Fürst es selbst gewünscht hatte. Dahinein taten sie der Ringe viele, edele Gesteine und aller Art Rüstzeug, wie sie es aus dem Schatze genommen hatten; da liegt es nun noch unnütz wie sonst. Dann ritten um den Leichenhügel zwölf der Edelinge und sangen zu seinem Preise, sie rühmten des Helden Taten, sagten, daß er von allen Königen der Welt der freigebigste gewesen sei und freundlichste, dem Volke der mildeste und nach Edlem begierig.


Größtenteils nach H. Leos Auszug in seiner Schrift über das angelsächsische Heldengedicht Beowulf. Halle 1839.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 271-274.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagen, Märchen und Lieder
Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg
Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg
Plattdeutsche Legenden und Märchen: aus: Karl Müllenhoffs Sammlung (1845): Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg
Legenden und Märchen von Ostsee und Schlei: aus: Karl Müllenhoffs Sammlung (1845): Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg
Sagen, Maerchen und Lieder der Herzogtuemer Schleswig, Holstein und Lauenburg

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon