432. Die Teufelsbrücke.

[291] Von dem adeligen Gutsdorfe Groß-Zecher in Lauenburg erstreckt sich eine Landzunge wohl eine Viertelstunde lang in den Schaalsee hinein. An ihrem äußersten Ende liegt ein steiler Berg, bei dem finden sich gewaltige Felssteine, durch die er wie mit einer Mauer eingefaßt ist. Wenn das Wetter ruhig ist, so kann man am Boden des Sees wenige Schritte vom Strande eine noch größere Menge von Felsblöcken liegen sehen, die alle in einem Kreise herumgelegt sind; zwischen den größern Steinen ist jedesmal ein kleinerer hingestellt. Bei ganz niedrigem Wasser kann man auf dieser Steinmauer herumgehen. Diesen merkwürdigen Berg mit seinen Steinen nennt man nun seit undenklichen Zeiten die Teufelsbrücke; man erzählt davon folgende Geschichte.

Damals als das Christentum in diese Gegenden eindrang, lebte in Dargau ein heidnischer Fürst, der die Christen aufs heftigste verfolgte und mit Räubereien plagte. Aber oft war ihm bei seinen Streifereien der See im Wege, weil er durch ihn zu weiten Umwegen gezwungen ward, um den Pilgern und Reisenden, die nach den Kapellen von Klein-Zecher und Marienstede und nach dem Zarrentiner Kloster wallfahrteten, beizukommen. Er machte daher mit dem Teufel einen Bund, und sagte ihm Leib und Seele zu, wenn er ihm bis zum nächsten Hahnenschrei eine steinerne Brücke über den See bauen könnte. Sobald es nun Abend war, machte sich also der Teufel ans Werk. Einen großen ledernen Sack hatte er vor der Brust herabhangen, damit fuhr er jetzt auf dem Felde umher und steckte bald hier, bald dort einen ungeheuren Stein hinein. Hatte er den Sack voll, so sprang er mit einem Satz an das jenseitige Ufer, an den Berg, wo der Bau beginnen sollte, und stürzte da die Steine hinunter. Dann sprang er wieder zurück, um den Sack nochmals zu füllen. Schon wars um Mitternacht; aber gerade in dem Augenblicke, wie er wieder eine Ladung hinabschütten wollte, da krähte ein Hahn in dem nahen Seedorf. Wütend warf er die Steine ans Ufer, sprang in einem Satze[291] nach Seedorf hinüber, ergriff den Hahn und schmiß ihn gegen einen Steinblock, daß das Blut hierhin und dorthin spritzte. Man kann noch bis auf diesen Tag an einem Stein den dunkelroten Fleck sehen.


Aus Ratzeburg. Vgl. unten Nr. 476 f. Wolf, Niederl. Sagen Nr. 182. Kuhn, Märk. Sagen Nr. 196. 203. Grimm, Deutsche Sagen Nr. 185 f. 336.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 291-292.
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