449. Der Schatzgräber und die Unterirdischen.

[301] Ein Bauer war so gewaltig aufs Schatzgraben versessen, daß er fast für nichts andres Gedanken mehr hatte. Da entdeckte ein Nachbar, der einmal mit ihm Streit gehabt und dabei den Kürzern gezogen hatte, zufällig eine Höhle der Unnererschen und er wollte sich nun durch diese an dem Schatzgräber rächen. »Höre«, sagte er den andern Tag zu ihm, »ich will dir nur sagen, daß ich längst die Stelle gewußt habe, wo der Schatz liegt; aber ich habe nicht den Mut. Gehe du hin und hebe ihn; so wollen wir ihn teilen.« Der andre nahm das bereitwillig an, der Nachbar beschrieb[301] ihm genau die Stelle; da müsse er vor dem Loche stehen bleiben, ganz mausestill, bis sich etwas rege, dann aber mit dem Spaten darauf losstoßen; denn das sei der Drache, der den Schatz hüte.

Der Bauer tat, wie ihm gesagt war; er begab sich zur gehörigen Zeit an die Stelle, und als er ein Rascheln merkte, stieß er darauf los. Da erscholl ein feiner heller Schrei und im Augenblick war er von den Unnererschen umzingelt, von denen er eins mit seinem Spaten tötlich verwundet hatte. Zwei von ihnen trugen den Verwundeten hinweg, die übrigen aber fielen über den unglücklichen Schatzgräber her, kletterten an ihm hinauf, hackten und kratzten ihm Nase und Augen aus, und bissen ihm die Ohren ab. Der Bauer rief: »Alle guten Geister loben Gott den Herrn!« Aber die Kleinen riefen: »Wir loben ihn wohl mehr als du, du Mörder!« – Da fuhr zum Glück ein Prediger vorüber, der einem Sterbenden das Sakrament gereicht hatte. Er hörte den Hilferuf aus der Höhle und trat hinein, und wie er den Mann unter den Händen der Unterirdischen erblickte, hielt er das Heiligste in die Höhe und rief: So weichet diesem! Da waren die Unnererschen im Nu verschwunden. »Se gloften wol an Gott«, setzte der Mann hinzu, der dies erzählte, »aber se harrn doch keen Christendoom.« Dem Bauern aber ward es nie wieder wohl in dieser Gegend; seine Felder wurden ihm zertreten und Gänse und Lämmer starben auf dem Felde. Daher verließ er das Dorf und zog anderswo hin.


Volksbuch 1844, 94. Durch Storm aus Husum.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 301-302.
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