474. Die Salbe der Unterirdischen.

[316] Im Bügberg bei Felsted wohnten vor Zeiten Unterirdische; wo noch die Senkung an der Seite des Berges ist, da war der Eingang zu ihrer Wohnung. Sie raubten Kinder und schwangere Frauen. Einst ward die vorletzte Hebamme in Felsted von einem Unterirdischen zu Hilfe herbeigeholt. Als aber die Frau an den Eingang des Berges kam, weigerte sie sich weiter zu gehen, weil sie sich fürchtete. Aber der Unterirdische versprach ihr, daß ihr kein Leid geschehen sollte, sondern sie solle reichlich belohnt werden. Da entschloß sie sich, ging mit in den Berg und entband eine geraubte schwangere Frau eines Kindes. Nun erhielt sie von den Unterirdischen eine Salbe, um damit die Augen des neugebornen Kindes zu bestreichen; davon aber nahm die Frau selber unbemerkt ein wenig und bestrich ihr eignes eines Auge damit. Dann ward sie zum Berge hinausgeführt und erhielt eine Schürze voll Hobelspäne zur Belohnung, die sie sogleich, als sie hinauskam, wegwarf; ein Span aber, der am Kleide hangen blieb, war am andern Morgen zu purem Golde geworden. – Nun kam sie einmal nach längerer Zeit hinter vielen Leuten aus der Kirche; da ward sie den Unterirdischen gewahr, der sie in den Bügberg geholt, die andern sahen nichts von ihm, sie aber grüßte ihn. Sogleich trat er auf sie zu und fragte: »Wie siehst du mich?« Die Hebamme wollte es erst nicht sagen, dann aber gestand sie: »Ich habe mein Auge mit eurer Salbe bestrichen.« Da fuhr der Unterirdische auf sie los und stach ihr augenblicklich das Auge aus, mit dem sie so hell sehen konnte.


Durch Dr. Jessen in Flensburg; vgl. Grimm, Irische Elfenmärchen CV. – Thiele, Danm. Folkes. II, 202.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 316.
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