486. Gebhart.

[326] Ein Mädchen hatte eine böse Stiefmutter. Die quälte sie auf alle Weise, besonders mit Flachsspinnen. Denn immer trug sie ihr schon neue Arbeit zu, wenn sie mit der alten noch nicht zu Ende war; fast jeden Tag verdoppelte sie das Tagewerk, und weil das Mädchen einen Bräutigam hatte und gerne heiraten wollte, so sagte die Mutter: »Wenn du damit zum Abend fertig bist, so soll Hochzeit sein; eher kommst du aber nicht aus dem Hause.« Die böse Mutter hielt aber nie Wort, weil sie die fleißige Arbeiterin ungerne aus dem Hause lassen wollte und ihr dann auch ihr Vermögen hätte auskehren müssen. Zuletzt brachte sie ihr gar die halbe Stube voll Flachs; sagte aber, wenn sie das in drei Wochen abgesponnen hätte, solle sie ganz gewiß Ruhe haben. Das Mädchen sah, daß ihr das nimmer gelingen würde, wenn sie auch Nacht und Tag arbeitete; traurig ging sie hinaus und kam in einen Wald, wo sie sich niedersetzte, um sich einmal recht satt zu weinen. Als sie aber die Augen aufschlug, da stand da ein kleines Männchen in einem kurzen Rock vor ihr und fragte, was ihr fehle. Sie klagte ihm ihre große Not; da hüpfte das Männchen herum und sagte: »Wenn's weiter nichts ist, so kann ich dir[326] schon helfen! Aber du mußt drei Wochen lang meinen Namen behalten; ich heiße Gebhart; vergißt du den, so nehme ich dich mit und du mußt meine Frau werden.« Das Mädchen dachte, wie sollte ich nicht den Namen behalten? und nahm seinen Dienst mit Freuden an, führte ihn in ihre Kammer, er fing an zu spinnen und spann und spann, sie konnte ihm nur immer zuwerfen, und in einem Augenblick war alles aufgesponnen. Darauf verschwand der kleine Mann. Das Mädchen freute sich, daß sie nun frei sei, dachte an ihre Hochzeit und rüstete alles darauf zu; als aber die drei Wochen fast um waren, fiel ihr erst die Bedingung, die der kleine Mann gemacht hatte, wieder ein; da hatte sie den Namen vergessen und konnte sich gar nicht wieder darauf besinnen. Sie rechnete sich alle Namen vor, die ihr bekannt waren und im Lande gebraucht werden, sie sah im Kalender nach; aber nirgend fand sie den rechten, oder bald dachte sie, dieser sei der rechte, bald jener. Vergeblich suchte sie auch das Männchen im ganzen Walde; er war durchaus nirgend zu finden. Darüber ward sie ganz traurig. Ihr Bräutigam bemerkte das und am letzten Tage vor der Hochzeit mußte sie ihm alles erzählen. Da ging der Bräutigam noch den Abend in den Wald, um das Männchen zu suchen; lange irrte er umher und fand nichts; doch zuletzt traf er auf ein ganz kleines Häuschen, das er früher nie gesehen. Da stand auf dem Tisch, mitten in der Stube, wie er durchs Fenster sah, ein brennendes Licht und das kleine Männchen tanzte und sprang immer rund herum, klatschte in die Hände und sang dazu:


Morgen mußt du mit,

Morgen sind wir quitt!

Gebhart heiß ich, hopsasa!

Morgen bin ich wieder da.


Da lief der Bräutigam schnell zurück zu seiner Braut, erzählte ihr, was er gesehen und gehört, und als nun am Morgen das Männchen kam und fragte: »Wie heiß ich?« antwortete das Mädchen: »Gebhart heißt du«; da verschwand das Männchen, und weil die böse Mutter nun nichts mehr dawider haben konnte und ihr Wort halten mußte, so gaben Braut und Bräutigam Hochzeit und lebten noch lange glücklich.


Mündlich aus Marne in Dithmarschen.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 326-327.
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