498. Des kleinen Volkes Überfahrt.

[335] In den Hüttener Bergen wohnten vor Zeiten eine große Menge Unterirdische. In dem Kindelberg hat man sie besonders häufig gehört wie sie butterten, und im Pläterberg bei Wittensee, wie sie miteinander sprachen. Als aber die Glocken aufkamen, sind sie alle miteinander fortgezogen. Da zogen sie nach der Marsch zu und kamen in der Nacht an die Hohner Fähre und wollten sich übersetzen lassen. Sie weckten den Fährmann. Als aber der herauskam, sah er nichts, ging wieder ins Haus und wollte zu Bett. Da klopften sie noch einmal und zum dritten Male[335] an, und als der Fährmann nun wieder herauskam, sah er, wie es vor dem Hause grimmelte und wimmelte von lauter kleinen grauen Leuten. Da war da einer unter ihnen mit einem langen Bart, der sagte zum Fährmann, er sollte sie über die Eider setzen, sie könnten die Glocken und den Kirchengesang nicht länger vertragen und wollten anderswo hin. Der Fährmann machte die Fähre los und stellte seinen Hut, wie der mit dem Bart ihm sagte, ans Ufer. Und nun kamen sie alle in den Prahm herein, Männer und Weiber und Kinder, und zwar so viele, daß sie sich drängten und der Prahm zum Sinken voll ward. So ging es jedesmal, wenn der Fährmann wieder zurückkam, und er hatte die ganze Nacht nichts anders zu tun, als immer hin und her zu fahren, und immer war die Fähre gleich voll. Als er endlich die letzten hinübergebracht hatte, sah er, wie das ganze Feld auf der andern Seite von vielen Lichtern flimmerte, die immer durcheinander hüpften; da hatten sie alle kleine Laternen angesteckt. Am Ufer aber vor seinem Hause fand er seinen Hut ganz aufgehäuft voll von kleinen Goldpfenningen; denn jeder hatte beim Einsteigen einen hineingeworfen. Dadurch ward der Fährmann Zeit seines Lebens ein steinreicher Mann.

Auch von Klint aus bei Fockbek haben die Unterirdischen sich einmal über die Eider setzen lassen. Auch sind sie einmal irgendwo über die Treene gekommen. Aber niemand weiß, wo ihr Volk hingezogen ist.


Mündlich. Herr Schullehrer Boysen in Bistensee; Storm in Husum; Herr Koch in Schleswig.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 335-336.
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