502. Nu quam jem glad Niskepuks.

[339] In der Hattsteder Marsch, nahe einem Deiche, wohnte ein Bauer, ein Friese, mit Namen Harro Harrsen. Der Mann lebte in drückenden Umständen und mußte, wollte er Umschlag halten, jede noch so geringe Ausgabe ersparen. Aber sein altes Haus drohte ihm über dem Kopf zusammenzufallen, ungeachtet alles Stütz- und Flickwerks. Einige gute Freunde schossen ihm endlich Geld zum Bau her, aber nicht genug, um ganz neu zu bauen. Harro Harrsen mußte sich helfen. Alle nur einigermaßen brauchbaren Holzstücke sammelte er aus dem alten Hause und brachte sie in dem neuen an. Da fand er unter diesen einen guten Ständer aus Eichenholz; oben darin war ein Loch, worin früher ein Strebebalken gelegen hatte. Harro Harrsen war ein anschlägiger Kopf, er wußte zu allen Dingen Rat. Er dachte gleich, wie er die Vertiefung sah, daß sie gut zu einer Wohnung für einen kleinen Niskepuk wäre. Er nagelte also, nachdem das Haus fertig war, ein Brett so groß wie eine Mannshand darunter wie ein Bord, stellte eine Schale mit Grütze darauf, mit reichlich Butter darin, und rief nun freundlich: »Nu quam jem, glad Niskepuks!« (Nu kommt, liebe Niskepuks.) Sie ließen nicht lange auf sich warten. Bald kamen sie, um sich das neue Haus zu besehen, tanzten hindurch und einer, der nur[339] drei Zoll hoch war, blieb zurück und wählte sich die Ständerhöhle zur Wohnung. So wie Harro Harrsen die Anwesenheit des kleinen Gastes merkte, sorgte er dafür, daß immer Grütze in der Schale war, und steckte ein noch größeres Stück Butter hinein. Das tat er alle Tage. Von der Zeit an waren jedesmal, wenn er Morgens in den Stall kam, die Pferde gestriegelt, die Kühe geglättet, die Krippen gereinigt, Boos und Lucht ausgefegt und das Stroh zum Ausdreschen hingelegt. Das Vieh gedieh von Tage zu Tage, die Kühe gaben reichlicher Milch, und die Schafe warfen regelmäßig drei, vier Lämmer. So ward Harro Harrsen ein wohlhabender Mann und hieß in der ganzen Gemeinde nur der reiche Bauer. Deswegen pflegte er seinen kleinen Einlieger immer besser. Sein Knecht Hans war nicht weniger gut Freund mit diesem. Ging er spät Abends zu Türen aus (was man anderswo Fenstern nennt), so paßte Niskepuk auf die Stalltür. Öffnete sie ein andrer, erhielt er einen Schlag mit einem Knittel ins Gesicht; vor Hans aber öffnete und schloß sie sich von selbst. Hans fand auch fast jedesmal Morgens seine Früharbeiten getan, wenn er nach Hause kam, oder wenn er einmal die Zeit verschlief. Zuletzt verheiratete er sich mit Botel Oxen. Der neue Knecht, der in seine Stelle trat, stand sich aber nicht so gut mit dem Kleinen, er wollte es anfangs nicht glauben, was man von ihm erzählte, nachher neckte er ihn oft. Als daher Harro Harrsen starb und seine Söhne in andern Kirchspielen sich angesiedelt hatten, soll Niskepuk zu Hans gezogen sein; dieser ward bei seiner Küsterei und Krugwirtschaft in Schobüll ein wohlhabender Mann. Thede Boje Thießen aber, der andere Knecht, brachte es in seinem ganzen Leben nicht weiter als zu einem Purrenfänger und kam zuletzt auf die Armenkasse.


Durch Herrn Martin Harding in Herstum in der Hattsteder Marsch.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 339-340.
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