1.

[345] In dem uralten und aus einem herzoglich schlesischen Stamme entsprossenen Hause von Ranzau hat sich's zugetragen, daß dero Großfraumutter einsmals in der Nacht an der Seite ihres Eheherrn durch ein kleines Männlein, so eine Laterne getragen, aufgeweckt worden, welche sodann von ersagtem Männlein, das sie zu folgen ermahnt, aus ihrem Schlosse, dessen Tür und Tore sich geöffnet, in einen hohlen Berg zu einem in Kindesnöten liegenden Weiblein gebracht worden. Nachdem hochermelte Frau von Ranzau diesem Weiblein auf dessen heftiges Begehren die Hand aufs Haupt gelegt, ist sie alsobald genesen. Hierauf hat die in großen Furchten stehende Dame alsodald wieder zurück geeilet und ist von ermeltem ihrem kleinen Reisegefährten auch von Stund an wieder nach den Ihrigen begleitet worden. Beim Abscheiden aber hat sie von diesem Männlein ein ansehnlich Stück Goldes zum Rekompens empfangen, woraus sie auf dessen Angeben fünfzig Rechenpfenninge, einen Hering und zwo Spindeln vor ihre Töchter hat verfertigen lassen. Sie hat auch diese Vermahnung dabei erhalten, daß ihre Nachkömmlinge solche Stücke wohl verwahren müßten, dafern sie aus wohlhabenden nicht mit der Zeit dürftige Leute werden wollten. Hergegen so lange sie nichts davon verlieren würden, sollten sie an Ehre und gutem Namen täglich zunehmen. Mich bedünket[345] von dem, der mir diese seltsame Geschichte erzählet, zugleich auch vernommen zu haben, daß entweder der Hering oder einer, wo nicht mehr, von den güldenen Rechenpfennigen von diesen Schätzen abgekommen sind.


Happel Relat. curios. I, 236. Hamburg 1683. 4, etwas unvollständiger, sonst übereinstimmend mit Seyfried in Medulla p. 481, in Grimms Deutsch. Sag. Nr. 41, wo richtiger die Kleinode unter zwei Söhne und eine Tochter verteilt werden. Westphalen IV, praef. 219. – Nach einer mündlichen Überlieferung bei Thiele, Danm. Folkes. I, 133 fährt das Männlein die Gräfin in den Keller des Schlosses Breitenburg; sie erhält eine goldene Spindel für ihre Tochter und einen goldenen Säbel für ihren Sohn. Nach einer Anführung ebendas. aus Miscell. Rostgaard. Mss. bestehen die Gaben aus einem Tischtuch, einer Spule und Gold, woraus eine Kette und Münzen verfertigt werden. Frau Sophia Ranzau auf Seeholm habe dies von ihres Großvaters Heinrich Ranzaus Frau erzählt. – Die Sage von der Frau von Hahn, die nach Grimm, Deutsche Sagen Nr. 69 von einem Wassernix geholt wird, stimmt, wie sie mir einst auf Neuhaus am Selenter See erzählt ward, mit der ranzauischen. Die Gräfin wird in den Keller des Hauses geholt, erhält Hobelspäne zum Geschenk, die sich in Gold verwandeln; ein großer Becher wird auf Neuhaus noch gezeigt, die andern dar aus verfertigten Sachen sind abhanden gekommen. Das Geschlecht ist bekanntlich ein mecklenburgisches.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 345-346.
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