543. Die goldnen Wiegen.

[370] An gar vielen Orten unseres Landes wissen die Leute davon zu erzählen, wo eine goldne Wiege verborgen liegt. Am Oldenburger Wall auf der Puttloser Heide, in einem kleinen Gebüsch, dicht bei Friederikenhof, lagen sie, liegt außer einer goldnen Wiege auch noch ein goldnes Kleid, fünftausend Taler an Wert, und andere Kostbarkeiten. Da geht auch eine verwünschte Prinzessin umher. Bei Tönningstede, im Kirchspiel Leezen bei Segeberg, steckt eine goldne Wiege in einem Hügel. Man hat sie schon einmal herausgegraben und versucht, sie ins Dorf zu bringen. Aber gleich standen die Pferde still und der Wagen war nicht von der Stelle zu bringen. Als man aber darauf die Wiege wieder ablud, hat sie sich selbst sogleich an ihren alten Ort begeben und ihre alte Stätte wieder eingenommen.

Auf der Feldmark des Dorfes Bohnert, am südlichen Ufer der Schlei, hat eine Königsburg gelegen. Da hat man zu Zeiten auf dem Burgplatz eine goldne Wiege gesehen. Einem Dienstjungen in Missunde träumte einmal, daß er in Bohnert diene und Abends hingesandt, die Pferde zu holen, die goldne Wiege zu sehen bekomme. Er kam später wirklich bei dem Bauern in Bohnert in Dienst, dem die Ländereien, worauf die Königsburg liegt, zugehörten. Eines Abends ging er mit diesem aus, um die Pferde zu holen. Der Bauer befahl ihm, unten an der Schlei entlang zu gehen und die Pferde weiter hinauf zu treiben. Als der Junge nun an den Burgplatz kam, erblickte er zu seiner Verwunderung in der Mitte desselben die goldene Wiege, so blank und glänzend, daß es ihn blendete. Wäre er nun stillschweigend darauf zugegangen und hätte sein Messer darauf geworfen, wäre sie sein gewesen. Aber er lief zu seinem Herrn zurück und erzählte ihm, was er gesehen habe, und als sie nun wieder auf den Burgplatz kamen, war die Wiege verschwunden.


Mündlich und durch Herrn Premierl. Timm in Plön. – Grimm, Deutsche Sagen Nr. 212. Wolf, Niederl. Sagen S. 298. Harrys, Sagen Niedersachsens I Nr. 7.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 370-371.
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