1.

[381] Nachdem König Abel, der Mörder seines Bruders Erich, von den Friesen am Milderdamm erschlagen war, ward seine Leiche nach Schleswig gebracht und dort im Dome zu St. Peter beigesetzt. Aber gleich in der nächsten Nacht erhob sich ein solcher Lärm mit Gekrach und Geknirsch in der Kirche, daß es den erschreckten Stiftsherren nicht möglich war, ihre Psalmen und gebräuchlichen nächtlichen Gebete abzusingen und herzusagen, indem eine greuliche Erscheinung sie störte und ängstigte. Als das sich nun so mehrere Male wiederholte und es der verwitweten Königin hinterbracht war, ward beschlossen, den Leichnam des Königs herauszunehmen, ihn zur Kirche hinauszuschaffen und an einem andern Orte zu begraben. Die Leiche ward nun in einen Sumpf des Pölerwaldes, der nahe bei Gottorp liegt, eingesenkt, nachdem ein Pfahl durch den Sarg geschlagen war1. Dieser Ort wird bis auf den heutigen Tag gezeigt und heißt allgemein das Königsgrab. Von jenem Tage an, versichern die Alten, hätten die Erscheinungen und Gespenster und das Lärmen in der Kirche aufgehört. Aber an dem Orte, wo der König jetzt begraben ist, und den nahe gelegenen läßt sich seit der Zeit, früher und noch in unsern Tagen, ein entsetzliches Getöse hören. Das wissen alle Leute, denn oft sind welche, die Nachts des Weges kamen, erschreckt und dadurch in Todesängsten gebracht. Glaubwürdige Männer berichten und versichern, daß gar oft dort die Stimme eines Jägers und sein Hornblasen vernommen werde, und zwar so deutlich, daß mancher sagen würde, es jage da jemand, und das ist oft von den Wachen auf Gottorp bei Nacht beobachtet worden. Aber auch, daß Abel selbst in unsern Tagen sich gezeigt habe und gesehen sei, sagen die Leute allgemein: er ist im Gesicht und am ganzen Körper kohlschwarz, er reitet auf einem kleinen Pferde und wird begleitet von den drei Jagdhunden, die man oft in feuriger Gestalt glühen gesehen hat.


Broder Boisen Chronic. Slesv. bei Mencken, Script. rer. Germ. III, 597. Daraus Cypraeus Annales episcopor. Slesvic. p. 266 sq., aus dem die übrigen schöpften, die Thiele, Danm. Folkes. I, S. 124 anführt. Bei Thiele ist noch eine mit Nr. 242 stimmende[381] Sage angehängt. – Das Volksbuch 1844, S. 84, teilt die Sage mit, wie die »gebildeten« Schleswiger sie zu erzählen pflegen. Da soll Abel um den Dom herumziehen, um den Möwenberg, bis nach Missunde zur Stätte des Brudermordes. Da soll er sogar, nach einer Mitteilung, im blutigen Sande kratzen etc. etc. Das ist alles poetische Ausschmückung: die lebendige Volkssage kannte schon im vorigen Jahrhundert den Abel nicht mehr als Brudermörder. S. die folg. Nr.

Fußnoten

1 Vgl. Nr. 305, 2.


Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 381-382.
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