36. Die Wogenmänner.

[35] (1370.)


Die Wogenmänner hatten sich an der Westerhever eine große Burg gebaut, die hieß die Wogenmannsburg. Sie hatten kleine und große Schiffe und raubten damit binnen und außer Landes, und hatten die ganze Westerhever wüste gemacht. Das Gut führten sie alles auf die Burg und nahmen die schönsten Mädchen mit Gewalt mit hinauf und behielten sie da und gaben sie ihren Knechten. So hatten sie schon vierzehn ehrliche Bauerntöchter genommen und das ganze Land betrübte sich sehr darüber. Da versammelte der Staller Owe Hering aus den Landen Ewerschop und Utholm das Volk am Margarethen-Tage und zogen zu Schiffe und zu Fuß vor die Burg. Eine Jungfrau, die sie zuletzt hinaufgeholt hatten, hatte sich mit so schlauen Worten verteidigt, daß sie noch Jungfrau geblieben war; denn sie hielt sich so tapfer, als ob sie im Harnisch von der Burg stürmen wollte. Als nun die Lande mächtig und kühn davor zogen und stürmten, und die auf der Burg in großer Wehre stunden, schlich sie zu der Brücke, und ehe sie davon wußten, ließ sie die Brücke fallen und sprang damit hinunter und hielt sie also lange mit wehrender Hand, daß die Lande hinaufdrängeten und die Burg gewannen, was sonst ihnen nimmer gelungen wäre. Da hielt der Staller Owe Hering ein Ding vor der Brücke mit den zween Landen und der zween Lande Ratleuten über alles Volk, das man in der Burg gefangen hatte. Und es geschah ihnen, wie nach dem Rechte Räubern und Jungfrauenschändern geschieht. Alle Frauen und alles Gut, das auf der Burg war, nahmen sie und zerstörten dieselbige. Etliche Frauen versenkten sie ins Wasser; allem Mannsvolk aber schlug man die Köpfe ab und warf die Leichen in die See; es waren ihrer sechzig, ohne ihre Frauen. Die Frauen aber, die sie geraubt hatten, standen dabei, und sahen wie ihr Leid gerochen ward.

Aus den Baumaterialien der Burg erbaute man die Kirche und das Pastorat zu Westerhever, die jetzt auf dem Burgplatze stehen.


Nach Chronicon Eidorastad. im Staatsbürgerl. Magazin 9, 701. Heimreich ed. Falck I, 177. Peter Saxe bei Westphalen I, 1367.[35]

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 35-36.
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