42. Wesebye.

[42] In Wesebye an der Schlei stand vor vielen Jahren eine große feste Burg, wo ein Fürst mit Namen Weser seinen Sitz hatte. Er trieb von da aus nach allen Seiten hin zu Wasser und zu Lande Räuberei und plagte die Umgegend aufs unbarmherzigste. Seine sanfte Schwester machte ihm oft darüber Vorstellungen und warnte ihn. Es kam denn auch bald so weit, daß die Ritter aus der Nähe und ihre Leute sich vereinigten und seine Burg überfallen wollten, als Weser gerade auf einem Raubzuge auf der Schlei abwesend war. Doch bekam er Nachricht; als er aber zurückeilen wollte, ward er, da er eben ans Land stieg, überfallen und gefangengenommen. Man stellte ihm die Bedingung, daß er am Leben bleiben sollte, wenn er seine Burg übergäbe. Da es keinen andern Ausweg für ihn gab, mußte er sich schon dazu verstehen. Allein seine treuen Leute auf der Burg hatten sich unterdes gerüstet und wollten nichts von einer Übergabe wissen, sondern beschlossen, das Äußerste zu wagen, brachen in Haufen heraus und fielen über die Feinde her, bis es ihnen gelang, ihren Herrn zu befreien. Die Burg war stark befestigt und mit allem wohl versehen; darum hätte sich die Belagerung nun sehr in die Länge gezogen, wenn es nicht den Feinden gelungen wäre, bei einem starken Winde sie in Brand zu stecken. An ein Löschen war bald nicht mehr zu denken; da beschloß Weser, lieber einen ruhmvollen Untergang als eine schmachvolle[42] Gefangenschaft zu wählen. Mit seiner Schwester trat er auf einen Turm des Schlosses und stürzte vor den Augen der Feinde sich mit ihr in die Flammen. Das Schloß brannte bis auf den Grund nieder. Aus den Trümmern wurden später einige Hütten da gebaut und so entstand das Fischerdorf Wesebye.


Durch Herrn Schullehrer Nissen in Böklund.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 42-43.
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