8. Graf Rudolf auf der Bökelnborg.

[11] (1145.)


Auf der Bökelnborg saß ein Graf Rudolf und hielt die Dithmarschen alle in so schwerer Dienstbarkeit, daß die Bauern zum Zeichen derselben am Halse einen Klawen (Joch) tragen mußten, mit dem sonst das Vieh im Stalle angebunden steht. Sie mußten den Schimpf dulden. Des Grafen Frau aber, die Walburg hieß, hatte ihn zu seiner ganzen Härte angestiftet. Sie trieb ihn auch dazu, daß er noch eine große ungewöhnliche Schatzung in einem Jahre auflegte, in dem erst der Winter so hart war und die Kälte so grimmig, daß die Vögel in der Luft erfroren und herunterfielen und darauf Teurung und Hungersnot folgten, daß Menschen und Vieh bei großer Anzahl starben. Da hielten die Bauern bei dem Grafen an, daß er ihnen das Korn erließe. Er sah wohl ein, daß doch wenig oder gar nichts einkommen könnte, und erließ ihnen also die Schatzung, doch unter der Bedingung, im folgenden Jahre sie doppelt zu entrichten.

Zu der Zeit wohnte zwischen Schaafstede und Eckstede auf Heine Viert ein reicher Bauer, ein vornehmer Mann. Den bat der Graf im folgenden Jahre einmal bei sich zu Gaste und traktierte ihn stattlich; während des Schmauses ließ er viel Musik machen. Nach einer Zeit lud ihn der Bauer dafür wieder ein und stellte ein großes Gastgebot an. Wie noch heutzutage geschieht bei großen Hochzeiten und Bieren, waren Säcke voll Korn dahin gestellt und Bretter darüber gelegt: darauf saßen die Gäste. Anstatt des Saitenspiels und der Musik aber ließ der Bauer erst alle seine Schweine heraus, dann die Schafe, dann das Jungvieh, darauf die Kühe, und endlich die Pferde, alle nacheinander. Die trieben mit Springen und Laufen ihre Kurzweil und machten keinen geringen Lärm. – Als die Frau des Grafen aber all den Reichtum sah, da schürete sie ihn an, daß er die Pacht nun ernstlich fordere. Darum hielt er auch die Bauern nun mit Gewalt dazu, daß sie beide des vorigen Jahres nachständige und dieses Jahrs fällige Pflicht eines mit dem andern aufbrächten. Die aber wurden ungeduldig und dachten auf Gelegenheit und Mittel, wie sie ihr Joch ablegen und ihre alte Freiheit wieder erlangen könnten. Solches ist ihnen gelungen auf diese Weise.

Als sie am St. Martinsabend das Korn auf die Burg bringen sollten, schickten sie erst einige Wagen mit vollen Säcken voran. Auf dem allerersten aber setzte sich ein Bauer mit seiner schönen Tochter, um die der Bökelnborger Herr gebuhlt hatte. Auf den übrigen Wagen verbargen sich starke Männer in und unter die Säcke, und nebenher gingen nicht weniger starke, als wenn sie das Korn abladen wollten. So fuhren sie[11] eilends hintereinander her; bald war der Burgraum voll und etliche hielten, wie verabredet war, unter dem Tor, damit dieses nicht gesperrt würde. Als nun die vorderen Wagen abgeladen werden und der Graf sich keines Arges vermutet, erscholl von hinten her das Losewort:


Röret de Hände,

Snidet de Sacksbände.


Da schnitten sich die Verborgenen heraus, die Wagenführer und die Sackträger rotteten sich mit ihnen zusammen und mit ihren langen Messern bewaffnet fielen sie über die Leute in der Burg her und ermordeten alle. Die Gräfin aber ergriffen sie und schnitten ihre Brüste, Nase und Ohren ab und warfen sie so in das fließende Wasser, das bis auf den heutigen Tag nach ihr die Wolbersaue heißt. Doch einige meinen, sie sei, als sie die Gefahr bemerkt und sich nichts Gutes vermutet habe, aus dem Fenster des Schlosses hineingesprungen. Den Grafen aber suchte man überall vergebens. Als man nun das Schloß schleifte und zerstörte und schon der dritte Tag da war, da bemerkte man, daß die Elster, die der Graf gezähmt und zur Kurzweil immer bei sich gehabt hatte, vor einem verborgenen Gange saß und immer seinen Namen rief. Da zog man ihn hervor, erstach ihn und riß vollends alles nieder, daß weiter keine Spur nachgeblieben ist, als der große Ringwall, der heutzutage den Burger Kirchhof einfaßt.

Von der Geest führt ein Weg nach Eddelack, den man den Hansweg nennt, weil man früher zu sagen pflegte, wenn die Grafen plündernd und raubend von der Bökelnburg in die Marsch zogen und des Weges kamen: Da kummt de Graaf mit all sinen Hansen! was soviel als Gefährte bedeuten soll.


Neocorus I S. 321. Presbyter Bremens. bei Westphalen III, 38. – Mündlich. – Viethen, Beschreibung von Dithmarschen, S. 243, nennt (wahrscheinlich nach seinem Hans Detleff, der mit Peter Mohrs stimmt) den vornehmen Mann auf Heineviert Maes Claus Maes, aus dem Vogdemannen Geschlecht, und den Mörder des Grafen Edemans Jürgens. Als Variante des Reims gibt er: »Nu, nu, met Saken to, de Borg ist gewonnen.«

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 11-12.
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