82. Die halbgefüllte Flasche.

[74] Als die Schweden einmal hier im Lande waren und die unsrigen gerade eine Schlacht gewonnen hatten, bekam ein gemeiner Soldat einen[74] Wachtposten auf dem Schlachtfelde. Mit Mühe hatte er für seinen brennenden Durst nur eine Flasche Bier erhalten. Eben als er sie an seinen Mund setzt, hörte er neben sich die Stimme eines Schweden, dem beide Beine abgeschossen waren, und der ihn flehentlich um einen Labetrunk bat. Mitleidig ging der Soldat zu ihm und beugte sich über den Verwundeten, um ihm die Flasche zu reichen. Aber der tückische Schwede ergriff sein Pistol und feuerte es auf seinen Wohltäter ab, in der Hoffnung, sich noch zu rächen und zugleich in den Besitz der ganzen Flasche zu kommen; doch glücklicher Weise ging der Schuß fehl. Ruhig griff der Soldat nach seiner Flasche, trank sie halb aus und reichte sie dann dem Sterbenden: »Da, du Schlingel! nun kriegst Du sie nur halb!«

Als der König dies erfuhr, ließ er den Soldaten kommen und gab ihm ein Wappen, darin eine halbgefüllte Flasche stand. Des Soldaten Urenkel wohnen noch in Flensburg und führen denn noch heute dieses Zeichen.


Mitgeteilt aus Flensburg; vgl. Thiele I, 114.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 74-75.
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