594. Vom goldenen Klingelklangel.

[403] Ein König hatte drei Töchter. Als er nun einmal verreisen wollte, fragte er sie, was er ihnen denn mitbringen sollte. Da sagte die älteste Tochter, ein goldenes Spinnrad, die zweite wollte eine goldene Haspel haben, die jüngste Tochter aber bat um einen goldenen Klingelklangel. Als nun der König wieder nach Hause wollte und das goldene Spinnrad und die goldene Haspel hatte, da ward er sehr traurig, denn er wußte nicht, wie er den goldenen Klingelklangel bekommen sollte. Wie er nun so da saß und sehr weinte, kam ein alter Mann zu ihm und fragte: »Warum weinst du?« »Ach«, sagte der König, »ich weiß nicht, wo ich den goldenen Klingelklangel bekommen kann.« Da sagte der alte Mann: »Die goldenen Klingelklangel sind auf einem großen, hohen Waldbaum und ein großer Bär bewacht sie; aber wenn du dem Bären etwas versprichst, so gibt er dir einen.« Da ging nun der König in den Wald und suchte den großen Waldbaum, und wie er ihn fand und auch den großen Bären darunter antraf, so bat er ihn um einen goldenen Klingelklangel. Der Bär sagte: »Willst du mir das geben, was mir zuerst auf deinem Schlosse entgegenkommt, dann sollst du einen goldenen Klingelklangel haben.« Der König sagte ihm das zu, und der Bär versprach am andern Morgen aufs Schloß zu kommen und den goldenen Klingelklangel zu bringen. Als aber der Bär am andern Morgen kam, da begegnete ihm zuerst die jüngste Königstochter, die den goldenen Klingelklangel haben wollte. Der Bär wollte sie gleich mitnehmen, aber der König ward sehr betrübt und sagte: »Geh nur fort, sie soll gleich nachkommen!« Nun wollte der König aber dem Bären seine Tochter nicht geben, sondern er ließ ein anderes Mädchen ganz schmuck machen und schön anziehen, das war die Tochter von dem Schafhirten, und schickte die nach dem Bären. Als sie bei dem Bären ankam, da sagte der: »Geh auf den Baum!« und als das Mädchen hinaufgeklettert war, so sagte er: »Komm herunter und lause mich!« Der alte Bär meinte, daß es die jüngste Königstochter sei. Als die Dirne ihn nun lauste, fragte er: »Was tun dein Vater und Mutter wohl, wenn sie zu Hause sind?« »Sie hüten die Schafe und scheren sie«, antwortete das Mädchen. Da ward der große Bär schrecklich böse und sagte: »Du bist die rechte nicht! Setz dich auf meinen rauhen Schwanz, Hulteripulter durchs ganze Land!« Und so brachte er sie wieder hin. Dem König ward sehr bange, aber er sagte zum Bären: »Wart nur ein bißchen, meine Tochter soll gleich kommen!« Darauf ließ er des Schweinhirten Tochter ganz schön anziehen und schmuck machen und gab sie dem Bären mit. Als sie nun bei dem großen Waldbaum ankamen, sagte der Bär: »Geh auf den Baum!« und als das Mädchen oben war, sagte er: »Komm herunter und lause mich!« Dann fragte er wieder: »Was tun dein Vater und Mutter wohl, wenn sie zu Hause sind?« Die Dirne dachte nicht daran und sagte: »Sie treiben Schweine in den Stall[404] und füttern sie.« Da ward der Bär wieder böse und noch viel ärger als das erstemal und sagte: »Du bist die rechte nicht! Setz dich auf meinen rauhen Schwanz, Hulteripulter durchs ganze Land!« und so brachte er sie wieder hin. Nun mußte aber die arme Königstochter mit. Als sie darauf bei dem Baume angelangt waren, sagte der Bär wieder: »Steig auf den Baum!« und dann: »Komm herunter und lause mich!« Als die Königstochter nun den Bären lauste, fragte er: »Was tun dein Vater und Mutter wohl, wenn sie zu Hause sind?« »Sie sitzen bei Tafel und trinken den roten Wein«, antwortete die Königstochter. Da sagte der Bär: »Du bist die rechte!« und sie mußte nun bei dem Bären bleiben. Als sie aber schon artig lange bei ihm gewesen war, fragte der Bär sie, ob sie auch wohl einmal nach Hause wollte? »Ja«, sagte die Königstochter, »das täte ich gerne einmal.« »Komm«, sagte der Bär da, »denn wollen wir hin; aber ich will mich unter den Tisch legen, wenn du am Tische sitzst, und du sollst mir dann deinen Teller unter den Tisch halten, und wenn du gegessen hast, mußt du mit mir tanzen und mich hart auf den Fuß treten.« Das versprach ihm die Königstochter. Als sie nun bei Tische saß und den Teller darunter hielt, lachten die Leute darüber und sagten: »Was hältst du deinen Teller unter den Tisch?« und als sie nachher mit dem Bären tanzte, da lachten sie noch viel mehr. Aber die Königstochter tanzte doch mit ihm und trat ihn dann so ganz hart auf den Fuß. Und als sie das getan hatte, da ward der Bär mit einem Male ein schöner reicher Prinz und die Königstochter ward seine Frau.


Aus der Propstei durch Herrn Rethwisch.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 403-405.
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