603. Die dümmste Frau.

[432] Es war einmal ein Schlachter, der machte Bankrott. Da sagte er zu seiner Frau: »Nun will ich graben und auf Tagelohn arbeiten.« Als er aber ein paar Tage gegraben hatte, da waren ihm seine Hände wund, und er sprach zu seiner Frau: »Ich muß nur wieder schlachten.« Er ging also aufs Land, sich ein Kalb zu kaufen, und als er in ein Dorf kam, fragte er, ob sie nicht ein Kalb zu verkaufen hätten? »Nein«, sagten die Leute, »wir haben nichts; aber hier nahebei wohnt ein Müller, der hat fünf Ochsen.« Da sagte der Schlachter: »Die kann ich auch brauchen« und ging nach der Mühle.

Als er nun nach der Mühle kam, war der Müller nicht zu Hause. Der aber hatte, als er ausging, zu seiner Frau gesagt: »Wenn da jemand kommen sollte und wollte auf die Ochsen handeln, so kannst du sie nur für fünfzig Taler das Stück losschlagen; für weniger aber sind sie nicht feil.« »Nun kam der Schlachter; er fragte die Frau, ob sie nicht die Ochsen verkaufen wollte?« »Ja«, sagte sie, »für fünfzig Taler das Stück, für weniger aber nicht.« Der Schlachter war's zufrieden und wollte so viel geben; »aber«, sagte er, »ich habe jetzt nicht so viel bar Geld bei mir; wenn ich alle fünf auf einmal nehme, so können wir's ja so abmachen, daß ich zwei gleich mitnehme und dafür die drei übrigen ihr so lange zum Pfande lasse, bis ich komme und das volle Kaufgeld bringe.« Die Frau sagte, daß er's machen könnte, wies ihm eben paßte, und war froh, einen so schnellen und vorteilhaften Handel abgeschlossen zu haben.

Als nun ihr Mann nach Hause kam, fragte er sie gleich: »Na, hast du die Ochsen verkauft?« »Jawohl«, sagte die Frau, »alle fünf auf einmal an einen Schlachter aus der Stadt, das Stück für fünfzig Taler und um keinen Schilling weniger.« »Das ist ein guter Handel«, dachte der Mann, aß erst ein wenig und nachdem er gegessen, verlangte er das Geld zu sehen. Da antwortete die Frau: »Das Geld habe ich noch nicht bekommen,[432] der Schlachter aber wird es in vierzehn Tagen bringen, wenn er die drei letzten Ochsen abholt; die hat er so lange zum Pfand hier gelassen, zwei hat er gleich mitgenommen.« »Nun«, sagte der Mann, »da ist doch auf Gottes weiter Welt kein dummeres Frauenzimmer, als du bist«, und er ward ärgerlich genug; »ich will noch vierzehn Tage warten, aber kommt binnen der Zeit der Schlachter nicht, so reise ich weg und komme in meinem Leben nicht wieder, wenn ich nicht eine dummere finde, als du bist.« Der Müller wartete nun noch vierzehn Tage; aber wer nicht kam, das war der Schlachter; der Müller reiste also fort.

Er war nun schon ziemlich lange gereist, und nirgend in der Welt hatte er noch eine dummere Frau gefunden, als die, welche er zu Hause gelassen. Endlich aber kam er bei einem Schlosse an, wo eine verwitwete Gräfin wohnte; da sprang der Müller immer hoch auf und gaffte in den Himmel. Die Gräfin ward ihn vom Fenster aus gewahr und schickte gleich ihre Kammerjungfer hinunter, ihn zu fragen, was er doch da vorhätte oder was ihm fehle. Der Müller sagte: »Wir haben eben im Himmel einen Tanz gehalten, da kam ich der Luke zu nahe und bin heruntergefallen; nun kann ich gar nicht den rechten Sprung wieder kriegen, um hinauf zu kommen. Ich muß nur weiter gehn und suchen, ob ich nicht anderswo die rechte Fährte wiederfinde.« Er tat nun, als wenn er fortginge, und dabei sah er noch immer an den Himmel. Aber die Kammerjungfer hatte der Gräfin kaum die Nachricht von dem Müller gebracht, so kam diese selber ihm nachgelaufen und fragte, wenn er aus dem Himmel gefallen sei, ob er denn auch ihren verstorbenen Mann kennte. »Ach ja«, sagte der Müller, »den kenne ich ganz gut, ich habe noch eben mit ihm getanzt.« »Wenn das ist, lieber Mann«, sagte die Gräfin, »so kann er mir auch wohl sagen, ob mein seliger Herr noch seine großen Stiefeln trägt mit den goldenen Sporen, und seinen grünen Rock?« Da antwortete der Müller: »Gnädige Frau, der gnädige Herr hat neulich die goldenen Sporen aus Not verkaufen müssen, die Stiefel hat er noch, aber sie sind schon ganz entzwei, den grünen Rock trägt er auch noch, aber da guckt der Ellenbogen schon heraus.« »Gott sei mir gnädig«, rief die Gräfin, »das ist ja eine Schande, wie schlecht es ihm da geht. Höre er, er könnte mir einen großen Gefallen tun, wenn er für den seligen Herrn etwas Zeug zu einem neuen Rock mitnehmen wollte. Mein Sohn trägt gerade noch ebensolche. Ich will ihm dann auch noch vierhundert Dukaten mitgeben und ein bißchen Gutes zu essen und trinken.« Der Müller sagte, daß er das alles herzlich gern besorgen wolle, und die Gräfin gab ihm nun alles mit auf den Weg. »Das wäre doch eine, wie ich sie suchte«, sagte er und ging fort.

Bald darauf aber kam der Junker zu Hause und fand seine Mutter ganz traurig und in großer Betrübnis. Er fragte sie nach der Ursache. »Ach«, sagte die Gräfin, »da war hier eben ein Mann aus dem Himmelreich, der hat mir so schlechte Nachricht vom seligen Papa gebracht; der[433] hat seine goldenen Sporen schon aus Not verkauft, seine Stiefel sind entzwei und sein Rock ist zerrissen; ich habe nun dem Mann etwas Zeug und vierhundert Dukaten mitgegeben; es tut mir wirklich so herzlich leid um den seligen Papa.« Der Sohn sah gleich, wie es damit wäre, ließ schnell seinen Schimmel satteln und jagte dem Müller nach.

Es dauerte nicht lange, so merkte der Müller, daß einer hinter ihm drein käme. Verstecken konnte er sich nirgend; aber da begegnete ihm eine alte Frau. Die fragte er, was er ihr geben sollte, wenn sie ruhig eine Zeit lang, ohne ein Wort zu sprechen, unter seinem Mantel auf der Erde sitzen wollte. Die Frau verlangte fünf Taler, aber der Müller gab ihr zehn, wenn sie nur genau das tun wollte, was er verlange. Das versprach sie und kroch unter den Mantel. Nach einem Augenblick so war der Junker auf dem Pferde bei ihnen und fragte den Müller, ob er auch einen Mann habe eilig vorüberlaufen sehen. Da sagte der Müller: »Ja, vor einer Viertelstunde ging hier einer rasch vorüber und zuweilen lief er sogar. Er nahm den Weg da quer übers Moor, aber wenn ihr nur auf meinen Bienenkorb hier sehen und die Bienen mir hüten wolltet, so lange bis der ausgeflogene ganze Schwarm drinnen ist, so wollte ich den Mann euch bald wieder einbringen.« Der Junker versprach ihm noch ein gutes Trinkgeld obendrein, stieg ab und wollte die Bienen hüten; der Müller aber saß schnell auf und jagte mit dem Schimmel davon. Da sah der Junker bald, daß es kein Bienenkorb, sondern eine alte Frau wäre, und nun ging er nach Hause ohne den Schimmel. Und als ihn seine Frau Mutter fragte, ob er denn den Mann gefunden, so sagte er: »Ja, ich habe ihn bald gefunden und habe ihm auch noch den Schimmel mitgegeben, damit er eher hinkömmt.« Der Müller aber reiste wie der zu seiner Frau. Und als er bei ihr ankam mit dem Schimmel und mit den vierhundert Dukaten und mit dem Zeug zu einem neuen grünen Rock und mit all dem guten Essen und Trinken, das er dem seligen Herrn nach dem Himmel hatte mitnehmen sollen, da sagte er zu ihr: »Nun will ich bei dir bleiben, denn ich habe doch eine dummere gefunden, als du bist, und habe sogar noch mehr verdient, als alle fünf Ochsen wert sind.«


Nach zwei Mitteilungen aus dem Kirchspiel Westensee und der Herrschaft Breitenburg. Letztere weicht hauptsächlich darin ab, daß der vom Himmel Gefallene die Nachricht bringt, der gnädige Herr müsse vor der Hölle Holz spalten. Beide Relationen find unvollständig gegenüber dem entsprechenden norwegischen Märchen bei Moe und Asbiörnsen Nr. 10.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 432-434.
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Plattdeutsche Legenden und Märchen: aus: Karl Müllenhoffs Sammlung (1845): Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg
Legenden und Märchen von Ostsee und Schlei: aus: Karl Müllenhoffs Sammlung (1845): Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg
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