607. Der faule Hans.

[448] Es war einmal ein Junge, der hieß Hans; der war so faul, daß wenn ihm eine Fliege auf der Nase saß, er die Hand nicht rühren mochte, um sie wegzujagen, und hätte er auch zehn Taler damit verdienen können. Einmal sollte er seiner Mutter Wasser holen; da aber war ihm der Weg zu weit und der Eimer war ihm allzu schwer, um ihn so weit zu tragen. Da sagte seine Mutter: »So nimm die Schiebkarre und fahr ihn hin.« Hans nahm eine Schiebkarre und fuhr mit dem Eimer zum Brunnen. Als er nun bei des Königs Schloß vorüber kam, stand da die Prinzessin am offenen Fenster und schaute auf die Straße, und sie sah auch den faulen Hans mit dem Eimer auf der Schiebkarre. Da mußte sie gewaltig lachen und lachte so laut, daß Hans und alle Leute unten auf der Straße es hörten. Hans ward ärgerlich und dachte, könnte ich dir doch einmal was wünschen!

Als er nun zum Brunnen kam, so lief da ein kleines allerliebstes Goldfischchen heraus; Hans wollte es mit nach Hause nehmen. Aber das Goldfischchen hub an zu sprechen und bat so viel, er möchte es doch wieder laufen lassen, er könnte sich auch dafür wünschen, was er wollte. »So wünsche ich, daß die Prinzessin noch vor Abend einen kleinen Jungen kriegt«, sagte Hans, und ließ den Goldfisch wieder laufen. Als nun der Abend kam, so hatte die Prinzessin auf dem Schlosse einen kleinen Jungen und niemand wußte, wer der Vater wäre. Da wollte aber der König doch, daß seine Tochter den Mann bekäme, der der rechte Vater sei. Darum ließ er überall in seinem Reiche ein Gebot ausgehen, daß alle Männer aus dem ganzen Lande sich an seinem Hofe versammelten. Und als nun der bestimmte Tag kam, gab die Prinzessin ihrem kleinen Jungen einen goldenen Apfel in die Hand und stellte ihn mitten in den großen Saal, und der sollte sein Vater und ihr Gemahl sein, wem von den Männern er den goldenen Apfel geben würde. Nun kamen zuerst all[448] die Fürsten und die Herzöge und die Grafen herein, darauf auch alle Edelleute und alle andern Herren des Landes, aber das Büblein blieb unbeweglich und reichte keinem den Apfel. Darauf kamen nun die Minister und alle Diener und Beamte des Königs von den Höchsten bis auf die Nachtwächter; aber das Büblein rührte sich nicht. Darauf mußten auch die geistlichen Herren und die Kaufleute und die Bauern und die Handwerker und die Tagelöhner, die Dienstknechte und alle bis auf den Schinder herein in den Saal und gingen an dem Jungen vorüber; aber der rührte sich nicht. Als sie aber alle vorübergegangen waren und der König glaubte nicht anders, als daß alle Männer aus seinem Lande dagewesen wären, so kam noch Hans in den Saal gestolpert, den hatte seine Mutter mit Gewalt hinauftreiben müssen; aber kaum sah ihn das Büblein, so lief es auf ihn zu und reichte ihm den goldenen Apfel. Da ließ der König eine große Hochzeit anrichten und Hans mußte die Prinzessin heiraten, und sie hatte zum letzten Mal über ihren eignen Mann gelacht.


Durch Storm aus Husum.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 448-449.
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