617. Vater Strohwisch.

[476] Es war mal eine alte Frau, die hatte keinen Mann, hätte aber gerne einen gehabt. Da sagte sie: »Das erste Bund Stroh, das vom Boden fällt, soll mein Mann sein«; bald fiel ein Bund Stroh vom Boden, da hatte sie einen Mann. Die Frau hatte viele Wolle. Da sagte sie zu ihrem Mann: »Mann, du sollst mit Wolle zu Markt.« Sprach der Mann: »Was soll ich denn dafür nehmen?« »Was der Markt gibt«, sagte die Frau. Vater Strohwisch ging auf den Markt, mit der Wolle in seinem Sack. Kamen da drei Brüder zu ihm und fragten: »Vater, was hat er da in seinem Sack?« »Wolle habe ich drin.« »Was will er dafür haben?« »Was der Markt gibt.« »Der Markt gibt drei Tracht Prügel.« Vater Strohwisch sagte: »Wenn ich denn nicht mehr für meine Wolle bekommen kann, so muß ich ja zufrieden sein«; da gab ihm jeder der drei Brüder eine Tracht Prügel. Vater Strohwisch kam nach Hause; sprach seine Frau: »Was hast du für die Wolle bekommen?« »Drei Tracht Prügel habe ich dafür bekommen.« »Mann, da haben sie dich angeführt!« »Tut nichts, kann sie wieder anführen.« Vater Strohwisch ging zu Holze, griff sich einen Wolf, und ging mit dem Wolf zu Markt. Kamen die drei Brüder wieder und fragten: »Vater, was hat er da?« »Hab da einen schönen großen Bock, er hat sich nur die Hörner abgestoßen.« »Was will er dafür haben?« »Für meinen Bock muß ich zehn Taler haben.« Gaben ihm die Brüder zehn Taler, denn sie fanden es gar nicht unbillig, nur stritten sie sich, wer ihn zuerst zu seinen Schafen setzen sollte. Vater Strohwisch sagte: »Der älteste muß ihn zuerst haben.« Also nahm ihn zuerst[476] der älteste und ließ ihn Abends zu seinen Schafen, aber am Morgen waren alle seine Schafe tot. Da setzte ihn der zweite Abends zu den seinen, aber dem gings ebenso, und dem dritten Bruder gings auch nicht anders. Da wurden die Brüder schrecklich böse und beschlossen, Vater Strohwisch totzuschlagen, weil er sie so betrogen hatte. Vater Strohwisch bekam aber früh genug Wind davon, was sie im Sinne hätten. Da zog er sein bestes Pferd aus dem Stall, band es auf der Diele an, steckte ein Zwölfschillingsstück hinten ein und breitete schöne Bettücher darunter aus. Morgens kamen die drei Brüder und sahen das Pferd auf den Bettüchern stehen und Vater Stohwisch im Mist scharren; da fragten sie: »Vater, was sucht er da?« »Ich sammle mir mein Zwölfschillingsstück heraus, jeden Morgen hat mein Pferd eins hinter sich.« Sprachen die Brüder: »Das Pferd steht uns an; wieviel soll's kosten?« »Unter hundert Taler kann ich's nicht lassen«, sagte Vater Strohwisch. Da kauften die Brüder ihm das Pferd sogleich ab. Und der älteste nahm es zuerst mit nach Hause und deckte ihm schöne Bettücher unter, und morgens lief er voller Freude hin, um das Geld zu holen, aber da fand er nichts als Mist und sein Bettzeug war verdorben. Er sprach zu seinen Brüdern: »Vater Strohwisch hat uns wieder betrogen«, aber die Brüder antworteten: »Du hast kein Glück, laß uns es nur versuchen«, nahmen also das Pferd, erst der zweite, dann auch der dritte, und jeder breitete das Bettzeug unter und dachte, das Pferd sollte ihm Geld bringen, aber das Pferd brachte kein Geld, sondern beschmutzte nur das Bettzeug. Da wurden die Brüder noch grimmiger und sagten: »Nun wollen wir ihn ganz gewiß totschlagen«, nahmen Dreschflegel und Heugabeln in die Hand und gingen nach dem Hause, wo Vater Strohwisch wohnte. Der hatte aber sein Schwein geschlachtet und war beim Wurststopfen. Als er nun die Brüder kommen sah, hing er seiner Frau eine frische Blutwurst um den Hals und verabredete alles schnell mit ihr; und als die Brüder eintraten, rief er ihr zu: »Flink, setze Stühle her und bringe Pfeifen herein, meine Kaufleute sind da.« Das wollte die Frau nicht. Aber Vater Strohwisch sprang mit seinem Messer hinzu und sagte: »Ich schneide dir den Hals ab, wenn du nicht gehorsam bist«, und schnitt ihr die Wurst entzwei, daß das Blut herausströmte. Da fiel die Frau um, als wenn sie tot wäre, aber Vater Strohwisch nahm eine kleine Pfeife aus der Tasche und pfiff darauf dreimal ganz stark, da stand die Frau wieder auf, setzte Stühle hin und holte Pfeifen. Fragten die Brüder: »Vater, wie machst du das?« Vater Strohwisch antwortete: »Ich habe da eine kleine Pfeife, wenn meine Frau nicht hören will, reiße ich ihr die Kehle aus; pfeife ich aber auf meiner Flöte, so wird sie wieder lebendig und tut alles, was ich will.« »Die Pfeife mußt du uns verkaufen«, sagten die Brüder, »unsere Frauen tun selten, was wir ihnen sagen; was soll die Pfeife kosten?« »Hundert Taler müßt ihr mir geben«, und die gaben ihm die Brüder gern. Als der älteste nun nach Hause kam, wollte er es gleich damit versuchen.[477] »Hole mir den Stiefelknecht«, sagte er zu seiner Frau. »Du hast ihn dir all deine Tage selbst geholt, warum soll ich es jetzt tun?« sagte die Frau. Da sprang er sogleich auf und riß ihr die Kehle aus, und darauf fing er an zu pfeifen und pfiff die ganze Nacht hindurch, aber da war kein Leben wieder in die Frau hineinzubringen. Darauf versuchte es auch der zweite und dann auch der dritte und schnitten ihren Frauen die Kehlen durch, aber ins Leben pfeifen konnten sie sie beide nicht. Da gingen die Brüder zum drittenmal zu Vater Strohwisch und wollten ihn nun ganz gewiß totschlagen. Als sie ins Haus kamen, sagten sie zu der Frau: »Wo hast du deinen Mann?« »Der hat sich aufgehängt!« »Wo denn?« »Draußen im Garten.« Da liefen die Brüder in den Garten hinaus und dachten, Vater Strohwisch wollte sie wieder anführen, aber da sahen sie da ein Bund Stroh in einem Baum hangen mit Zeug angetan und schrecklich zappeln. Da erschraken sie sich und liefen, daß sie fort kamen und sollen seit der Zeit noch wieder kommen.


Durch Herrn Schullehrer Bahr in Wrohe.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 476-478.
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