165. Die Glocke in Keitum.

[123] Zwei alte Jungfern oder Nonnen, Namens Ing und Dung, die ein Haus oder Kloster eben nördlich von der Kirche in Keitum besaßen, haben dieser auf ihre Kosten den Turm bauen lassen. Zu ihrem Andenken hat man zwei aufrecht stehende, pyramidenförmige Feldsteine, die die Erbauerinnen vorstellen sollen, daran angebracht und man hört ganz deutlich in den Tönen der Turmglocke die Namen Ing und Dung.

Die Glocke hatte einen so schönen hellen Ton, daß man sie bei klarem Wetter am gegenüberliegenden Ufer des festen Landes hören konnte und der Neid der Einwohner des Flecken Hoyer rege ward. Einmal machten darum diese einen Versuch sie zu stehlen; deswegen banden die Keitumer Kirchenvorsteher einen Zwirnsfaden oder, wie andre sagen, ein Pferdehaar um den Klöpfel, so daß die Hoyringer glaubten, die Glocke sei gesprungen, und sich nicht länger darum Mühe gaben. – Es ist eine alte Prophezeiung, daß die Glocke einmal niederstürzen und den schönsten Jüngling von Sylt erschlagen werde; aber auch daß der Turm ebenfalls niederstürzen und die schönste Jungfrau zerschmettern werde. Wirklich ist im Jahre 1739 nun die Glocke herunter gestürzt und ein schöner Jüngling erschlagen; darum wagt es seit der Zeit eigentlich kein Mädchen auf Sylt dem Kirchturm nahe zu kommen.


Durch Herrn Schullehrer Hansen in Keitum auf Sylt.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 123.
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