168. Die Glocke in Krempe.

[125] Ehe noch die schöne Kremper Kirche im Russenkriege von den Schweden in die Luft gesprengt ward, hing in ihrem noch heute berühmten Turme eine Glocke, die sich vor allen anderen durch ihren Klang auszeichnete.

Als sie nämlich gegossen ward und die Speise schon zum Gusse fertig war, ging der Meister noch einmal davon und befahl dem Lehrjungen unterdes des Ofens wahrzunehmen. Der benutzte nun die Zeit und goß einen ganzen Tiegel voll geschmolzenes Silber hinein, ums recht gut zu machen, oder weil er wohl meinte, es solle doch noch dazu. Als der Meister nun zurückkam und den leeren Tiegel sah, ergrimmte er so, daß er einen Stock ergriff und damit auf den Jungen losschlug, daß er tot niederfiel. Da man nun die Glocke auf ihren Stuhl brachte, gestanden alle, daß sie nimmer einen helleren Klang gehört hätten; aber so lange[125] man sie geläutet hat, war es, als sage sie immer mit traurigem Tone: »Schad' um den Jungen! Schad' um den Jungen!«

Die Glocke erregte bald den Neid der Hamburger; aber vergebens boten sie den Krempern große Summen. Endlich aber ward man handelseinig; die Hamburger wollten für die Glocke eine goldene Kette geben, so groß, daß sie um ganz Krempe herum reichte. Als man nun die Glocke auf einen Wagen brachte und man damit auf den hohen Weg ganz nahe bei Krempe kam, sank der Wagen ein und so viel Pferde man auch davor spannte, er war nicht von der Stelle zu bringen. Als man aber umkehrte, ging er ganz leicht mit zwei Pferden wieder nach Krempe zurück und die Glocke mußte da bleiben und hat bis zu jenem unglücklichen Tage im Turm gehangen. Die Glocke hieß Maria. Man hat vergeblich nach der Sprengung der Kirche nach einem Bruchstück gesucht; einige meinen, die Schweden hätten sie vorher gestohlen, aber andre sagen, sie sei tief hinunter in die Erde gesunken.


Dr. H. Schröder im Archiv für Geschichte der Herzogtümer Bd. IV S. 66 und schriftlich. – Grimm, Deutsche Sagen 125 (aus Breslau). Kuhn, Märk. Sagen Nr. 12. – Auch von den Glocken in Zarpen bei Oldesloe wird erzählt, daß die Lübecker sie einmal gekauft hätten, aber keine auch noch so große Zahl von Pferden sie hätte fortschaffen können. – Wenn auf dem Warder Felde die Knaben die Pronsdorfer Glocken läuten hören, pflegen sie nach einer zweinotigen Melodie zu singen:

Schad' is,

Dat de Lehrburs dood is,

und erzählen dabei dieselbe Geschichte vom Gießer dieser Glocken in Lübeck. Er sei ganz traurig geworden und habe auch jene Worte gesprochen, als er zum ersten Male ihren schönen Klang gehört.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 125-126.
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