186. Das verschüttete Dorf.

[133] Eine Heilige ging am Strand, sah nur zum Himmel und betete. Da kamen die Bewohner des Dorfs Sonntagsnachmittag, ein jeder in seidenen Kleidern, seinen Schatz im Arm, und spotteten ihrer Frömmigkeit. Sie achtete nicht darauf und bat Gott, daß er ihnen die Sünde nicht zurechnen wolle. Am andern Morgen aber kamen zwei Ochsen und wühlten mit ihren Hörnern in einem nahgelegenen großen Sandberg bis es Abend war; und in der Nacht kam ein mächtiger Sturmwind und wehte den ganzen aufgelockerten Sandberg über das Dorf hin, so daß es ganz zugedeckt wurde und alles darin, was Atem hatte, verdarb. Wenn die Leute aus benachbarten Dörfern herbeikamen und das Verschüttete aufgraben wollten, so war immer, was sie tagsüber gearbeitet, nachts wieder zugeweht. Das dauert bis auf den heutigen Tag.


»Mündlich aus Holstein« in der Brüder Grimm Deutschen Sagen I, S. 155 Nr. 96. Keine andere Relation dieses merkwürdigen Stücks, das wohl dem östlichen Holstein gehört, ist uns bekannt geworden. Doch meinen wir Ähnliches früher von den Anwohnern der Dünen in Eiderstede und von untergegangenen Orten in Pellworm und Nordstrand gehört zu haben. Thiele II, 257 hat eine vollständige dänische Version. Von einem Nordstrand ist die Rede, die Heilige ist eine Wasserfrau und hat eine Herde Rinder etc.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 133.
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