210. Die Eiche auf dem Galgenberg.

[146] Die Hexen trieben in der Umgegend von Eutin ihr Unwesen eine Zeitlang so stark, daß die Obrigkeit oft genötigt war welche hinzurichten. Es wohnte damals eine alte Frau in Eutin und da sie arm und häßlich war und einsam lebte, fiel auf sie der Verdacht der Leute. Als nun[146] einmal die Nachbarn bemerkten, daß ein schwarzer Kater zu ihr ins Fenster kam und sie ihn freundlich streichelte, machten sie Anzeige; die Alte ward eingezogen und obschon sie hoch und heilig ihre Unschuld beteuerte, zum Tode verurteilt. Man hatte auf dem großen Eutiner See die Wasserprobe mit ihr vorgenommen und sie war wie eine Ente oben geblieben. Eine große Menge Menschen folgten ihr, als sie auf den Galgenberg hinaus geführt ward und hingerichtet werden sollte. Auf ihren Stock gestützt stieg sie weinend den Berg hinan; aber als sie oben war, stieß sie den dürren Stab in den vom Regen erweichten Boden und sprach, zu den Zuschauern sich wendend: »So wahr Gott weiß, daß ich unschuldig bin, so gewiß wird er euch davon ein Zeichen geben und diesen Stock grünen lassen.« Darauf litt sie den Tod; aber der Stock schlug bald aus, bekam Blätter und Zweige und ward ein Eichbaum, weit und breit in der Gegend bekannt als das Zeichen der Unschuld. Als der Berg vor einigen Jahren halb abgefahren ward, ist die Eiche durch einen Sturm umgestürzt und bald darauf ward auch die andere Hälfte des Berges fortgenommen.


Herr Schullehrer Kirchmann in Eutin. – Kuhn, Märk. Sagen Nr. 116. Bechstein, Thüring. Sagen III, 216. Derselbe, Fränk. Sagen S. 52.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 146-147.
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