240. Die aufrichtige Lüge.

[162] Ein Spitzbube ward gefangen. Der Amtmann wollte ihn henken lassen. Als der Mann ihn aber bat, sagte er ihm das Leben zu, wenn er eine aufrichtige Lüge erfinden könnte. Der Spitzbube sagte, es wäre nichts leichter als das. »Ein altes Weib«, fing er an, »pflanzte auf den Misthaufen drei Körner, ein Weizenkorn, ein Haferkorn, ein Buchweizenkorn. Da verging das Weizenkorn, da verschwand das Haferkorn; aber eine Buchweizenstange wuchs hervor und wuchs bis in den Himmel. Da stieg sie dran hinauf und ging durch den Himmel und ging durch die Hölle, sah mancherlei Freude und mancherlei Pein, sah da auch den Teufel, der hatte den Herrn Amtmann seine alte Mutter auf der Schiebkarre« – »Kerl«, rief der Amtmann, »das ist nicht wahr!« »Verzeihung, Herr Amtmann«, antwortete er, »das ist eine aufrichtige Lüge«.


Aus Kurborg am Dannewerk durch Kandidat Arndt.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 162.
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