267. Der bestrafte Vorwitz.

[179] Vor langer Zeit wohnte in Schenefeld ein Prediger, der hatte die Gewohnheit, jeden Sonntag seine Bücher auf der Kanzel liegen zu lassen. Nachmittags schickte er dann sein Mädchen zur Kirche, um sie zu holen; oft, namentlich im Winter, war es schon spät und dunkel. Der Knecht fragte mitunter wohl das Mädchen, ob sie sich nicht dabei fürchte; und sie sagte dann, sie gehe ja in Gottes Namen und ihrem Gewerbe hin; da könnte ihr ja niemand was anhaben. Der Knecht dachte sich einen Spaß zu machen. Einmal, als das Mädchen wieder spät zur Kirche geschickt ward, nahm er sein Bettlaken, schlich ihr voraus und stellte sich, darein gehüllt, ihr in den Weg, als sie eben zur Kanzel wollte. Sie erschrak freilich ein wenig, doch ging sie rasch vorüber und holte die Bücher, eilte wieder der weißen Gestalt vorbei und warf die Kirchentür mit aller Gewalt hinter sich zu. Sie sagte zu Hause nichts von dem was ihr begegnet war. Als aber zum Abendessen der Knecht sich nicht einstellte, und sein Bettlaken fehlte, ging sie zu ihrem Herrn und erzählte ihm alles. Sie vermuteten gleich, der Knecht müsse es gewesen sein. Als sie nun zur Kirche gingen, fanden sie ihn tot mitten im Steige liegen. Seine Gedärme waren ihm herausgerissen und über die Stühle ausgespannt. Wände, Decke und Boden waren mit Blut bespritzt und die Flecke sind unauslöschlich bis auf diesen Tag.


Aus Dithmarschen; es wird auch von der Meldorfer Kirche erzählt. – Auch durch Herrn Stud. Volbehr von der Preetzer Fleckenkirche.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 179.
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