268. Die silbernen Apostel in Meldorf.

[179] Von der alten Meldorfer Kirche geht ein unterirdischer Gang unter der Papentwiete weg, wo es noch immer ganz hohl klingt, wenn da ein Wagen fährt, bis in den Keller des jetzigen Hauptpastorats, wo früher die Mönche gewohnt haben; von demselben Keller aus ging ein andrer[179] Gang nach dem eigentlichen Kloster, der jetzigen gelehrten Schule. Die Mönche gingen immer durch diese Gänge hin und her, besonders wenn sie in der Kirche Gottesdienst halten wollten. Als nun die lutherische Lehre kam, haben sie in dem Gange, der nach der Kirche führt, die großen Bilder der zwölf Apostel aus purem Silber verborgen und dazu viele andre Schätze. Einige sagen sogar, daß die Bilder von Gold seien. Früher war noch eine große eiserne Tür im Keller zu sehen, aber niemand hat es gewagt, durch den Gang zu gehen. Einem Diebe bot man einmal an, daß ihm das Leben geschenkt sein solle, wenn er es wagen wollte. Man gab ihm zwei Wachslichter in die Hand; aber kaum hatte er ein paar Schritte getan, so kam er erschrocken zurückgelaufen und bat, ihn lieber seine Strafe leiden zu lassen, als ihn dazu zu zwingen.

Zu Propst Sanders Zeit im Anfang des vorigen Jahrhunderts (andre aber sagen zu Pastor von Ankens Zeit) war an der Nordermauer des Kellers der Eingang zwar noch da, aber so versteckt, daß keiner ihn ahnen konnte. Einmal scherzten und jagten sich der Bediente und das Mädchen des Propsten, die miteinander freiten, im Keller; das Mädchen schlüpfte in die Öffnung, der Bediente spornstreichs hinterher, und ehe sie sich versahen, sprang eine Tür offen, und sie befanden sich plötzlich in einer dunklen Kammer. Da ward ihnen schwül und sie holten ein Licht, um die Sache näher zu untersuchen. Nun fanden sie eine Lade, sie öffneten sie und sie war voll Silberzeug. Gleich nahmen sie mehreres davon mit hinauf zu ihrem Herrn. Der gebot ihnen Stillschweigen, verheiratete sie aber darauf bald und gab ihnen eine reiche Aussteuer.

Damals soll die Öffnung vermauert sein. Doch wird erzählt, daß noch vor fünfzig Jahren zu Propst Jochims Zeit der Gang offen gewesen sei. Der Propst und seine Frau waren einmal aus in Gesellschaft, und der Knecht und die beiden Mädchen mußten so lange aufsitzen und wachen, bis die Herrschaft zu Hause käme. Sie unterhielten sich die Zeit über von Spuken und Vorwarnen, und der Knecht sagte zum Kleinmädchen: »Ich gebe dir vier Schilling, holst du mir die Schuhbürste aus dem Keller; sie liegt in dem großen Gewölbe.« »Das Geld will ich verdienen«, sagte die mutige Dirne und stieg hurtig ohne Licht in den Keller. Es war um zwölf Uhr. Lange suchte sie, konnte aber die Bürste nicht finden. Schon wollte sie wieder hinauf, als sie aus dem Gewölbe ein schwaches Licht schimmern sah. Die Tür stand in der Kirre offen und das Mädchen ging hinein. Da sah sie einen alten grauen Mann, das Haupt auf den Ellbogen gestützt, vor einer silbernen Tafel sitzen. Teller, Gabel, Messer, Schüsseln, alles war von Silber. Da der Alte aber so unbeweglich da saß, faßte das Mädchen Mut und rührte ihn an, um zu sehen, ob er noch lebe. Allein er fiel in Asche zusammen und die Asche fiel auf den Tisch. Da füllte das Mädchen ihre Schürze voll Silberzeug und wollte zum Keller hinaus. Als sie aber kaum ein paar Stufen nach oben gegangen, ward sie wieder von hinten heruntergerissen, und man fand sie am andern Morgen[180] bewußtlos am Boden liegen. Der Aschmann ist seit der Zeit verschwunden und nicht wieder gesehen worden.

Man zeigt in der einen Ecke des Chors der Meldorfer Kirche hinter einem Gegitter ein altes steinernes Bild einer Frau. Diese hatte nämlich damals, als die Kirche gebaut ward, der Gemeinde fünfhundert Mark dazu geschenkt. Für diese Summe konnte man die Kirche darum so groß bauen, weil zu der Zeit eine Kuh nur einen Sechsling kostete, und das Bild errichtete man obendrein zum Gedächtnis der frommen Stifterin.


Hansen und Wolf, Chron. von Dithmarschen S. 21. Mündlich. Vgl. Nr. 95 und Kuhns Märk. Sagen Nr. 221.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 179-181.
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