313. Siebdrehen.

[211] Zur Zeit eines Krieges hatte ein Schlachter auf Amrum zuviel zu tun, um allein damit fertig werden zu können; er nahm daher den Sohn seines Nachbarn zum Gehilfen und hatte zu diesem so viel Zutrauen, daß er ihm sogar einen Ort zeigte, wo er ein paar hundert Taler aufbewahrt hätte. Der Sohn erzählte das seiner Mutter und beiden kam eine große Lust nach dem Gelde. Als am nächsten Nachmittage auf der Diele des Nachbarn eine Kuh geschlachtet ward, kam die Mutter ans Fenster, um ein paar Pfund Fleisch zu holen, die bereits für sie abgewogen waren; der Sohn ging hin und reichte ihr den Korb hinaus mit dem Fleisch und dem Geldbeutel, den er zuvor auf den Boden des Korbs gelegt hatte. Nach einigen Tagen entdeckte der Schlachter seinen Verlust. Er warf sogleich Verdacht auf seinen Gehilfen und gab ihm solches zu verstehen. Allein dieser verfluchte sich und beteuerte seine Unschuld bei allem, was heilig ist.

Zu dieser Zeit war in Morsum auf Sylt ein berühmter Hexenmeister, der die Diebe herausbringen und sie zwingen konnte, das Gestohlene wieder zu bringen. Der Schlachter ließ daher seine Frau zu ihm hinüber reisen und der Hexenmeister traf sogleich seine Anstalten. Er ließ sich ein Mehlsieb bringen, legte einen Schlüssel und eine Schere hinein und setzte das Sieb auf ein großes mit Wasser angefülltes Gefäß. Darauf sprach er seine Zauberformeln und die Frau mußte nun die Namen aller verdächtigen Personen mehrmals nennen. So oft sie nun die Namen ihrer Nachbarn nannte, tanzten Schlüssel und Schere herum; und als der Hexenmeister die Frau ins Wasser schauen ließ, sah sie deutlich, wie der Gehilfe ihres Mannes seiner Mutter das Geld reichte. Der Hexenmeister erklärte aber, daß es ihm unmöglich sei, ihr das Geld zurück zu liefern, weil die Diebe schon damit über Wasser gereist wären. Übrigens ist nachher im Hause der diebischen Nachbarn doch kein Segen gewesen, sondern die Bettüren haben da beständig offen gestanden, weil immer einer krank gelegen.


Durch Herrn Schullehrer Hansen auf Sylt. In Dithmarschen braucht man zum Sieblaufen eine Erbbibel und einen Erbschlüssel. Dieser wird erst einige Augenblicke in jene gelegt, um geheiligt zu werden; dann nimmt ihn der kluge Mann, läßt das Sieb darauf herumkreiseln, nennt dabei die Namen, und der ist der Dieb, bei dessen Namen das Sieb herunterfällt.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 211.
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