347. Mutter Potsaksch.

[235] Bei Hollingstede an der Treene war vor nicht langer Zeit eine alte Frau, die man nur Mutter Potsaksch nannte, weil sie niemals Schuhe trug, sondern immer barfuß oder in Socken ging. Sie konnte hexen und Wetter machen (böten). Ihre Tochter hatte sie in allen ihren Künsten unterrichtet. Sie vermietete diese endlich bei einem reichen Bauern als Kindermädchen. Einmal als Wirt und Wirtin ausgegangen waren und die Knechte und Mägde in der Stube saßen und sich allerlei erzählten, kam die Dirne, die das Kind wiegen sollte, herein und setzte sich zu ihnen. Die alte Magd hieß sie hinausgehen und wiegen. »Ei was«, antwortete das Mädchen, »die Wiege geht schon von selbst.« Da riefen alle, daß sie das doch einmal sehen möchten. »Dann könnt ihr noch ganz andre Dinge zu sehen bekommen«, sagte das Mädchen und ließ die Wiege zur Stube herein- und wieder hinauswiegen. »Und das ist noch gar nichts«, fuhr[235] die Dirne fort; »wenn ihr wollt, so will ich euch eine von den Kühen tot melken, die da auf der Koppel gehen.« Alle wünschten es einmal zu sehen, und nun nahm sie ein Messer, steckte es in einen Stender und verlangte, daß man ihr ein Wahrzeichen gäbe, welche Kuh es sein sollte. Man zeigte ihr eine bunte Kuh. Nun fing sie an auf dem Heft des Messers zu melken und die Kuh stand, als wenn sie im Stalle gemolken würde. Als das Mädchen aufhörte, fiel die Kuh tot nieder. »Da habt ihr's«, sagte sie; »nun will ich euch noch mehr zeigen, was ich kann. Ich will juchhe! rufen und ein dreimastiges Schiff soll auf der Mistpfütze schwimmen.« Alle meinten, daß es unmöglich sei; als sie aber nur einmal juchte, sahen alle das Schiff. Darauf juchte sie zum zweiten Male und eine große Musikbande war auf dem Schiff und spielte lustige Stückchen.

Unterdes kamen Wirt und Wirtin wieder nach Hause und die Knechte und Mägde erzählten, was geschehen sei. Da ließen sie die alte Potsaksch holen und verlangten von ihr, daß sie ihr Kind wieder wegnehmen sollte; und die Kuh sollte sie wieder lebendig machen. »Nichts leichter, als das«, rief die Alte, steckte drei Gabeln mit den Stielen in die Erde, daß die Zinken in die Höhe standen, stellte sich darüber und alsbald stand die Kuh auf und graste wie vorher.

Diese Geschichte ward ruchbar und bei der Obrigkeit angezeigt. Nun sollte die alte Hexe verbrannt werden. Auf der Koppel, wo die Kuh tot gemolken ward, wurden drei Faden Holz mit vielem Stroh geschichtet, und man ließ darin einen Raum wie eine kleine Stube. Als die alte Hexe dahin geführt ward, eine unzählige Menge Volks war zugegen, ging der Zug an des Bauervogts Hause vorbei. Da bat Mutter Potsaksch die Frau des Bauervogts, die in der Tür stand, um einen Tropfen Milch. Die stieß sie aber fort und sagte, sie solle ja doch gleich brennen, sie brauche keine Milch. Da sagte die alte Potsaksch: »Das hat mir schon heut nacht geträumt.« Man brachte sie nun in die kleine Stube und zündete das Feuer an. Als es niedergebrannt war, und man in der Asche nach den Knochen suchte, da kam Mutter Potsaksch über die Koppeln dahergegangen und sagte: »Was habt ihr nun getan! Ihr habt des Bauervogts Frau verbrannt!« Alle erschraken; des Bauervogts Frau war nirgend zu finden und niemand wagte sich mehr an die alte Hexe.

Der Amtmann wußte nicht, was er aus der Sache machen sollte, und berichtete darüber an den König. Da bot der König ewig viel Geld aus dem, der die Hexe umbrächte. Aber keiner wollte sich daran machen. Endlich fing ein Schmiedgesell damit an, daß er der Alten viele schöne Worte und Schmeicheleien sagte und sie zuletzt ganz verliebt machte; sie wollte ihn heiraten. Der Hochzeitstag kam und sie sollten zur Kirche. Auf dem Wege dahin mußten sie über ein breites Wasser. Da hatte der Schmiedgesell überall Netze hin und her aufstellen lassen und Fischer lauerten hinter den Büschen am Ufer. Als sie nun im Kahn saßen, sagte er zu ihr: »Potsaksch, kann sie die Kirche schon sehen?« »Nein«, sagte[236] sie, »dann muß ich mich erst umkehren.« Als sie sich nun umwandte, stieß er sie ins Wasser und rief den Fischern, daß sie die Netze zuzögen. So mußte die Alte umkommen.


Aus Kurborg bei Schleswig durch Kandidat Arndt. – Reusch, Samland Nr. 65.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 235-237.
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