364. Hexen als Katzen.

[244] Als mein Vater noch ein Knabe war, passierte hier folgende Geschichte, erzählte eine alte Frau in Kiel. In einem Hause auf dem Walkerdamm, das einem Manne Namens Arp gehörte, war mehrere Tage schon ein gewaltiger Lärm von Katzen auf dem Boden gewesen. Eines Abends will das Dienstmädchen Heu vom Boden für die Kühe herabholen (daaltücken). Da das Geheul der Katzen fortdauerte, sagte sie: »Du verdammte Katt, wat jaulst du so?« und wirft dann mit dem Tückhaken nach der Katze. Wie das eben geschehen ist, fahren alle Katzen auf das Mädchen los, zerreißen und beißen sie, und machen sie ganz zu Schande. Das Mädchen schrie und jammerte, aber es dauerte noch etwas, ehe die Herrschaft es hörte und hinaufkam. Da konnten sie kaum die Katzen von dem Mädchen loskriegen. Das Mädchen war davon sterbenskrank geworden. Es hielt zehn bis elf Wochen an; die Doktors konnten ihr nicht helfen und im Hause war jede Nacht ein schrecklicher Lärm, die Katzen schrien und miauten, auch die Kühe brüllten beständig, keiner wagte sich auf den Boden. Da hörten die Leute endlich, daß ein Mann auf Dorfgaarden wohne, Namens Thöming, der so was verstehe. Sie ließen ihn holen, und als er die Kranke sah, so sagte er, er wolle das bald helfen. Er setzte sich darauf vor das Bett, drückte aus einer Wunde des Mädchens etwas Blut, und fing dann an zu lesen aus einem Buche. Da kamen alle Katzen in die Stube über die Schwelle gepurzelt nacheinander bis vor das Bett, gewiß zehn Stück; dann hat er wieder gelesen und sie eben so wieder hinausgelesen. Am andern Morgen war die nächste Nachbarin ebenso zerrissen, wie das Mädchen; denn sie war eine Hexe gewesen und nun hatte der Mann die Katzen durch das Lesen gezwungen, sie auch so zu zerreißen. Von dieser Zeit an war alles ruhig im Hause, das Mädchen ward wieder gesund, aber hinkte davon. Als ich ein kleines Kind war, habe ich sie noch gekannt, sagte die alte Frau.


Durch Herrn Student Volbehr.

Quelle:
Karl Müllenhoff: Sagen, Märchen und Lieder der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. Kiel 1845, S. 244.
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