Zweyte Scene.

[10] Pfälzel. Nach Mitternacht. Zimmer im Schloß.

Julie auf dem Stuhl schlummernd, Anne die Laute spielend.


ANNE. Ob's gewiß ist, daß Golo bleibt? singt und spielt.

Stille dich an sanften Klagen,

Herz, das ewig Kummer drückt!

Was dir könnt' die Schmerzen lindern,

Was dir könnt' dein Leid vermindern,

Hat das Schicksal dir entrückt.

Willt du dich vergebens plagen?

Sich an schroffe Felsen wagen,

Hofnung suchen, die uns flieht,

Heißt sich an die Fessel schlagen,

Die uns in's Verderben zieht.

Ist Zeit, daß ich jetzt Julchen wecke. Thut mir leid, ihren süßen Schlummer zu stören. Sie kann ja ein andermahl mehr schlafen. – Auf, Bäschen, auf, Julchen! – Wie fest! Glückliches Mädchen, einen Geliebten hast du, und kannst doch so gesund und ruhig schlafen. He! Auf!

JULIE. Wer weckt mich?[11]

ANNE. Schlafmützchen! Bäschen, auf, geschwind! Genovefa hat schon nach dir gefragt.

JULIE. Ey wie, die Gräfin ist ja erst nieder gelegen.

ANNE. Du träumst. Die Gräfin, wie soll die? Merkst du denn nicht, sie ist ja so unruhig über ihres Gemahls Abschied, möchte gern ihren Eheherrn mit in diesem Zug begleiten.

JULIE. Da weiß doch der Graf nichts von?

ANNE. Sie fürchtet sich, es ihm zu offenbaren, fürchtet Siegfrieds abschlägige Antwort, das kümmert sie eben. Die arme Dame, ich kann's ihr nicht verdenken. An ihrer Stelle, einen lieben jungen Gemahl in fernen Krieg hinein, o Himmel, ich würde vergehn! Julchen, sieh, dein Vater kommt schon da, und Carl, Abschied bey dir zu nehmen; hätt' ich's zugelassen, sie hätten dich schlafend gefunden, und dir nachher Stichelreden gegeben.


[12] Adolf, Carl.


ADOLF. Guten Morgen, lieben Kinder. Julchen, bringe dir da Carl'n, macht's klug, gebt jetzt einander die Hände, und somit Adjes, das lange Wimmern hilft doch zu nichts Weiterm. Carl muß nun einmahl in den Mohrenkrieg hinaus mit Siegfried, seinem Lehnsherrn, in einer Stunde geht's fort, sie warten nur noch auf Siegfried drinnen. – Was gibts denn da drunten wieder? Geht an's Fenster. Komme gleich! – Muß jetzt überall nachsehn, damit's beym Aufbrechen nicht irgendwo fehlt. Hurtig, Carl! – Guten Morgen, Bäschen Lautenspielerin.

ANNE. Oheim, sind Carls Brüder, Bernhard und Ulrich, schon ankommen?

ADOLF. Mit all' ihren Leuten drunten an der Wiese; die sind nie die letzten.

ANNE. Wackre Ritter in der That. Ritter Golo ist auch schon aufbrochen?

ADOLF. Der sitzt beym Landrath drinn, bleibt hier in Pfälzel zurück.[13]

ANNE. O nein, es ist nicht möglich!

ADOLF. Hm, werde doch wissen, was ich sage. Ab.

ANNE vor sich, auf und ab. Hoffe, Anne, hoffe! O Liebe! O Glück! Was wollt ihr mit mir?

JULIE. Das Alles, Carl, was du mir jetzt noch zu sagen hast?

CARL. Alles für diesen Moment, das Uebrige weißt du doch von selbst; Adjes denn mitsammen, liebe Liebchen, auf baldiges glückliches Wiedersehn! Bäschen Anne, ich hoffe, ihr werdet während meiner Abwesenheit etwas von eurer Sprödigkeit nachlassen, und euch wie andre gute Mädchen auch auf's Baldigste dafür zur Liebe bequemen; es ist besser, als immer so still und in sich selbst verschlossen seyn, fragt 'mahl Julchen.

ANNE. Bin ich denn eine Männerfeindin, daß ihr mir dergleichen Lehren gebt?[14]

CARL. Pfui Bäschen, affektirter Ernst paßt zu eurem Gesichtchen nicht. Fein artig beym Abschiednehmen, und nicht gleich schnippisch, Fräulein Langnäschen.

ANNE. O wie artig, galant!

CARL. Und doch Alles liebe simple Natur.

ANNE. Wär's möglich? Solche Natürlichkeit bringt euch Rittern Ehre. Die Herren haben zwar jetzt den Gebrauch, gewisser feinen Ungeschliffenheiten auf's Nachlässigste sich gegen Damen zu bedienen, was sie Alles so mit dem leichten Nahmen einer unromanesken Natürlichkeit schminken, oder vielmehr eine edle Nonschalanz zu taufen belieben; Vernünftige sehn darüber weg, weil's doch einmahl so Mode geworden.

JULIE. Pfui! Jetzt zu sticheln!

CARL. Sie gefällt mir, wenn sie ein wenig eifrig wird. Bravo! Könntet Ritter Golo'n künftig im Gouvernement[15] hier beystehn. – Adjes, Julchen, Annchen, empfehl' euch einander, und mich in die Mitte eures lieben Andenkens. Nicht weiter böse!

ANNE lächelnd. O nein! Giebt die Hand. Hier!

CARL. Adjes, liebe Dicke.

JULIE. Kein Wörtchen weiter, lieber Carl?

CARL. Julchen, dein Vater schmählt, wenn er wieder zurück kommt, und uns noch beysammen hier antrifft. Weine nicht, Julchen, liebes Herz, geh' ja nicht aus der Welt hinaus, gehören einander zu. Laß mich munter reisen, weil ich doch reisen muß. Siehst du, beym schönen Nachbar dort über uns, der jetzt so lieblich zum Fenster herein zu uns herschimmert, er weiß Alles, er hat uns schon manchmal so beysammen ertappt, es bleibt dabey, bey Allem, was ich dir so vielmahl beschworen.

JULIE. Ach! daß ich dich so lange Zeit nicht sehn soll![16]

CARL. Was thut's? Die Zeit läuft vorbey, Liebchen, nachher ist's wie 'ne Minute.

JULIE. Ja, wenn's vorbey ist.

CARL. Adjes.

JULIE. Wart' doch noch ein Augenblickchen, bis ich dir Lebewohl gesagt.

CARL. Geschwind, Julchen, ich muß eilen.

JULIE. Eil' nicht so, ich bitte dich, es ist ja noch Zeit, mein Vater wird schon rufen.

CARL. Wolltest du mich nicht selbst fortjagen, wenn ich etwa länger verweilte?

JULIE. Gewiß nicht.[17]

CARL. Ist nicht heroisch, Julchen.

JULIE. Ich denke daran nicht.

CARL. Gib mir einen Abschiedskuß, Liebchen.

JULIE. Wie soll ich? Ich weiß nicht, wie man küßt.

CARL. Die Liebe wird dich's lehren, – so – Küßt sie.

JULIE. Unsre Base dort, gemach! O Lieber! Du Lieber, bis ich dich wieder sehe, wird kein Trost dieß Auge erheitern.

CARL. Nicht immer getrauert! Wie gesagt, denk' an meine baldige Zurückkunft, so wird dir der Abschied leichter. Trompetenstoß. Zum Aufbruch! Adjes, adjes, muß zu meinen Leuten hin. Sie laufen zusammen und küssen sich. Adjes! Ab.[18]

JULIE. Carl, lebe wohl! Lieber Carl! – O Maria, Jungfrau rein, halte ihn in deinem Schirm!


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 10-19.
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