Fünfte Scene.

[43] Genovefas Vorzimmer.


GOLO. Fort ist nun Siegfried, jetzt bin ich allein hier in Pfälzel. Was ist's nun? Nichts. Vermögen, Ehre, Alles mir anvertraut, seinen Schatz, sein Glück, seine Ruhe. Golo, die Hand auf's Herz: was willst du? Könntest du je dich vergehn ... nein! Viel lieber Alles dulten und leiden, viel tausendmahl lieber jetzt gleich Pfälzel verlassen, weit von ihr am Ende der[43] Welt irren! – Mein Busen ist ganz rein. Lieb' ich sie denn? Und wär's auch: rein. – Kniet nieder. Das schwör' ich vor den Augen des Himmels. Kein andrer Gedanke beflecke jemals meine Seele. Daß ich ihr wohl will, von ganzem Herzen, daß mich so verlangt nach ihrer Gegenwart, daß ich Wehe trage, wenn ich mich von ihr entferne, daß ich mich erquicke an ihren Spuren: das sey es auch Alles, reine Anbethung, wie die Liebe zum schönsten Gestirn, dem man für seine Schönheit dankt. Still und verschwiegen soll's auf diesem Herzen kleben, bis der kalte Tod mir das Leben raubt; so sey mein Weben stiller Wunsch, Gebeth zu ihr. Wo schweif' ich? In Genovefa's Vorzimmer? Was für ein Irrgeist treibt mich herum?


Kammerfrau tritt herein.


KAMMERFRAU. Wer da? Hm, Ritter Golo. Wollt gewiß zu unsrer Gräfin?

GOLO. Ja wohl. Nein ... Könnt' ich jetzt vorkommen?

KAMMERFRAU. Hm! Warum nicht vorkommen? Sie verließ eben ihr Zimmer, ging auf den Altan hinaus, etliche Briefe[44] zu lesen. Will euch anmelden; sie ist heut recht wohl aufgeräumt.

GOLO. Nein, will sie denn jetzt nicht stören, warte lieber ein andermahl auf.

KAMMERFRAU. Stören! hm! Stören! Das werdet ihr wohl nicht. Junge Dame, junger Ritter stören einander nie. – Mir gilt's gleich, was Andre thun und treiben, will gehn, euch anmelden, werde sonst wieder ausgefilzt, wenn ich euch ungemeldet von dannen ließe. Hinkt hinein.

GOLO. Alter Brummtopf! – Aber was will ich jetzt hier? Was soll ich jetzt mit ihr sprechen? Laß, schau' sie wenigstens doch wieder einmahl. – Die Gebeine beben mir; es wäre doch besser, ich ginge gleich wieder. O daß ich sie so gern seh' und mich doch fürchte und sie doch nicht vermeiden kann. Will ab, Genovefa, Julie, Anne begegnen ihm.

GENOVEFA. Sieh da, Herr Ritter, auch einmahl wieder in der Welt? Was ist's, das euch seit einiger Zeit noch[45] einsamer macht? Wär's meines Gemahls Abschied, so tröstet euch mit mir; seht, ich bin munter und habe doch so gut einen Freund an ihm verloren als ihr. Kommt, ich will euch etwas zeigen, ein Geschenk, das mir eben mein Oheim, Bischof von Würzburg, übermachen ließ. Ihr wißt es, was für ein großer Freund er von Künstlern ist und wie er hauptsächlich Mahler und Bildhauer liebt; die reisen auch beständig an seinen Hof, halten sich eine Zeitlang dort auf und das nicht ohne Gewinn und Freude. Denn überdem, daß mein Oheim sehr freygebig ist, hat er, wie mich's brave Meister versichert, selbst noch die trefflichsten Kenntnisse und ein sehr richtiges Gefühl in der Kunst, gibt auch öfters Künstlern die herrlichsten Gedanken an. Ein Mahler, der nun eben von Rom zurück reiste und bey ihm eingekehrt, hat ihm diese drey unvergleichlichen Stücke verkauft, die er mir alsbald hieher zum Geschenk überschickt. Macht eine Kapsel auf. Seht hier die Bildnisse dreyer Heiligen: Cäcilia, Catharina, Margaretha.

GOLO. Gratulire von Herzen.

GENOVEFA. Mich freut's über die Maßen. Wie glückselig die Hand ist, die so etwas hinzaubern kann! Seht[46] doch diese sanften, dem Himmel zugewandten Augen, diesen Mund, wie er in brünstiger Andacht schmilzt! Hört man die nicht laut und entzückt bethen? Und hier Sanct Margaretha! Nein, das ist doch gar zu himmlisch! Ich hab' es gar oft sagen gehört, Italien sey die Amme edler großen Künste und Rom vorzüglich die Brust, an der all' ihre Lieblinge gesogen; jetzt überzeug' ich mich ganz davon. Von dort her, däucht mich, läßt sich's über das Wahre in der Kunst erst richtig urtheilen. – Es wird doch immer schöner, jemehr man daran schaut.

GOLO vor sich. So nah ihr! O Gott! Ihre süße Stimme, ihr Blick. Glückliches Bild, das sie in Händen hält und ihr Aug' erfreut! Wär' ich's doch!

GENOVEFA. Ihr betrachtet es wenig, Golo.

GOLO. Bethe an.

GENOVEFA. Ihr sagt es mir nur zu Gefallen, ihr würdet es eifriger besehn, wär's euch rechter Ernst.[47]

GOLO. Wie? – Ha ha ha!

GENOVEFA. Pfui doch! Wer auch lachen mag bey so etwas.

JULIE. Der Ritter lacht, weil er's vielleicht selbst besser kann, er ist auch Mahler.

ANNE. Und Musicant; hat alle Talente.

GOLO. Ihr scherzet zu arg mit mir, Fräulein.

GENOVEFA. Das Talent kannt' ich nicht einmahl an euch, Ritter; ihr müßt uns von eurer Arbeit zeigen! Ich stümper' auch so etwas.

JULIE. Recht, recht! Hat er gelacht, soll er's zahlen! Jetzt aufgezeigt, Ritter![48]

ANNE. Wir wollen euch loben, wenn unser Lob euch werth ist.

GOLO. Werther als Gold; ich hab' aber jetzt gar nichts zu zeigen, meine Kunst ist verrostet.

JULIE. Ausflüchte! Wir nehmen das nicht an.

ANNE. Brave Meister lassen sich gerne erst lange bitten.

GOLO. Ist hier nicht der Fall.

JULIE. Darüber wollen wir urtheilen.

GENOVEFA. Halt' an, Julie, laß nicht nach.[49]

JULIE. Ihr müßt.

ANNE. Wir bitten auf's Schönste.

GOLO. Nun, wenn ihr mich denn mit Gewalt zum Mahler haben wollt, so nehmt mich hin. Aber was soll ich euch denn mahlen?

JULIE. Gesichter, wie diese hier, Frauenzimmer, recht schöne.

GOLO. Muß es denn gleich geschehn?

JULIE. Gleich, das wollen wir.

GOLO. Wenn sie aber schöner ausfallen, als diese hier?[50]

JULIE. Desto schönern Dank.

GOLO. Gut, will mahlen. Ab.

GENOVEFA. Wohin?

JULIE. Er wird etwas von seiner Arbeit hohlen.

ANNE. Schon wieder da? Er bringt etwas unter'm Arm.

GOLO hält plötzlich einen Spiegel vor, Genovefa und die Fräulein schauen hinein. Kann ich jetzt schöner mahlen? Vor sich. Sie schaut hinein! Mein Herz dein Spiegel, Engel!

GENOVEFA. Da habt ihr's! Julie, bedankt euch jetzt brav.[51]

JULIE. Spötter!

ANNE. Der Ritter weiß selbst wohl, wie wenig er Recht hat.

GENOVEFA. Pfui, Ritter, ich dachte nicht, daß ihr so arglistig mit uns scherzen wolltet.

GOLO. Scherzen? Scherz war sonst meine Kunst nicht.

GENOVEFA. So macht ihr jetzt wirklich Progressen. Aber ein ander Wort. Lieber Ritter, habt ihr schon die Briefe an eure Beschützerin, die verständige Gräfin Mathildis, bestellt? Ich bitte euch, wendet alle Mühe an, daß sie diesen Frühling zu uns herüber kommt und mich in meinem Wittwenstande ein Weilchen besucht. Die ganze Gegend ist voll Lob von den erhabnen Talenten dieser Dame, und ich habe sie doch nur ein einziges Mahl sprechen können, seit ich in Pfälzel bin. Seyd doch darauf bedacht.[52]

GOLO. Wenn Wünschen Wirklichkeit wäre, in dieser Minute sollte sie schon vor euch stehn und euch aufwarten; ich habe gestern Abend Dragones nach Rautenburg auf ihr Schloß hinüber gejagt und fertige den Augenblick einen andern Bothen ab, mit Briefen, die sie gewiß herüber ziehen sollen. Ab.

GENOVEFA. Recht so! – Heut ist doch der Ritter wieder einmahl genießlich. Was lachst du?

JULIE. Wer die Eine nur ist, von der er vorhin seufzte?

GENOVEFA. Golo?

JULIE. Leise sprach er: ein Engel! Mein Herz ihr Spiegel! Er meynte jemand damit.

ANNE. Julchen, ich bin's gewiß nicht.[53]

JULIE. O ich noch weniger.

GENOVEFA. Ha ha! Wer denn? Annchen, wolltest du nicht das Sträußchen aufheben, das der Ritter hier fallen ließ?

ANNE. Wie käm' ich dazu?

GENOVEFA. Nicht unrecht, Schatz; Golo ist doch wohl ein Ritter von guten Qualitäten, das Bischen Melancholie, das ihn oft peinigt und unstät macht, wird er, glaub' ich, in der Gesellschaft einer angenehmen Gemahlin verlieren. Annchen, ich meyne, das wäre gar keine üble Sache.

ANNE vor sich. Wollte Gott, daß es wäre! Alle ab.

GOLO kommt zurück. Hier stand sie, auf dieser Stelle! Sinkt nieder, ihr Thränen, küßt diese Stelle! Hier! Ha! Wenn[54] sie doch all' mein Leiden wüßte, all', all' mein Verlangen, Qual zu ihr hin! – Wär's jemahls möglich, guter Himmel, was wäre noch in dieser Welt übrig, das nachher mich reitzen könnte? – Thorheit! Wo gerath' ich hin? Was will ich? – Wuth! Fort! Will nicht mehr dran denken! Darf nicht! Fort! Fort! Ab.


Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Werke. Heidelberg 1811, S. 43-55.
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